Alfred Hagemann: "Wilhelmine von Lichtenau"

Von der Mätresse zur Mäzenin


Eine möglichst objektive Betrachtung einer illustren Frauengestalt in Preußen

Wilhelmine von Lichtenau gehört, wie auf der Rückseite des Einbands des vorliegenden Buchs richtig angemerkt wird, zu den wenigen Frauen, die in Preußen Berühmtheit erlangten, auch wenn im ausgehenden 18. Jahrhundert der von einer offen agierenden königlichen Mätresse ausgehende Ruhm vor allem negativ besetzt war.

Die spätere Gräfin wurde als Tochter des bei der Dessauer Hofkapelle angestellten Waldhornisten Enke geboren und hatte, wie es der Sitte gegenüber bevorzugten Bediensteten entsprach, mehrere Paten aus dem Fürstenhaus. Diese Verbindungen führten schließlich dazu, dass sie noch als Kind dem Kronprinzen und späteren König Friedrich Wilhelm vorgestellt wurde. Dieser kümmerte sich fortan um ihre Bildung und höfische Erziehung und machte einige Jahre später die dann Fünfzehnjährige zu seiner Mätresse.

Für Wilhelmine begannen wechselhafte Zeiten. Sie gebar ihrem Geliebten Kinder und musste danach mit ansehen, wie der mit einem Hang zum Übersinnlichen und Religiösen ausgestattete Friedrich Wilhelm unter den Einfluss der Freimaurer geriet. Diese verboten ihm die sexuelle Beziehung zu Wilhelmine, die es jedoch schließlich vermochte, von der Geliebten zur Freundin und Beraterin zu werden und sich dem mittlerweile zum König gewordenen Friedrich Wilhelm unersetzlich zu machen, auch wenn zwischenzeitlich andere Mätressen auftraten. Inzwischen hatte sie an Selbstbewusstsein gewonnen und zeigte dem König immer häufiger, dass sie einen eigenen, jedoch vorzüglichen Kunstgeschmack besaß.

Wilhelmine von Lichtenau war sehr darauf bedacht, in Adelskreisen respektiert zu werden. Wie tief der Hass der etablierten Adelsangehörigen gegenüber der Aufsteigerin saß, musste sie erkennen, als Friedrich Wilhelm verstarb und sie von seinem Sohn verbannt wurde; Häme brach von allen Seiten über sie herein.

Alfred P. Hagemanns Buch über diese illustre, in den meisten Dingen ausgesprochen kluge Persönlichkeit besteht aus drei Teilen: "Lebensbilder", einer Biografie, die sehr gut und vor allem anhand vieler Originalquellen die Stationen des Lebens von Wilhelmine von Lichtenau erläutert, "Das künstlerische Engagement Lichtenaus" und "Lichtenau als Auftraggeberin".

Der zweite Teil vollzieht Wilhelmine von Lichtenaus Entwicklung von der Schülerin und späteren Beraterin des Kronprinzen und Königs hin zu einer wirklichen Kunstkennerin und Mäzenin nach. Hierbei werden unter anderem Projekte genannt, an denen die Gräfin vor allem bezüglich der Entwürfe von Interieurs ausgesprochen selbstständig agierte, darunter ihre Häuser, jedoch auch Räume des Königs, die man heute noch in der von Lichtenau gestalteten Form besichtigen kann. Sie hatte rasch gelernt, wo man hochwertige Materialien erwerben und wie man diese miteinander geschmackvoll kombinieren konnte.

Auch ihre Rolle als Mäzenin sollte man nicht unterschätzen. Sie hatte auf ihrer ausgedehnten Italienreise einige interessante Leute rund um den Kunstbetrieb kennen gelernt, und es gelang ihr, mehrere gute Künstler nach Berlin zu holen.

Der dritte Teil befasst sich mit den Konventionen des preußischen Hofs bezüglich des Verhältnisses zwischen adligen Auftraggebern und Künstlern gegen Ende des 18. Jahrhunderts, der Situation also, die Wilhelmine von Lichtenau vorfand, als sie begann, sich als Mäzenin zu betätigen. Sehr gut vermag der Autor aufzuzeigen, dass diese Rolle dem entsprach, was von einer Mätresse ihrer Zeit erwartet wurde: Die Königin spielte ihre Rolle als fromme, tugendhafte Mutter der legitimen Kinder des Königs, und der Mätresse blieb das überlassen, was man heute als "Glamour" bezeichnen würde; hierzu gehörte auch die Förderung der Künste.

In diesem Teil des Buchs kristallisiert sich heraus, dass Wilhelmine von Lichtenau einen nicht zu unterschätzenden Anteil hatte an Aufkommen und Entwicklung des Klassizismus in Preußen. Sehr gut lässt sich dies auch anhand des großzügigen Bilderteils in der Mitte des Buchs nachvollziehen, der nicht nur Porträts der wichtigsten Personen um Wilhelmine von Lichtenau und ihrer selbst zeigt, sondern auch zahlreiche ihrer Projekte. An dieser Stelle sei zudem noch einmal betont, dass der Autor, wo immer möglich und sinnvoll, Quellen sprechen lässt, meistens Ausschnitte aus Lichtenaus Korrespondenz.

Das Buch wendet sich ebenso an ein Fachpublikum wie an Laien mit Interesse an der Figur der Wilhelmine von Lichtenau und den von ihr unterstützten und initiierten Entwicklungen und einzelnen Projekte. Vorkenntnisse können bei der Lektüre von Nutzen sein, sind jedoch keineswegs erforderlich.

(Regina Károlyi; 02/2008)


Alfred Hagemann: "Wilhelmine von Lichtenau. Von der Mätresse zur Mäzenin"
Böhlau Verlag Köln, 2007. 331 Seiten.
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