Christian Skrein (Hrsg.): "Secret Snapshots"

Heimliche Erotik


Der Ausdruck "Schnappschuss" stammt aus der Jägersprache und hat somit ursprünglich eine in doppeltem Sinne negative Bedeutung; schließlich sind die Begriffe schnappen und schießen in jenem Wort vereint. In frühen Jahren der Fotografie wäre es auch gar nicht möglich gewesen, einfach so aus der Hüfte zu "schießen", da die Belichtungszeiten derart lang waren, dass eine mehrstündige Prozedur gang und gäbe gewesen sein mag.

Unter einem "Schnappschuss" ist heutzutage nicht das zu verstehen, was gemeinhin angenommen wird. Also sozusagen ein "Zufallsprodukt", wie diese etwa von Lomokameras geschaffen werden sollen. Zufall spielt überhaupt keine Rolle, wovon auch die im zu besprechenden Buch versammelten erotischen Fotos zeugen. Vielmehr ist das entscheidende Kriterium eines typischen "Snapshots" die Inperfektion der Aufnahme. Was etwa bei Fotos irgendwelcher Fotografen für den "Playboy" auffällt, ist der Versuch, das Modell möglichst perfekt in Szene zu setzen. Die natürliche Ästhetik des weiblichen Körpers wird vom Fotografen in ein Licht gerückt, das er vorab ausgetestet und für "ideal" befunden hat. Es gibt keinerlei Überraschungselement; von Improvisation ganz zu schweigen. Die Hochglanzfotos wirken wie aufs Papier gemalt. Der dargestellte Körper definiert sich als abstrakte "Positivkopie" der Realität. Kleine Fehlerhaftigkeiten können retuschiert werden. Die Umgebung soll den Grad der Perfektion zusätzlich betonen.

Ein "Snapshot" pfeift auf Perfektion. Die Fotos, welche Christian Skrein gesammelt hat, schlummerten oft versteckt in "Familienalben" und waren keineswegs für die Öffentlichkeit bestimmt. Nunmehr hat der Leser die Möglichkeit, mit Ringelnatz zu sagen: "Den Unterschied von Mann und Frau sieht man durchs Schlüsselloch genau." Es sind nicht nur anonyme Fotografen, die diese Bilder gemacht haben, sondern ebenso anonyme Modelle, welche sich fotografieren ließen. Für den Betrachter ist es so, als sähe er in eine Welt, von der nicht mal Freundinnen der Abgelichteten Bescheid wussten. Immerhin stammen die Fotos aus dem beginnenden 20. Jahrhundert bis anfangs der 1970er Jahre. Frauenkörper wurden in früheren Zeiten meist selbst vom Partner nicht nackt gesehen. Es brannte in Liebeszeiten höchstens eine Nachttischlampe, wie treffend im Essay berichtet wird. Durch das Fotografieren der geliebten Frau wurde also jene natürliche Nacktheit ins Bild gesetzt, die in vielen Fällen ansonsten tabuisiert wurde.

Die ästhetische Komponente der vorliegenden Fotos zieht also seinen Reiz aus der Inperfektion. Das bezieht sich keineswegs auf die Frauenkörper, die allesamt ihren Liebreiz ausstrahlen, sondern auf die Umgebung, in die der weibliche Körper gesetzt ist. So liegt eine Frau etwa bäuchlings auf einem Bett, und ihr birnenförmiger Po kontrastiert mit dem Bücherregal, auf dem gleich zwei Bücher von Hugo Portisch aus der Reihe So sah ich eingeschlichtet sind. Frauen spreizen ihre Beine und verstecken ihre Gesichter hinter einem gelüpften Rock oder einem Modemagazin. Sie inszenieren sich in Betten, oder werden zum Teil der Natur. Auf den zweiten Blick wird die Umgebung sichtbarer, und Tische sowie Blümchentapeten machen eine Inperfektion deutlich, die Lust auf mehr macht. Wenn der Rezensent von "Inszenierung" schreibt, so ist damit keineswegs gemeint, hier läge eine absichtsvolle "Pose" vor, zu denen die Frauen seitens des Fotografen gedrängt worden wären. Nein, sie scheinen sich bewusst selbst zu inszenieren; etwa, indem sie ihre Gesichter verstecken, oder aber wohl darauf bestanden haben, dass nur Teile ihres Körpers abgelichtet werden.

Laszive Posen bleiben nicht ausgespart. In einigen Fällen muss den Frauen daran gelegen sein, sich von der prachtvollsten Seite zu zeigen. So kann in diesem Zusammenhang nicht zu unrecht vermutet werden, dass nur kurz nach der Aufnahme ein gewaltiger Akt stattgefunden haben mag. Frauen drapieren sich wie Schmuckstücke auf ihren Betten und laden die Fotografen ein, ihre Körper nicht nur aus der Ferne zu erkunden. Manchmal geben sich die Frauen auch sportlich und machen eine Kerze oder eine Brücke, sodass ihre weiblichen Reize auf besonders laszive Weise zur Geltung kommen.

Zwei Fotos können als lesbische Sequenzen interpretiert werden. Eines zeigt zwei Frauen, die sich einander annähern mögen; ein anderes deutet ein lesbisches Liebesspiel an. Ein Höchstmaß an Dekadenz ist gegeben, wenn eine Frau beim Urinieren abgelichtet wird. Dass eine rauchende Frau durchaus eine immense erotische Wirkung ausstrahlen kann, beweist ein Foto, welches ein Fräulein mit angedeuteten spitzen Brüsten und einem Äpfelchen-Hintern ins Bild gesetzt hat.

Der vorliegende Fotoband, welcher von einem interessanten Essay eingeleitet wird, vereint in sich herrliche Fotos von jüngeren und älteren Frauen, die eine natürliche Ästhetik ausstrahlen, wie sie mit Hochglanzerotikfotos nie dargestellt sein kann. Berührend ist etwa auch, dass sich eine Frau mit zwei verschieden stark entwickelten Brüsten abbilden ließ. In einigen Fällen kommt das komische Element nicht zu kurz. Etwa, wenn sich eine Frau unter einem Tisch versteckt und ihre prallen Schenkel zur Schau stellt, oder bei der einzigen Ablichtung eines (kleinwüchsigen) Mannes, der in einer viel zu großen Unterhose steckend von einer Topfpflanze überragt wird.

Die "Secret Snapshots" haben es in sich und sollten mehr als nur ein Geheimtipp sein.

(Secret Squire; 11/2005)


Christian Skrein (Hrsg.): "Secret Snapshots. Heimliche Erotik"
Brandstätter Verlag, 2005. ca. 128 Seiten mit ca. 150 Farb-Abbildungen.
ISBN 3-85498-441-3.
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Christian Skrein wurde 1945 geboren. Mit zwölf Jahren bekam er seine erste Kamera, mit 16 wurde er beim legendären Zeitungsverleger Ludwig Polsterer als Fotoreporter vorstellig. Mit 18 Jahren war Christian Skrein bereits ein bekannter Bildreporter. Er arbeitete für die "Bunte", für "Quick", für "Stern" und österreichische Tageszeitungen wie "Bildexpress", "Kurier", "Presse", "Neues Österreich" und war der jüngste Fotograf der "Vogue". Es folgten Aufträge als Film-Standfotograf bei Franz Antel. Christian Skrein ist heute in der "New Economy" tätig. In seinem Archiv schlummern zahlreiche unveröffentlichte Fotos der Hautevolee der internationalen Kunstszene.

Weitere Bücher von Christian Skrein:

"Snapshots. The Eye of the Century"
Über 700 der schönsten, spektakulärsten, witzigsten Schnappschüsse aus der weltweit größten Sammlung von Privatfotos. Mit Amateurfotos von Marilyn Monroe und Charlie Chaplin.
"You press the button, we do the rest", war der Slogan, mit dem George Eastman, der Gründer von Kodak, 1888 die erste Box-Kamera anpries. Nun konnte jeder fotografieren, Augenblicke festhalten, zufällige wie inszenierte: Der Schnappschuss war geboren.
Ein Amateurfoto fängt zumeist Situationen ein, die durchaus alltäglich sind. Es verliert jedoch jede Banalität, sobald es aus dem biografischen Zusammenhang gelöst wird. Mitunter ist der gewählte Augenblick besonders günstig und fast ungewollt "passiert" ein kleines Kunstwerk, manchmal dank Doppelbelichtung, verrutschten Horizontlinien, Gegenlicht oder merkwürdigen Details.
Christian Skrein, Künstler und ehemaliger Fotograf, hat Fotografien in Tausenden von Alben und Schuhschachteln gesichtet, ausgewählt und thematisch zusammengestellt, die als Teil unserer visuellen Kultur anzusehen sind. Im Zentrum seines daraus entstanden Buches stehen Lebensfreude und Lebensschmerz, die conditio humana, sichtbar gemacht in "Snapshots", die immer nur fürs private Album gedacht waren. (Hatje Cantz Verlag)
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"68. Konfrontationen & Wahrnehmungen. Künstler, Poeten und Intellektuelle"
Christian Skreins Fotografien sind einzigartige Bilddokumente jener Kunstszene, die sich in den 1960er Jahren zu formieren begann und deren Protagonisten später international die moderne österreichische Kunst repräsentierten. Er verkehrte in dem längst legendären innersten Zirkel der 
"68er", dem Oswald Wiener, Arnulf Rainer, Walter Pichler und Christian Ludwig Attersee ebenso angehörten wie Hermann Nitsch, André Heller, Kurt Kalb und viele mehr. Es gelang Skrein, jenes Flair des Revolutionären, Aufrührerischen, Grotesken und Komischen, das diesen Kreis prägte, mit der Kamera festzuhalten.
Die in diesem Band gesammelten Fotografien verdanken ihre Bedeutung also einerseits der Popularität der dargestellten Künstler und andererseits ihrer Authentizität. Die Künstlerclique der 68er legte einen wesentlichen Grundstein für das, was das spezifische Erscheinungsbild österreichischer Kreativität in der Moderne ausmacht - der Fotograf Christian Skrein liefert mit diesem bis dato weitgehend unveröffentlichten Bildmaterial ihr faszinierendes Porträt. (Brandstätter Verlag)
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