Rémi Brague: "Die Weisheit der Welt"

Kosmos und Welterfahrung im westlichen Denken


Die Entstehung und Ausformung der antiken und mittelalterlichen Philosophie und ihr rascher Untergang nach Kopernikus

Wenn wir heute davon reden, dass ein Mensch auf die Welt gekommen ist oder sie verlassen hat, machen wir uns kaum Gedanken über die Bedeutung des Begriffs "Welt". In der Neuzeit verbinden wir damit lediglich die Gesellschaft der Menschen, während in den archaischen und antiken Kulturen, die Philosophie und Physik/Astronomie noch nicht trennten, andere, wesentlich weiter gefasste Weltbilder vorherrschten. Die archaischen Kulturen (zum Beispiel in Mesopotamien) besaßen noch kein Wort, um den Begriff "Welt" zu benennen; sie zählten dessen Elemente auf. Es waren die Griechen, die mit dem Kosmos ein Wort fanden, das die Erde einschließlich toter Materie und Lebewesen, aber auch die Sphären des Himmels und die Himmelskörper bezeichnete.

Im antiken Griechenland waren Kosmos und Welt stets Gegenstände ausführlicher Betrachtungen. Das Wort "Kosmos" bedeutet ursprünglich Schönheit im Sinne von Ordnung. Doch schon ab Sokrates erfuhr der griechische Weltbegriff zahlreiche Veränderungen, nicht zuletzt durch Platon sowie die Epikureer. Später wurde das Weltbild des Alten Testaments oder vielmehr der Juden in die europäische Philosophie integriert. Zum Ende der Antike hin verquickten sich christliche Ideen und Auffassungen mit der überlieferten Welterfahrung. Im frühen Mittelalter schließlich fand der Islam auf der Basis dieser Philosophie eigene Wege, die Welt zu betrachten; in der Folge kam es gelegentlich zum Austausch.

Als Kopernikus die Sonne in die Mitte des Sonnensystems rückte und Novae und Kometen immer deutlicher die Veränderlichkeit des Himmels bewiesen, wurde der bislang gültige Kosmosbegriff rasch abgelegt. Mensch und Natur trennten sich in der Wissenschaft voneinander, die Welt wurde (wieder) anthropologisch gedeutet, und zwischen Kosmologie und Universum gibt es keine Verbindung mehr.

Rémi Brague vermittelt ausführlich und trotz des sehr hohen Anspruchs gut verständlich und nicht zu trocken die komplizierte Entwicklung der Weltbetrachtung und -erfahrung in über zweieinhalbtausend Jahren. Dabei geht er auch auf interessante Lehren wie die Gnosis ein, die sich längerfristig nicht durchgesetzt haben. Der Leser erhält eine klare Vorstellung von den Einflüssen der Religionen und philosophischen Schulen untereinander, aber auch jenen neuer astronomischer und physikalischer Erkenntnisse, durch die sich der Blick auf den Kosmos änderte.

"Die Weisheit der Welt" ist eines jener seltenen Bücher, die den Horizont spürbar erweitern - vor allem, wenn man bereits einige philosophische Grundkenntnisse mitbringt - und das Verständnis für die historischen Entwicklungen in Europa und den angrenzenden Gebieten fördern.

Die sehr gut durchdachte Gliederung und der Anhang mit Erläuterungen, einem umfassenden Quellenverzeichnis und einem äußerst gründlichen Register machen es dem Leser leicht, sich zurechtzufinden.

Die Ausstattung sowie Lektorat und Korrektorat überzeugen ebenfalls. Für Menschen, die geschichtliche, philosophisch-religiöse und anthropologische Zusammenhänge in unserer Kultur begreifen möchten, ist dieses Buch gewiss eine sehr aufschlussreiche Lektüre.

(Regina Károlyi; 12/2005)


Rémi Brague: "Die Weisheit der Welt"
Aus dem Französischen von Gennaro Ghirardelli.
C.H. Beck, 2005. 381 Seiten.
ISBN 3-406-53521-6.
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Rémi Brague ist Professor für Philosophie an der Universität München und an der Université Paris I - Sorbonne.