Svealena Kutschke: "Etwas Kleines gut versiegeln"


Dieser Roman der Berlinerin Svealena Kutschke ist die Geschichte einer Suche: der Suche nach Identität, der Suche nach den Spuren der eigenen Biografie.

Es geht um die junge Lisa. Lange hat sie mit ihrem Bruder B. zusammengelebt, einem Mann, den sie geliebt hat, obgleich dieser viel lieber eine Frau gewesen wäre. Als B. stirbt, fällt Lisa in ein tiefes psychisches und existenzielles Loch, aus dem sie sich nur dadurch zu befreien glaubt, an das andere Ende der Welt zu flüchten. Sie fliegt nach Australien, wo sie bei einem Mann namens Marc unterkommt, einem früheren Geliebten ihres Bruders. Er nimmt sie gerne auf, ist ein umkomplizierter Mensch und kann mit dem ungewöhnlichen Leben, das Lisa nun in Sydney führt, umgehen.

Sie will vergessen, verhindern, dass die Narben an ihrem Herzen wieder aufbrechen. Sie tut das, indem sie sich in das Nachtleben Sydneys stürzt und die Stadt atemlos regelrecht in sich einsaugt.

Die Dunkelheit stürzte wie eine Decke vom Himmel, ich vermisste die lange Dämmerung des Nordens. Manchmal hatte ich das Gefühl, ich wäre eines Morgens an den Strand gespült worden und Marc hätte mich aufgelesen, zusammen mit anderem Treibholz. Er hatte mir einen Job besorgt, er drehte mir klitzekleine Joints, er strich mir hin und wieder über den Kopf.
Die Abende waren noch kalt, der Wind pfiff unter den Türen durch, wir drängelten unsere Füße vor dem winzigen, rotglühenden Heizkörper, doch am Morgen stach mir regelmäßig die Sonne ins Gesicht, erwachte ich schon klebrig wie ein Stück Kuchen mit Zuckerguss.
Jeden Morgen kochte Marc Kaffee für uns und bestrich vier Scheiben Toast mit Butter und Vegemite. Jeden Morgen stand er in Unterhosen in der Küche, mit nassen zurückgekämmten Haaren und bügelte sein Hemd für die Arbeit, ich band mir die Haare zusammen und knüllte meine schwarze Schürze und die gestreifte Bluse in die Tasche.

(Aus dem Roman.)

Immer hat sie "Sudden Smith" dabei, eine kleine Holzfigur, mit der sie endlose und tiefsinnige existenzielle Gespräche führt. Mit "Sudden Smith" diskutiert sie Fragen und Themen, die Miranda July in ihren Büchern, die Lisa liebt, gestellt hat und die das Künstlerpaar Fischli & Weiss immer wieder thematisiert.

Eines Tages findet Lisa auf der Straße in Sydney ein Bild, das sie selbst zeigt an einem Ort, den sie nicht kennt. Als sie nach schier endloser Suche zusammen mit Marc diesen Ort endlich findet, begegnen sie Mora, einer Frau, die unter ihrer dicken Schminke einen Mann "versteckt". Klar, dass sofort die Erinnerung an B. hochkommt, der auch eine Frau sein wollte.

Marc, Mora und Lisa unternehmen nun eine Reise durch die Wüste, was die Autorin auch als Metapher verstanden wissen will, wie man jedenfalls vermuten kann.

Die Erfahrungen, die sie dort miteinander und mit sich selbst machen, die Grenzen, die sich dort verwischen, sind das Hauptthema des Romans, dem es allerdings nicht gelungen ist, mich an irgendeiner Stelle wirklich anzusprechen. Er ist mir fremd geblieben, was wohl an seiner Thematik lag.

(Winfried Stanzick; 04/2009)


Svealena Kutschke: "Etwas Kleines gut versiegeln"
Wallstein Verlag, 2009. 296 Seiten.
Buch bei amazon.de bestellen

Svealena Kutschke, geboren 1977 in Lübeck, studierte Kulturwissenschaften und Ästhetische Praxis in Hildesheim. Sie las beim Berliner "Open Mike" und erhielt 2006/2007 das Werkstatt-Stipendium der "Jürgen-Ponto-Stiftung"; Preisträgerin beim "Open Mike" der "Literaturwerkstatt Berlin" 2008.