Rupert Riedl: "Meine Sicht der Welt"

"Ich plädiere für die Position eines optimistischen Kulturpessimisten oder umgekehrt. Große Chancen würde ich unserer Gesellschaft nicht geben. Aber reiner Pessimismus ist langweilig. Vielleicht gehört das Folgende in die Kategorie der Realutopien."

(Rupert Riedl; gegen Ende seiner literarischen Weltbetrachtung)


Ein Buch, das dem Leser Konzentration und Durchhaltevermögen abnötigt, hat Rupert Riedl geschrieben. Das gewiss, doch wer zu diesem Opfer bereit ist, wird seinen Lohn in Gestalt eines wahren Wissenskosmos für sich einfahren. Und dies ist schon immerhin etwas. Außerdem, wer hätte schon erwartet, dass ein Denker von Weltgeltung - und dieser ist Rupert Riedl zweifellos - sein Publikum nicht fordern würde? Belangloses im netten Plauderton unters Volk zu mischen, ist seine Sache nicht. Wer Riedls Schriften kennt oder ihn von seinen Vorlesungen im "Biologischen Zentrum" der Universität Wien noch in Erinnerung hat, wird ihn gerade deswegen schätzen. Er vermittelt Wissen und eine Wissenschaft, die jedenfalls das Denken, wenn nicht sogar das Leben seiner Rezipienten prägen.

Rupert Riedl spannt einen Bogen aus intellektueller Wolllust von den Grundprinzipien des Daseins bis hin zur höchsten menschlichen Kultur, in Kunst, Religion und Philosophie. Sein Begriff von Welt ist, gemäß dieser, hierarchisch gegliedert und erschließt sich in Schichten gedacht schrittweise als Betrachtung von Kosmos, Leben, Vernunft und Kultur. Es ist ein Sehen mit dem inneren Auge, das nicht nur ein äußeres Dasein wahrnimmt, sondern dazu Stellung bezieht, mitfühlt und Sorge für unwiederbringliche Dinge bekundet, die der Mensch in seiner unermesslichen Gier und Kurzsicht zu verschwenden trachtet. Eine letztlich maßvolle Weltsicht, die nach dem hohen Ethos strebt und in letzter Konsequenz zu einem verantwortlichen Umgang mit den Werten einer leicht verletzlichen Ordnung des Lebens aufruft. Doch nicht eine ökologische Strafpredigt erwartet den Leser, sondern geballter Mut zur unerhörten Redlichkeit, die sich nicht scheut auch unbequeme Wahrheiten anzusprechen.

Es lohnt sich nun, näher darauf einzugehen. Einfach deswegen, weil es interessant ist, was Riedl zu sagen weiß. Zu Beginn liest sich das Buch wie eine Einführung in die Theorie wissenschaftlichen Denkens, ist Erkenntnislehre und Philosophenportal zugleich. Da muss man durch. Und der Rezensent hat diese Mühen gerne auf sich genommen. Wir begegnen hierbei Aristoteles und seinen "vier Ursachen": causa efficiens, materialis, formalis und finalis. Die Ursachen der Wirkmacht, der Materie, der Daseinsplanung und Normierung und letztlich der Zwecke und Ideale, nach welchen wir streben, sie sind in unserem Denken. Doch sind sie auch in der Welt? Wesentlich ist, hier kommt es zu einer ebenso komischen wie tragischen Aufspaltung des Weltbilds, zumal sich der typische Naturwissenschafter mit der "causa efficiens" begnügt (die bloße mechanische Abfolge von Ursache und Wirkung), hingegen der lupenreine Geisteswissenschafter das Dasein einzig aus der "causa finalis" (die Zweckgerichtetheit) zu begreifen sucht. Sie gesellen sich widerstreitenden Weltanschauungslagern hinzu, verstehen sich als Rationalisten vs. Empiristen und als Materialisten vs. Idealisten. Die Geister scheiden sich. Wechselseitiges Begreifen verschwindet aus der verödeten Geisteswelt.

In weiterer Folge reflektiert Riedl das Leben als einen physikalisch ganz unwahrscheinlichen Zustand von Ordnung, das nur durch "Fressen von Ordnung" existieren kann, fragt nach der Herkunft von Metaphysik, nach Eros und Sex, philosophiert über Glauben und Erkenntnis, berichtet über den Konvertiten Paulus, dessen Briefe an die Korinther somit an einen zentralen Umschlagplatz von Schwindlern, Halsabschneidern und Huren der alten Welt adressiert waren, ein frühes "schmutziges" Christentum, das noch mit dem "Jesus in schlechter Gesellschaft" übereinstimmt, aber bald schon, auf Platons Annahme einer Weltseele zurückgreifend, in das Schöne, Gute, Wahre und Ewige christlicher Philosophie münden wird. Das Ergebnis dieser Entwicklung befindet Riedl als bombastisch werdende Kirche und eine großartige Religion des Christentums voll humanitärer Würde. Worin sich, so Riedl, für uns die hoffnungsvolle Perspektive eines hohen Ethos eröffnet, deren Träger heute jedoch nicht mehr das Christentum ist, sondern die so genannten NGOs ("Nichtregierungsorganisationen"), die für eine Erhaltung der Umwelt und humanistischer Werte eintreten und deren gemeinsamer Sinn die Durchsetzung eines hohen Ethos im globalen Miteinander der Menschen ist.

Um es jetzt nicht zu sehr breit zu treten: Die historische Entwicklung des Denkens führt zu dessen Spaltungen und in einem gewissen Sinne auch zu dessen Verkümmerung. Ein Prozess mit fatalen Folgen. So führt es Rupert Riedl sachkundig aus und lässt dabei einen Pessimismus durchklingen, der gerade noch durch ein wenig heitere Ironie abgemildert wird. Das Unwiederbringliche ist bedroht.
"Wir leben zwischen schöpferischen Freiheiten und geordneter Gesetzlichkeit in einer Welt des gebändigten Zufalls; in diesem Kosmos wie in jeder Gesellschaft." Mit diesen Worten umschreibt Riedl die Logik, der menschliches Leben unterliegt. Was fehlt, ist die Einsicht des Menschen in seine Daseinsbestimmung. Deswegen bedarf es einer "Abklärung", die mit der Besinnung auf das menschliche Maß das Regulativ sein kann. Riedls Buch gewinnt nun an polemischer Schärfe. Die Grundlagen erforderlichen Wissens sind gelegt, die Kritik kann einsetzen. Der Autor schreibt - aus eigener leidvoller Erfahrung berichtend - von der "unheiligen Allianz" zwischen Forschung und Wirtschaft, die den Praktiker und weniger den kritischen Denker schätzt und beklagt in diesem Zusammenhang das Aufkommen eines "Ethos der Tüchtigkeit", womit "Macher" gezeugt werden, die "forsch der Welt zu Leibe rücken." Nichtsdestotrotz seien unsere Universitäten noch nicht gänzlich verödet, doch die hingebungsvollen Geister, die man dort noch antreffen könne, sind Auslaufmodelle in unserer Zeit. Die sich vom Neoliberalismus zum Turbo-Kapitalismus wandelnde Weltwirtschaftsordnung droht dem zentralen Ethos menschlichen Forschens, nämlich Erkenntnisse allen zwecks Kritik und Anwendung zur Verfügung zu stellen, den Garaus zu machen. Forschung dient zusehends nur noch dem Kapitalverwertungsinteresse der Konzerne. Ihre Ergebnisse sind Instrument und Legitimation um in diese Welt einzugreifen, ohne sie verstanden zu haben.

Hat das Buch bis dahin dem Leser noch eine gewisse - wenn auch (geistige) Frucht bringende - Mühsal abgenötigt, so entfaltet sich der Text nun zur anregenden kulturkritischen Polemik. Beinahe zornig werden jetzt Riedls Ausführungen. Die Geschäftswelt hat die Kunst vereinnahmt. "Das Kunstwerk wurde zum Anlage- und Spekulationsobjekt." Und verderblich der Einfluss der Medien: "Der Wert ihrer Produkte wird nach Auflagezahlen und Einschaltziffern gemessen, und man hat das nicht als Warnung verstanden." Überhaupt trete Gerümpel, Gekritzel und Glossulalie zusehends an die Stelle ernsthaften Kunstschaffens. Gar vieles, was sich als kulturelle Opposition, Freigeisterei und Bürgerverschreckung inszeniere, sei tatsächlich nichts als Juxtreiberei zum Hohne eines snobistischen Publikums. Duchamp, Dubuffet und Picasso, die Vorreiter der Avantgarde, hätten sich dazu ja auch recht freimütig geäußert: "Ich werfe ihnen meinen Nachttopf ins Gesicht und sie bejubeln meine Kreativität."
Und zum Glauben gesagt: Die Narretei des Calvinismus und seiner Prädestinationsideologie zuzüglich der Folgeentwicklungen daraus, hat uns "zuletzt die Globalisierung und den amerikanischen Neokolonialismus eingebracht". "Das hat schon Max Weber im 19. Jahrhundert vorhergesagt. Niemand hat hingehört. Die Kirche hat geschwiegen und dann Kanonen gesegnet." Angesichts des gedankenlosen Materialismus und der alltäglich praktizierten Dekadenz im Westen ist Riedl selbst noch die islamische Militanz gar nicht so verwerflich. Der Bombenterror dürfe nicht abseits des Wirtschaftsterrors betrachtet werden und es frage sich, inwieweit das Eine durch das Andere bedingt ist. Es fällt schwer, dem mit Argumenten zu entgegnen. Vorsichtig formuliert: Riedl liegt mit seiner polemischen Kritik wohl nicht völlig daneben. Vielleicht ist sie sogar zutreffender als uns lieb sein mag, die wir eher Profiteure globaler Ungleichheitsverhältnisse sind, jedenfalls jedoch als Mitteleuropäer einer Minderheit ökonomisch Begünstigter zugehören, deren Wohlleben mit dem Elend anderswo kontrastiert.

Das Finale schließlich, eine Abhandlung über "Staat und Politik", ist grandios. Riedl deckt Aufspaltungen und Einseitigkeiten in der herrschenden Weltsicht auf und fügt sie wieder zueinander bzw. zelebriert Perspektiven der Weltbetrachtung, die uns nicht geläufig sind, zumal sie für gewöhnlich ganz automatisch ausgeblendet werden. Auch jetzt kommt Polemik nicht zu kurz, etwa wenn der an den Schulen gepflegte Unterricht als Raubritterideologie denunziert wird, welche Geschichte völlig unreflektiert nach Maßgabe des Faustrechts begreiflich macht.
Und nun, ganz unvermittelt, eine Kritik der politischen Herrschaftsordnung, regional und global, wobei der Biologe - seinem interdisziplinären Ideal gemäß - in die Rolle des Politologen schlüpft: Unsere Demokratien, so Riedl, hätten die Ebene einer Wechsel-Oligarchie noch nicht wirklich verlassen und laufen überhaupt Gefahr, zu einer Diktatur der Dummen zu verkommen. Um dieser Tendenz zu entgegnen, sei es angedacht, ob nicht Stimmen auch gewogen werden sollten. Womit sich Riedl einmal mehr als Freund des brisanten Gedankens vorführt, denn das allgemeine, gleiche Wahlrecht zu hinterfragen, heißt einer "Heiligen Kuh" unsanft an die Kehle fahren. Der Einrichtung des Staates nun misstraut Riedl, da die Erfahrung lehre, wie rasch die absichtsvolle Schädigung des anderen Staates als Staatsräson Legimitation findet. Also zu einer besonderen Form der Vernunft stilisiert wird, die rechtfertigt, was ansonsten auf anderer Daseinsebene strikt untersagt ist: Die Anwendung blanker Gewalt unter Vorgabe von mehr als fadenscheinigen Rechtfertigungsgründen.

Das alles, was jetzt angeführt, sind bloß unruhig flackernde Schlaglichter aus Riedls Buch; Gedankensplitter, die auf Verkehrtes und allzu Verkehrtes hinweisen. Ein Anderes ist ihm das Hauptanliegen, ihm, der als intimer Kenner unserer Lebensgrundlagen um die Grenzen des Wachstums Bescheid weiß. Wirklich bedrohlich für das Leben auf dieser Erde ist der ökonomisch vermittelte Wachstumsfetisch, der (über die Zinstheorie beschriebene) Wachstumsdruck des Kapitals, denn dieser ist widernatürlich. Das Finanzkapital ist bestrebt ins Endlose zu wachsen und tut alles für die Erreichung dieses Ziels. Jedoch: "Bäume wachsen nicht in den Himmel, Populationen werden durch Katastrophen, Güter durch ihren Zerfall begrenzt" schreibt Riedl und spricht von "unserer Wachstumskatastrophe", die nicht bloß eine ökologische, sondern vielmehr auch eine geistige Krise ist, denn sie tarnt sich als Erfolg, der uns Wohlstand bringt, fantasiert eine Welt der Entgrenzung und maßloser Anspruchsberechtigungen, doch ist sie in der Tat "sämtlichen Regulationsgesetzen der Natur so entgegengesetzt, dass das all unseren Verdacht verdient."

Was nun die weitere Entwicklung der modernen Gesellschaften betrifft, ist Riedl pessimistisch gestimmt. Einen Hoffnungsschimmer bezieht er aus der Geschichte, denn so wie das römische Imperium (unbeabsichtigt) den höheren Ethos eines frühen Christentums hervorgebracht hat, so könnte der amerikanische Imperialismus gleichermaßen (vielleicht gibt es da eine quasi Gesetzmäßigkeit) einen höheren Ethos des Menschen- und Daseinsschutzes hervorbringen - die Vernunft des engagierten Bürgers, versammelt in NGOs, von den Waldschützern bis zu den Globalisierungsgegnern. Diese trachten, weltweit agierend, "wieder nach einer höheren Moral und bringen sich, wie die frühen Christen, selbst in Gefahr." Und dann, ganz typisch für Riedls Lust an der intellektuellen Waghalsigkeit: "Wie der Widerstand im Islam hierzu gehört, bleibt noch zu verstehen. Zweifellos ist dort der Widerstand nicht gewaltlos, so wie er bei den NGOs gedacht ist, sondern kriegerisch. Aber man sagte mir, dass der Koran wie das frühe Christentum eine durchaus nicht kapitalistische Handelsmoral vorsieht. Die Ölscheichs freilich ausgenommen." Riedl stellt in diesem Zusammenhang klar, dass Terrorismus nicht einfach und schon gar nicht einseitig verstanden werden dürfe, denn jeder Terrorist erweise sich auf der Gegenseite als Patriot. Soweit die Weltsicht eines radikalen Denkers, den keine öffentliche Stimmung für oder gegen etwas einschüchtern kann.

Wie es jetzt um die Weltsicht des großen Biologen abschließend bestellt ist, geht aus dem Buch nicht ganz eindeutig hervor. Zu vielschichtig und facettenreich ist der Text um ihn auf eine einfach Losung reduzieren zu können. Die Kapitalismuskritik fällt teils so scharf aus, dass man einen Text aus der Feder eines jugendlichen Studentenrevoluzzers zu lesen vermeint. Zur Durchsetzung einer Idee von Weltvernunft erwägt Riedl an einer Stelle den Gedanken europäischer Autonomie; als Instrument gegen den globalisierten Wirtschaftsimperialismus. Nun, dieser Mann ist im Kopf jung geblieben, bzw. eben unbestechlich in seiner Weltsicht. Als Biologe ist er Lebensforscher und deswegen immun gegenüber schalen Verlockungen des "Freien Marktes", jedoch vernünftig genug um die Wirtschaft als Quelle allen Wohlstands - letztlich auch des geistigen Wohlbefindens - lobend zu würdigen. Was der Weltwirtschaftsordnung von heute allerdings fehlt ist das rechte Maß, die humanistische Gesittung. Und wer Forschung und Bildung dem Mammon unterwirft, mag damit kurzfristigen (ökonomischen) Erfolg haben, auf die Dauer betreibt er solcherart jedoch den Untergang des Menschlichen.

Ein Letztes noch: Riedls Töchter haben erst kürzlich ein überaus aufreizendes Buch voll der köstlichen Provokationen zum Geschlechterverhältnis herausgebracht. "Mimosen in Hosen - Eine Naturgeschichte des Mannes" betitelt sich die Lektüre und ist um keine Untergriffigkeit verlegen, wenn es darum geht der - bislang so verstandenen - naturgegebenen Dominanz des Mannes über die Frau eins auszuwischen. Und wer sich fragt, wer denn den beiden Damen diesen Mut zur intellektuellen Unverfrorenheit beigebracht hat, der sollte des Vaters Bücher lesen und wird bald mit der Meinung sein, dass der Apfel nicht weit vom Stamm fällt. Nicht so forsch wie seine Töchter, aber in seiner intellektuellen Radikalität kaum noch zu überbieten, ist Riedl kein Knecht verordneter Korrektheitsdiktate. Rupert Riedl verabscheut selbstgefällige und aus Geschäftstüchtigkeit inszenierte Freigeisterei, doch ist er selbst Freigeist, der - darin ganz Citoyen - öffentlich denkt, was er für richtig hält. Dies natürlich allemal fundiert begründend. Auch diese Haltung gehört dann wohl zu seiner Sicht der Welt. Die Aufklärung bedarf der Abklärung, postuliert Riedl, und ist in diesem Sinne selbst Aufklärer, der unmodisch und unzeitgemäß denkt, soweit sich dieses im Lichte kritischer Vernunft begründen lässt.

Der Rezensent gesteht hiezu ein Aha-Erlebnis ein. Und das wie folgt in höchst brisanter Sache: Der Begriff menschlicher Rassen ist seit den Nazi-Pogromen übel beleumdet, zumal im Namen einer pervertierten Rassenideologie unsagbare Verbrechen begangen wurden. Die Lehre von den Rassen ist seither akademisch erledigt, was Riedl für verkehrt befindet, da morphologische Menschenrassen eine Tatsache seien. Da bloß eine faktische Zweckmäßigkeit meinend, sei mit dem Rassebegriff nichts im Hinblick auf Gleichheit von Geburt, vor Gott und dem Richter in Abrede gestellt. Der Begriff von den Menschenrassen ist demnach historisch zwar anrüchig geworden, nichtsdestotrotz jedoch als Wirklichkeitsbeschreibung richtig. Warum also nicht darüber sprechen, wenn es niemandem zum Nachteil gereicht und es so verfahren richtig ist? Des Menschen Ausdifferenzierung (in Rassen) ist Folge und Voraussetzung seines Arterfolgs. Rassen haben eine arterhaltende Funktion. Monotypische Arten sterben leichter aus, weil sie sich schwer mit dem Finden und der Besiedelung neuer Nischen tun. Gerade im Sinne des moralisch gebotenen Weltethos appelliert Riedl deswegen an das Verständnis seiner Zeitgenossen, nebst den unwidersprochen akzeptierten menschlichen Universalien (Ausstattungen, die offensichtlich allen Menschen gleichermaßen mitgegeben sind) ebenso die Differenzierungen anzuerkennen, denn: "Unsere Überlebenschancen und unsere Formen des Mensch-Seins erhöhen sich, wenn wir unsere Differenzierungen wahrnehmen, achten und fördern. Das empfinden wir auch selbst."

Zugegeben, die wortwörtliche Formulierung dieses Gedankens sowie der daraus interpretierbare Gehalt klingen verdächtig, und was man sich daraus reimt, macht jedermann stutzig, der im Geiste politischer Korrektheitsregeln sozialisiert wurde. Und so mancher mag jetzt wie im Reflex nach der Faschismuskeule greifen, die immer schon ein beliebtes Instrument zur Züchtigung missliebiger Biologen und zur Disziplinierung ungenehmer Redensarten war. Konrad Lorenz, der vielleicht (seiner unbefangenen Leutseligkeit wegen) zuweilen einen etwas zu leichtfertigen Umgang mit Personen aller weltanschaulichen Geneigtheiten pflegte, konnte einst ein Lied davon singen. Anstatt jedoch aus politischer Überempfindlichkeit grobschlächtig aufeinander einzudreschen gilt es besser in Erwägung zu ziehen, mit der Weltsicht des Rupert Riedl - so unzeitgemäß und provozierend sie sich auch immer darstellen mag - eine Geistesgenossenschaft im Modus kritischer Loyalität einzugehen. Denn vieles daran scheint bedenkenswert und unsere Lebenssituation ist zu ernst, um sich mit ideologischen Starrsinnigkeiten aufzuhalten. Und sollte auch die Figur des ökologischen Mahners schon wieder nicht mehr en vogue sein, so sei dies nicht als Abschreckung verkannt, sondern als eine inspirierende Warnung, welche besagt, dass die Wahrnehmung der ökologischen Krise (die sich zur Apokalypse zu verschärfen droht) immer noch nicht über die Wechselfälle modischer Stimmungen hinausreicht.

Das Leben als Erkenntnis gewinnender Prozess, es manifestiert sich in Riedls Weltsicht. Die eben seine Sicht der Welt ist. Was es zu verstehen und zu verdauen gilt. Und dem angestrebten Weltethos mag das dann durchaus frommen, denn ein vertieftes Verständnis der Ordnung des Lebendigen geht in diesen Tagen dem moralischen Empfinden voraus.

(Harald Schulz; 01/2005)


Rupert Riedl: "Meine Sicht der Welt"
Seifert, 2004. 192 Seiten.
ISBN 3-902406-09-7.
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