Auf den Spuren der
Schöpfung
Die Menschen der Neuzeit haben den Himmel entzaubert. Rote
Riesen, Weiße Zwerge und Schwarze Löcher regieren an Stelle von Göttern, Helden
und Ungeheuern am Firmament. Geblieben ist das Bestreben, zu erfahren, woher wir
kommen und wohin wir gehen. Die Antworten auf diese Fragen sind eng verwoben mit
Religion, mit dem Glauben an ein Wesen oder eine Macht außerhalb der
wahrnehmbaren Realität. So hat jede Kultur ihren eigenen Schöpfungsmythos
geschaffen.
Vor einigen Jahrhunderten begann der Mensch den Schleier zu
lüften, der den gestirnten Himmel über ihm verhüllte. Er tat dies mit Hilfe von
mathematischen Gesetzen und zunehmend auch durch praktische Beobachtung. Erst
seit ein paar Jahrzehnten sind wir in der Lage, das Universum und seine
Entwicklung wenigstens grob zu überblicken. Die Schöpfungsgeschichte der
Naturwissenschaft zu Beginn des 21. Jahrhunderts hört sich etwa so an:
Vor 15
Milliarden Jahren werden Raum und Zeit geboren. Entstanden aus einer zufälligen
Fluktuation im Quantenvakuum, einem Punkt im Nichts, dehnt sich das Universum
aus. Es gleicht einer Suppe aus Materie, Antimaterie, Lichtteilchen und starker
Strahlung. Seit dem Urknall sind 10 hoch minus 43 Sekunden (auf 42 Nullen nach
dem Komma folgt die Ziffer eins) vergangen. In ebenfalls unvorstellbar kurzer
Zeit bläht sich der Kosmos einen Augenblick später von der Größe eines Atomkerns
zu der einer Orange auf. Danach verläuft seine Expansion gleichmäßig. Eine
Sekunde nach dem Urknall beginnen Protonen und Neutronen aneinander
festzukleben, die Atomkerne von Wasserstoff und Helium entstehen. 300 000 Jahre
vergehen, bis die Atomkerne Elektronen einfangen und sich auf diese Weise
Wasserstoff- und Heliumatome bilden können. Das Universum
wird transparent. Die Lichtteilchen schwärmen als Botschafter der heißen Geburt
in alle Richtungen aus.
Zehn Milliarden Jahre sind seit dem Urknall
vergangen. Längst treiben im unvorstellbar weiten Ozean des Alls Materie-Inseln
aus Milliarden Sternen sowie interstellaren Gas- und Staubwolken. In einer
dieser Galaxien schält sich im Zentrum eines langsam rotierenden Nebels ein
Stern heraus. In der diskusförmigen Scheibe, die den heißen Gasball umgibt,
verklumpt die Materie zu Planeten. Einer davon umkreist diese Sonne im Abstand
von etwa 150 Millionen Kilometern.
Die Oberfläche der Kugel gleicht einem
brodelnden Inferno aus glühendem Gestein. Brocken aus dem All prasseln nieder
und kneten den zähflüssigen Brei durch. Äonen fließen dahin, bis sich die Kruste
verfestigt. Immer noch speien gewaltige Vulkane Lava. Gase und Wasserdampf
entsteigen dem feurigen Schlund der Erde und umhüllen den Planeten. Schließlich
ergießt sich aus den Wolken sintflutartiger Regen, das Wasser füllt Becken und
Vertiefungen in der Kruste. Meere entstehen.
Irgendwann, etwa elf
Milliarden Jahre nach der Geburt des Universums, taucht in den Urgewässern etwas
völlig Neues, geradezu Unerhörtes auf: Leben. Sein Ursprung liegt wohl für immer
im Dunkel der Erdgeschichte. Seine ersten Spuren finden sich heute in
Meeresablagerungen, es sind Archäen und einfache Bakterien.
Eine Milliarde
Jahre vergehen. Cyanobakterien bevölkern jetzt die Urozeane. Diese Lebewesen
gleichen chemischen Fabriken. Sie verstehen sich auf die Fotosynthese - die
Kunst, Sauerstoff zu produzieren. Die Atmosphäre reichert sich mit diesem
wertvollen Stoff an. So bereiten die Cyanobakterien den fruchtbaren Boden, auf
dem das Leben weiter gedeihen kann.
14 Milliarden Jahre nach dem Urknall
beginnt auf dem Planeten Erde die Entwicklung von Pflanzen und Tieren. Der Weg
verläuft keineswegs geradlinig. Im Lauf der Erdgeschichte sind mehr Arten
ausgestorben, als heute existieren. Mindestens fünf Katastrophen globalen
Ausmaßes erschüttern das Leben.
Zum Beispiel rottet ein Massensterben rund
245 Millionen Jahre vor unserer Zeit neunzig Prozent aller Tierarten aus. Und
vor 65 Millionen Jahren schlägt den Sauriern die letzte
Stunde; aller Wahrscheinlichkeit nach haben ihnen - ohnehin schon am Ende ihrer
Entwicklung - der Einschlag eines vielleicht zehn Kilometer großen kosmischen
Brockens und der damit verbundene arktische Winter auf der Erdoberfläche den
Rest gegeben. Nach diesem letzten großen Einschnitt sprießt das Leben aufs
neue.
Kleine mausähnliche Wesen haben überlebt. Sie gelten als Urahnen
der Säugetiere und damit auch von uns Menschen. Unser Vorfahr durchstreift vor
sieben Millionen Jahren die Wälder Afrikas, wo auch vor zirka 1,6 Millionen
Jahren der Urmensch vom Typ homo erectus ins Licht der Erdgeschichte tritt. Und
100 000 Jahre vor unserer Zeitrechnung lebt in Afrika eine Gattung des homo
sapiens, die sich nach Europa und Asien ausbreitet. 100 000 Jahre das bedeutet
einen Wimpernschlag im Leben des Universums (0,0007 Prozent!), aber einen
gewaltigen Sprung in der Entwicklung des Menschen.
Nach Ablauf dieser
Zeit schickt er sich an, das Universum zu erkunden und damit zu den eigenen
Wurzeln vorzustoßen. Als Sumerer und Babylonier,
Ägypter und Griechen zum Himmel schauen, wähnen sie sich im Mittelpunkt des
Kosmos. Die Lehre des Aristoteles (384-322 vor Christus) bedient diesen
menschlichen Egoismus: Sonne, Mond und die in der Antike bekannten Planeten
Merkur, Venus, Mars, Jupiter und Saturn, ja, sogar die Fixsterne, umkreisen
danach die feststehende Erde.
Nahezu 2000 Jahre lang hält sich dieses
geozentrische Weltbild. Dann rückt ein Geistlicher namens Nikolaus Kopernikus
(1473-1543) die Sonne ins Zentrum und degradiert die Wohnstatt des Menschen zu
einem gewöhnlichen Planeten. Johannes Kepler (1571-1630), Galileo Galilei
(1564-1642) und Isaac Newton (1643-1727) vollenden den Plan des heliozentrischen
Weltgebäudes. Die Himmelskörper sind berechenbar geworden. Was aber verbirgt
sich hinter ihnen? Woraus bestehen die Planeten? Woher stammt die gewaltige
Energiemenge der Sonne? Noch im Jahr 1859 schreibt der Berliner Physiker
Heinrich Dove: "Was die Sterne sind, wissen wir nicht und werden wir nie
wissen."
Kurze Zeit nach dieser kühnen Behauptung lesen die Astronomen im zerlegten Sternenlicht
wie Detektive in Fingerabdrücken. Ebenso wie die Sonne entpuppen sich die Sterne
als heiße Gaskugeln. Der englische Astronom Arthur Eddington (1882-1944) untersucht
die Zusammenhänge zwischen Masse, Leuchtkraft und Temperatur der Sterne. Auf
der Basis dieser Zustandsgrößen beschreibt er deren Aufbau. Eddington vermutet,
dass sich die Energiequellen von Sonne und Sternen nur durch die Gesetze der
Atomphysik erklären lassen. Ende der dreißiger Jahre finden Hans Bethe (geboren
1906) und Carl Friedrich von
Weizsäcker (geboren 1912) tatsächlich den Schlüssel zum stellaren Fusionsreaktor:
die Umwandlung von Wasserstoff in Helium.
Damals hatten die Forscher längst ein
anderes Problem gelöst und dadurch die "Weltinsel-Debatte" entschieden: Im Jahr
1924 bewies Edwin Hubble (1889-1953) mit dem 2,5-Meter-Spiegelteleskop auf dem
Mount Wilson im US-Bundesstaat Kalifornien, dass der Andromeda-Nebel eine
eigenständige Spiralgalaxie wie die unsere ist. Damit verlor unser
Milchstraßensystem seine beherrschende Stellung im Universum. Wiederum waren der
Mensch und seine Heimat aus dem Herzen des Kosmos vertrieben worden, und die
Erde spielte lediglich die Rolle eines unbedeutenden Staubkorns in den Tiefen
des Alls. Im Jahr 1929 entdeckte Hubble einen Zusammenhang zwischen der
Fluchtgeschwindigkeit der Galaxien und ihren Entfernungen. Mehr noch: Der
gesamte Weltraum expandierte. Jetzt war die Zeit reif, um über Bau und
Entwicklung des Kosmos nachzudenken. Mit seiner Allgemeinen Relativitätstheorie
lieferte Albert
Einstein (1879-1955) das mathematische Handwerkszeug. Die Idee vom Anfang
des Universums aus einer unvorstellbar kleinen, heißen und dichten
"Singularität" entstand. Damit war die Urknall-Theorie geboren.
In der
zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verdichtete sich das Netz der Indizien für
diesen von den meisten Wissenschaftlern favorisierten astronomischen
Schöpfungsmythos. Zwei Physiker entdeckten 1964 zufällig eine Strahlung, die den
Kosmos gleichmäßig durchdringt. Theoretiker hatten dieses Echo des Urknalls
vorausgesagt. Zu Beginn der neunziger Jahre registrierte das
Satelliten-Observatorium "Cobe" in der Hintergrundstrahlung winzige
Kräuselungen, hinter denen Dichteschwankungen im jungen Universum stecken. Durch
die geheimnisvolle Dunkle Materie verstärkt, aus der bis zu neunzig Prozent des
Alls besteht, mögen sich diese Wirbel zu Saatkörnern
für Galaxienhaufen ausgewachsen haben. Sie durchziehen das Universum wie die
Blasen eines Schaumbads. Im Jahr 1998 fanden Forscher Hinweise auf eine Kraft,
die den Kosmos für alle Ewigkeit auseinander treibt.
Die Menschen haben
den Himmel entzaubert, aber die Faszination ist geblieben. Denken wir nur an das
Szenario von der weiteren Entwicklung unserer Sonne: In fünf Milliarden Jahren
wird sie sich zu einem Roten Riesen aufblähen und die Erde verschlucken, danach
ihre Gashülle in den Raum blasen und zu einem erdgroßen, sehr dichtgepackten
Weißen Zwerg mutieren. Oder erst die Schwarzen Löcher, jene Schwerkraftfallen,
die sogar das Licht verschlucken! Ist das nicht mindestens ebenso spannend wie
beste
Science-Fiction? Im folgenden Abschnitt werden wir manche erstaunlichen
Objekte kennen lernen. Die Reise beginnt auf der Erde und führt weiter durch das
Planetensystem hinaus in die Welt der Sterne. (...)
(Aus "Astronomische Streiflichter" von Helmut Hornung.)
Sternbilder, Gestirne und ihre Geschichten.
Mit Sternkarten von Martin Rothe.
Den Großen Wagen erkennen die meisten Sternengucker noch problemlos. Wie aber
unterscheidet man den Großen vom Kleinen Bären, und wo sind eigentlich Kassiopeia
und Perseus zu finden? Darüberhinaus: Wer waren eigentlich Perseus und Kassiopeia?
Helmut Hornung geht in seinem Buch diesen und anderen Fragen nach. Er erklärt
den Nachthimmel, stellt die Planeten unseres Sonnensystems vor und gibt praktische
Tipps zur Beobachtung des Sternenhimmels. Dabei entfaltet sich die ganze Faszination
eines uns nächtlich umgebenden Naturwunders, das wohl kaum jemanden kalt lässt.
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