... aus " Zerbin oder Die neuere Philosophie" ...

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Dem Hause des Herrn Freundlach gegenüber lag ein Kaffeehaus, das Hohendorf sowohl als Altheim in der Zeit ihrer ersten Bekanntschaft mit Renatchen gleich nach dem Essen gewöhnlich zu besuchen pflegten. In der Zeit des Noviziats, da es bei beiden noch immer hieß:

Ich aber steh und stampf und glühe
und flieg im Geiste hin zu ihr
und bleib, indem ich zu ihr fliehe,
stets unstet, aber immer hier,
weil, bis mich Glück und Freundschaft retten,
die oft ein langer Schlaf befällt,
mich hier mit diamantnen Ketten
das Schicksal angefesselt hält.

Obzwar Hohendorf itzt fast gar keinen Zutritt in dem Hause mehr hatte oder doch wenigstens von dem Idol seiner Wünsche allemal sehr frostig empfangen ward; so blieb doch ein gewisser Zauber um dieses Kaffeehaus schweben; er fühlte manchmal nach dem Essen einen geheimen Zug, hinzugehen, von dem er sich selbst nicht Rechenschaft zu geben wußte.


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(Jakob Michael Reinhold Lenz; 23.1.1751 - 24.5.1792)