Steffen Guido Fleischhauer: "Enzyklopädie der essbaren Wildpflanzen"

1500 Pflanzen Mitteleuropas mit 400 Farbfotos

Quer durch den "Gemüsegarten": von Abies bis Zostera marina


Hand aufs Herz: Wer vermag die wildwachsenden Pflanzen der mitteleuropäischen Fluren bei ihren (tatsächlichen) Namen zu nennen? Und wer weiß Bescheid über Genießbarkeit, Geschmack und Wirkung des alljährlich im Frühling ringsum artenreich sprießenden Grüns?

Steffen Guido Fleischhauer hat sich der Herausforderung, diesbezüglich umfassende Aufklärungsarbeit zu leisten, gestellt und eine beeindruckende Enzyklopädie der essbaren Wildpflanzen verfasst, wobei das Vermitteln von seriösen, gesicherten Informationen im Vordergrund stand und die Angaben zu den einzelnen Pflanzen präzise und recht knapp (im Schnitt werden pro Seite sechs Pflanzen abgehandelt) gehalten sind. Dass den Menschen westlicher Prägung Jahrhunderte altes und lange Zeit bewahrtes (weil lebensnotwendiges) Wissen erschreckend schnell und gründlich abhanden gekommen ist, kann als bedauerliche Entwicklung bezeichnet werden, der dankenswerterweise mit einem schönen Band wie diesem entgegen gesteuert wird. In früheren Zeiten stand es außer Frage sich von denjenigen Pflanzen zu ernähren, welche die lokale Flora im Verlauf des Jahres zu bieten hat. Die lange Zeit alles Natürliche beharrlich zurückweisende Konsumgesellschaft hat die Grundlagen ganzheitlich gesunder Ernährung geradezu pervertiert, indem andere Nahrungsmittel als jene aus heimatlicher Flur über den grünen Klee gelobt wurden. Allerdings holen gerade Köche jüngerer Generationen die Wildpflanzen in letzter Zeit aus dem unfreiwilligen kulinarischen Dornröschenschlaf, und Genießer entdecken die herzhaften Aromen der zu Unrecht verschmähten Gewächse als Bereicherung ihres Speisezettels.

Dem Hauptteil des Buches, dem A-Z der essbaren Wildpflanzen, stellt der Autor einleitende Kapitel hinsichtlich seiner Erfahrungen die Verwendung einheimischer Gewächse betreffend sowie einen historischen Abriss der Bedeutung von Nahrungsmitteln aus dem Reich der Pflanzen voran und beleuchtet die Rolle der allzu oft geringschätzig als "Unkräuter" abgetanen Wildformen. Der Anblick zahlreicher Pflanzen, der manches Gärtners Herz bisher vielleicht nicht unbedingt höher schlagen ließ (und wenn, dann eher nicht aus Freude), wird dem aufgeschlossenen Koch möglicherweise das Wasser im Mund zusammenlaufen lassen; wenn es sich beispielsweise um Brennnessel, Löwenzahn und Gänseblümchen handelt.
Bevor es nun ans Erkennen und Erfahren geht, ermöglichen informative Tabellen Vergleiche von Wild- und Kulturgemüse, was den Vitamin-, Wasser-, Reineiweiß- und  Mineralstoffgehalt anbelangt, und - soviel sei an dieser Stelle verraten - die Wildformen schneiden aus ernährungswissenschaftlicher Sicht deutlich besser ab als vergleichbare Zuchtformen.

Der Aufbau des A-Z der essbaren Wildpflanzen (ab Seite 20 bis Seite 376) wurde nach folgendem Schema gestaltet:
Lateinische botanische Bezeichnung, deutscher Name, (zutreffendenfalls) Hauptblütezeit, Verwendung als Genuss- oder Nahrungsmittel (darunter fallen z. B. Angaben hinsichtlich der verwendbaren Pflanzenteile), Vorkommensschwerpunkt in der Vegetation Mitteleuropas, (falls erforderlich) Kennzeichnung der Giftigkeit. Die den schriftlichen Ausführungen in 400 Fällen zur Seite gestellten Farbabbildungen zeigen die teils grünenden, teils auch blühenden Gestalten in voller Pracht, was die Bestimmung vor Ort sicherlich erleichtert. Leider dürfte ebendies bei jenen Pflanzen, die nicht abgebildet sind, keineswegs so einfach gelingen, da keinerlei "botanische Steckbriefe" abgedruckt sind, welche die jeweiligen charakteristischen Merkmale (Aussehen der Wurzeln, Stängel, Blätter und Blüten) auflisten. In Steffen Guido Fleischhauers Vorwort liest man: "(...) Darüber hinaus ging es mir aber auch darum, die gesundheitliche, esskulturgeschichtliche und gärtnerische Bedeutung essbarer Wildpflanzen aufzuzeigen." Ohne Zweifel ein gleichermaßen ehrenvolles wie anspruchsvolles Anliegen, dessen konsequente Umsetzung vermutlich ein weitaus dickeres Buch ergeben hätte. Anmerkung: Laut "DUDEN" ist eine Enzyklopädie "ein Nachschlagewerk, in dem der gesamte Wissensstoff aller Disziplinen oder nur eines Fachgebiets in alphabetischer oder systematischer Anordnung dargestellt ist."
Im Gegensatz zu vergleichbaren Pflanzenbüchern finden sich in dieser Enzyklopädie keinerlei Angaben über Wuchshöhen oder (heilkräftige) Wirkstoffe der jeweiligen Gewächse. Auch wurde auf die Angabe volkstümlicher Namen für die Pflanzen verzichtet, was nach Ansicht der Rezensentin jedoch gerade bei einem Buch, das für sich in Anspruch nimmt, altbewährtes Wissen zeitgemäß aufzubereiten, eine nette Ergänzung sein könnte, weil den Bezeichnungen, die der Volksmund den Pflanzen gegeben hat, Aufschluss über Geschmack oder auch Verwendung geben. Überdies sind die gewählten deutschen Bezeichnungen nicht in allen deutschsprachigen Regionen verbreitet (Beispiel: Die "Pflaume" ist anderswo als "Zwetschke" bekannt).

Jedenfalls bietet das A-Z sozusagen "alte Bekannte", zu denen Holunder, Melde, Borretsch, Beinwell, Guter Heinrich, Erdbeerspinat und Sanddorn zählen, wie auch interessante kulinarische "Wiederentdeckungen", darunter Klette, Gewöhnlicher Natternkopf, Levkoje und Gemeine Fichte.
Außerdem finden sich kuriose Verwendungsmöglichkeiten wie diese: Das Stängelmark der Gewöhnlichen Sonnenblume kann im Sommer als Kaugummi genossen werden!

Anschließend an das A-Z der essbaren Wildpflanzen gibt Steffen Guido Fleischhauer Tipps zur Verwendung und Zubereitung der geernteten pflanzlichen Schätze, listet Grundrezepte für Salate, Suppen, Bratlinge, Eierspeisen, gekochtes, gedünstetes, gedämpftes, gebratenes oder frittiertes Gemüse auf und gibt Rezeptbeispiele für Gemüsefüllungen, Eintopfgerichte und Gemüseaufläufe, eingelegtes Gemüse, Saucen, Brotaufstriche, Öle, Pasten, süße Dessertgerichte (Wildblütenpudding!), Brot, Kuchen (Wildpflanzenrührkuchen!), Torten, Süßigkeiten, Getränke (Wildpflanzentee, -kaffee, -schnaps!), ...

Darauf folgt das Kapitel "Essbare Wildpflanzen verbinden Landschaft und Menschen", worin die Notwendigkeit des bewussten Umgangs mit (den Gaben) der Natur betont wird, und schließlich wendet sich der Autor im Abschnitt "Der eigene Wildpflanzengarten" mit Vorschlägen an all jene, die ein Stückchen Grün ihr Eigen nennen.

Zuletzt machen ein Quellenverzeichnis sowie eine Auflistung nützlicher Adressen, ein Rezeptverzeichnis (von "Aromaöl" bis "Würzmus") und ein alphabetisches Verzeichnis der Pflanzennamen nach deutschen Bezeichnungen das Buch zu einem alles in allem guten Nachschlagewerk.

Steffen Guido Fleischhauer ist Diplom-Ingenieur für Landschaftsplanung und Landschaftsarchitektur, er arbeitet an der Fachhochschule Weihenstephan und beschäftigt sich seit vielen Jahren mit essbaren Wildpflanzen. Steffen Guido Fleischhauer sammelte quer durch Mitteleuropa Erfahrungen in der Ernährung mit Pflanzen aus der freien Natur. Heute bietet er geführte Wanderungen, Naturerlebnisreisen, Vorträge und Seminare zum Thema "Essbare Wildpflanzen" an.

(kre; 05/2003)


Steffen Guido Fleischhauer: "Enzyklopädie der essbaren Wildpflanzen"
AT Verlag, 2003.  412 Seiten, 417 Farbfotos.
ISBN 3-85502-889-3.
ca. EUR 54,-.
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http://www.essbare-wildpflanzen.de/