Günter Berger: 
"Alexandre Dumas - Ein Portrait"

"Das Äußere von Herrn Dumas ist recht bekannt: Statur eines Tambourmajors, herkulische Ausmaße aller Köperteile, wulstige Lippen, afrikanische Nase, Krauskopf, braunes Gesicht. Seine Herkunft ist seinem Aussehen von einem Ende zum anderen eingeschrieben, doch sie zeigt sich mehr noch in seinem Charakter. Das schöne Geschlecht, besiegt von einer wahnsinnigen Verschwendung, den Verlockungen vielversprechender breiter Schultern erlegen, das schöne Geschlecht also zögert nicht, zu einem Ätherflacon zu greifen, um einen gewissen verdächtigen Geruch zu neutralisieren, der sich unverschämt in den Reiz des Schäferstündchens mischt: Neger!"
(Eugène de Mirecourt - Kritik an der Romanfabrik Alexandre Dumas et Compagnie; anno 1845)

Zu Beginn ein Geständnis. Ich gehöre zu jener Art von Lesern, die gleich Schnecken durch die Seiten eines Buches kriechen, in Formulierungen schwelgen, beim Lesen rasch ermüden, zwischendurch oftmals die Lektüre weglegen, um sie sodann aus Lustlosigkeit tage- oder wochenlang nicht mehr anzurühren. Gar selten kommt es vor, dass ich in einen Leserausch verfalle, es sei denn, ein bestimmtes in Buchform vorliegendes Thema scheint mir gerade wichtiger als alles Andere auf Erden. Alexandre Dumas der Ältere (1802-1870), der mir als Schöpfer seichter Abenteuergeschichten von Kindesbeinen an ein Begriff war, schien mir keine besondere Verlockung zu sein, und so legte ich mich, Bescheidenes erwartend, mit dem dtv-Portrait von Günter Berger in die wohlgefüllte Badewanne, um sie dann tatsächlich für Stunden nicht mehr zu verlassen. Als ich ihr dann völlig aufgeweicht spät Nachts entstieg, hatte ich das Buch zur Gänze gelesen und konnte über mich selbst nur noch staunen.

Wie nicht anders zu erwarten gewesen, ist die Person des Alexandre Dumas für sich genommen in der Tat kein besonders lohnendes Thema, doch gelingt es Günter Berger durch seine kritische Betrachtung des populären Modeschriftstellers nebst diesem ganz andere Interessensgebiete zu rekrutieren, die den Leser fesseln können. Nicht die Person des Alexandre Dumas ist faszinierend, sondern die Umstände, unter welchen er zu literarischem Ruhm gelangte; ein Ruhm, der bis heute nicht schwinden mag und in zahlreichen Verfilmungen seiner Abenteuerromane seinen Niederschlag findet.

Als Alexandre Dumas 1802 in dem französischen Provinznest Villers-Cotterets das Licht der Welt erblickte, traf ihn als erstes der prüfende Blick seines Vaters Thomas-Alexandre Davy de la Pailleterie, General der Republik und Napoleons, der wegen seiner schwarzafrikanischen Mutter (einer Haitianerin) befürchtete, sein Sohn könne in seinem späteren Leben das Aussehen eines Pygmäen annehmen. Die Angst war berechtigt, denn dem Sohn sah man seine nicht rein europäische Herkunft in späteren Lebensjahren tatsächlich äußerlich an, und dass in seinen Adern "Negerblut" fließe, ließen ihn böswillige Kritiker seiner Schreibkunst ein Leben lang spüren. Doch obgleich Dumas' Schaffen immer wieder mit rassistischen Vorurteilen konfrontiert wurde, den Franzosen waren seine Produkte noch immer lieb und recht, und auch die Frauen erkoren das stattliche Mannsbild mit Kraushaar und dunklem Teint bald schon zu ihrem besonderen Liebling. Die Zahl seiner Geliebten war Legion, und keinerlei sittliche Selbstzweifel hielten Dumas davon ab, das Leben eines Lüstlings zu führen. Wie auch in allen anderen Dingen, so war er auch in Sachen der Liebe ein Mann der Praxis, der zugriff, wann immer es etwas zu ergreifen gab und sich nicht mit tiefsinnigen Gedanken über Liebe, Treue und dergleichen beschwerte. Nicht sensible Intellektualität kennzeichnete seinen Charakter, sondern die Fähigkeit zuzupacken, das Leben auf derbe Weise zu leben. Alexandre Dumas war entgegen den Befürchtungen seiner Eltern lebensfähig wie kein Anderer, da er es immer perfekt verstand, sich an vorherrschende Gesellschaftsströmungen anzupassen und das eigene Tun und Lassen auf das Geschickteste zu vermarkten. Skrupel kannte er dabei keine, wenn er tat, was gefiel und was ihm gefiel. Gleichermaßen am Erfolg wie an der Lust orientiert, spannte er selbst noch großzügigen Mäzenen bei Gelegenheit ihre Frauen aus. Und so darf man mit Fug und Recht behaupten, dass man von Dumas zwar keine philosophischen Denkweisen lernen kann, doch was Lebenstauglichkeit betrifft, ist er der Meister, in dessen Schule man zu gehen hat.

In jungen Jahren trieb Dumas das Verlangen nach beruflichem Erfolg und Wohllebigkeit in die Hauptstadt Paris, wo ihm bald schon als Verfasser romantischer Dramen ("Antony") der Durchbruch gelang. Als freischaffender Schriftsteller brachte er es rasch zu Wohlstand, überhaupt nachdem er das Feuilleton für seine Romane erobert hatte. Zwischen 1844 und 1848 erschienen fast gleichzeitig seine berühmten Feuilletonromane "Die drei Musketiere", "Der Graf von Monte Cristo", "Die Bartholomäusnacht" und andere heute weniger bekannte Titel, in den Feuilletons der Zeitschriften "Le Siècle", "Journal des Débats", "Le Constitutionnel" und in "La Presse". Alle diese Romane wurden ungeachtet ihrer einfachen Schnittmuster zu großen Publikumserfolgen und ließen einen wahren Geldregen auf Dumas herniedergehen, der sich im Grunde weniger durch seine poetische Schaffenskraft denn durch seinen gewieften Krämergeist auszeichnete. Günter Berger scheut nicht davor zurück, die Hintergründe überschäumender Produktivität aufzudecken, welche geradezu industriell funktionierte und auch vor der Ausbeutung von Mitarbeitern nicht zurückschreckte. Dumas war eben nicht das einsame Genie, welches als Einzelner Geniales schuf, sonder er arbeitete im Team, kaufte Rohfassungen auf, um sie gestrafft und ausgeschmückt auf den Markt zu werfen, produzierte zuweilen auch drittklassige Massenware, die er unter Pseudonymen vermarktete, um nicht seinen eigenen Markennamen mit Schundprodukten aus seiner Feder zu schädigen. Obgleich Autor von historischen Romanen, nahm er es mit historischen Tatsachen nicht genau und bediente primär Vorurteile über vergangene Epochen. So beschreibt er in seinem Feuilletonroman "Erinnerungen eines Arztes" die beiden führenden Jakobiner Jean Paul Marat (1744-1793) und Maximilien Robespierre (1758-1794) Ersteren als blutrünstiges Monster und Letzteren als mittelmäßigen Schwätzer, was eben beides, in dieser plumpen Stereotypie, nicht den historischen Tatsachen entspricht, wie Günter Berger dankenswerter Weise richtig stellt. Dumas war es nun einmal nicht um hohe literarische Ansprüche und historische Wahrheiten zu tun, sondern sein eigentliches Anliegen war der Profit, der Geldgewinn, und den hatte der Lebemann, welcher stets über seine Verhältnisse lebte, auch bitter nötig. Dafür war er bereit, alle Ideale schöpferischen Schaffens zu opfern und sich allein den Marktgesetzen eines kommerziell betriebenen Literaturbetriebes anzupassen. Serienmäßig wurde produziert, was sich im Feuilleton als Fortsetzungsroman vermarkten ließ, und was gut ankam, wurde erstreckt, sodass seine Romane ausuferten, ungeheuerlich wucherten. Wurde er doch von den Zeitungen nach dem Zeilenumfang seiner Romanfolgen bezahlt. Die Rollenverteilung zwischen Gut und Böse war ein jedes Mal klar gezeichnet und nicht so differenziert ausgedrückt wie etwa bei Balzac, bei dem nicht moralische Typen, sondern Interessen gegeneinander stehen und nicht zwangsläufig das einfach nur Gute über das einfach nur Böse triumphiert. Reale Probleme gesellschaftlicher Verhältnisse werden bei Dumas stets systematisch ausgeblendet, und so macht es staunen zu erfahren, dass er sich in die revolutionären Unruhen von 1830 und 1848 mit weltverbesserischem Elan einbrachte und sodann auch zweimal bei Wahlgängen mit stramm linken Programmen für politische Funktionen kandidierte und beide Male durchfiel. Womit ihm zumindest diese Male sein Realitätssinn trog, wollte er doch in betont bäuerlich konservativen Wahlkreisen ausgerechnet mit akzentuiert linken Parolen für Furore sorgen.

Günter Berger zeichnet mit seinem Porträt das lebendige Bild eines Schriftstellers, dem mangels besonderer Bildung zwar das Zeug zum herausragenden Intellektuellen fehlte, der es jedoch geschickt verstand, die Zeitumstände opportunistisch für sich und sein Schaffen zu nutzen. Gewiss war er nicht der Größte unter den großen französischen Romanciers jener Epoche (Victor Hugo, Honoré de Balzac, Gustave Flaubert), jedenfalls jedoch der Erfolgreichste. Im Feuilleton war er der Platzhirsch, der nach Belieben Konkurrenten verdrängte, und wurde er auch von konservativen Literaturkritikern ob seiner zersetzenden Tendenzen angefeindet (Stilisierung des ungebundenen Abenteurers zum Idol heroischer Fantasie), so blieb ihm doch stets noch der Triumph der bloßen Marktmacht über die sittliche Entrüstung mittelloser Puristen, auf deren Urteil im Grunde - von der kleinen Gruppe der literarisch Versierten einmal abgesehen - kaum ein Mensch Bedacht nahm. Günter Berger widersteht der Versuchung, ein anderes Porträt denn ein realistisches zu zeichnen. Sein despektierlicher Umgang mit dem Marktphänomen Dumas erfrischt das Gemüt des Lesers, dem nicht virtuose Genialität, sondern unbekümmerte Lebenstüchtigkeit vorgeführt wird.

Der Prototyp des freien marktorientierten Schriftstellers namens Alexandre Dumas verstarb am 5. Dezember 1870 in Puys in der Nähe von Dieppe, in Frankreich. Sein Erfolg hatte sich während der letzten Jahre seines Lebens ein wenig verflüchtigt, doch sollte ihn sein Werk überleben und mittels den - wenn auch in der Mehrzahl wenig überzeugenden - Verfilmungen des 20. Jahrhunderts Dumas zu Weltruhm geleiten. Alexandre Dumas' Nachleben in Film und Fernsehen gestaltete sich teils derb, teils vergnüglich, und ist dem Biografen ein abschließendes Kapitel wert, das diesen auch noch als profunden Filmkritiker ausweist.

Über das Buch selbst lässt sich also eigentlich nur Bestes sagen. Der gleichermaßen rotzige wie sachliche Stil Günter Bergers muntert auf und lässt das Interesse am genaugenommen recht ordinären Lebenskünstler Dumas auch nach hundertachtzig Seiten nicht erlahmen. Berger beherrscht die Kunst, das eigentlich Bedeutungslose bedeutsam zu machen, indem er vorführt nach welchen (Markt-)Gesetzen Erfolg gestrickt wird und wie sich diese Gesetze in der Person des Modeschriftstellers als opportunistische Zielstrebigkeit vergegenständlichen. "Das Überleben der Bestangepassten", jene berüchtigte Erkenntnis des Naturforschers Charles Darwin, meint immer noch die Dominanz des Angepassten über den Unangepassten und inkludiert den traurigen Schluss, dass (wie Friedrich Nietzsche in seiner Kritik in Richtung Darwinismus richtig erkannte) in einer Welt der Anpassungszwänge das Besondere zum Untergang verdammt ist, hingegen das Ordinäre sich in der Praxis des Lebens als lebenstüchtig bewährt und durchsetzt. Alexandre Dumas dürfte um dieses Lebensgesetz gewusst haben, zumindest hat er es geahnt, denn in seinem Schaffen verzichtete er auf das Besondere und hatte damit weit mehr Erfolg als seine genialen französischen Zeitgenossen, welche ihre Leser nicht mit bissiger Zeitkritik und differenzierter Wirklichkeitsbetrachtung verschonten. In dieser nach wie vor klaffenden darwinistischen Wunde der Menschheit wühlt Günter Berger herum, und dafür gebührt ihm die Dankbarkeit kritischer Geistesartung. Er hat ein vergnügliches, gelehriges, aber eben auch sehr kritisches Buch geschrieben, das den Menschen daran gemahnt, das Wagnis einzugehen, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen, um seine selbstverschuldete Unmündigkeit aus eigenem Antrieb zu überwinden.

(Harald Schulz)


Günter Berger: "Alexandre Dumas"
dtv, 2002. 191 Seiten.
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