Da sprach die Schlange zum Weibe: "Ihr werdet mitnichten des Todes sterben; sondern Gott weiß, daß welches Tages ihr davon esset, so werden eure Augen aufgetan, und ihr werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist." (1..Mose 3,4-5)

Sünden-Fall und Engels-Sturz sind sich offenbar nicht nur in ihrer gemeinsamen Abwärtsrichtung sehr ähnlich. Auch seine ewigen Geheimnisse möchte Gott in beiden "Fällen" den Menschen vorenthalten. Denn ein vom Baum der Erkenntnis stammendes Wissen um "gut" und "böse" (Beltz meint, es müsse richtiger "sinnvoll" und "sinnlos" heißen) ist auf jeden Fall göttlicher Natur - da sagt die Schlange auch im Sinne des Jahwe-Glaubens nichts Falsches, auch wenn sie das vermutlich umfassender meint. Aber dieses Wissen ist nun offenbar Privatbesitz geworden, den niemand, schon gar nicht Engel oder Schlangen, den Menschen vermitteln darf.
Auf die Ebene der Eltern-Kind-Beziehung übertragen: Solange Adam und Eva in dieser völlig unwissenden Abhängigkeit
von Gott bleiben, können sie nie erwachsen werden. Sie müssen erst aus dieser "Unschuld" fallen, bevor sie sich "erkennen" können, wie das schöne biblische Wort für die Liebesvereinigung heißt. Das ist für beide Seiten schmerzlich, und Psychologen sehen in dieser notwendigen Abtrennung des Kindes von den Eltern die entscheidende Ursache für alle Schuldgefühle: Die Selbstetablierung des Ichs wird als Sünde empfunden.

Da wurden ihre Augen aufgetan, und sie wurden gewahr, daß sie nackt waren. (1.Mose, 3,7)

Wenn einem die "Augen aufgehen", ist damit meist mehr als der Anblick nackter Tatsachen gemeint. Und auch Adam und Eva sehen, nachdem sie vom Baum der Erkenntnis gegessen haben, weit mehr, als etwa nur ihre - schnell schamhaft mit Feigenblättern zu bedeckenden - Geschlechtsteile.
Das ist keineswegs eine spekulative Wunschphantasie meinerseits, sondern direkt aus dem Urtext herauszulesen - eine Tatsache, die allerdings von den meisten Theologen auch schamhaft bedeckt gehalten wird: Das hebräische Wort für "nackt" bedeutet nämlich zugleich "klug"! Ebenso wie das von Luther in seinem Doppelsinn richtig übersetzte "Erkennen" in der körperlichen Liebesvereinigung ("Adam erkannte sein Weib Eva"; 1.Mose 4,1), nehmen die beiden nun also nicht nur ihre sinnliche, sondern auch ihre geistige Reife wahr.


(aus "Der Teufel und das Weib" von Dagmar Scherf)
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