Sibylle Bassler: "Die Weiße Rose"

Zeitzeugen erinnern sich


Keine Helden

"Die Chance, dass wir den Krieg überleben werden, war ja nur ganz gering. Da war's dann doch besser, dass man wenigstens etwas gegen diese Schweinehunde tut" - so die Kernaussage von Franz J. Müller, einem von acht interviewten Zeitzeugen, die in diesem Buch als Überlebende zu Wort kommen. Bassler möchte damit bei allem Respekt auch ein wenig den Mythos der Weißen Rose korrigieren und ergänzen, weil für sie bisher die Geschwister Scholl alleine zu sehr im Mittelpunkt des Münchner studentischen Widerstands gesehen wurden. Eigentlich empfiehlt es sich, die Zeittafel am Ende des Buches als erstes zu studieren, um dann die (subjektiven) Erinnerungen aus den Gesprächen der Zeitzeugen entsprechend (objektiv) ein- bzw. zuordnen zu können.

Die noch lebende Schwester von Sophie und Hans Scholl hat für Bassler den Anstoß gegeben mit ihrer Aussage: "Was mir ganz wichtig ist, dass Sophie und Hans keine Helden waren. Denn wenn sie als Helden betrachtet werden, dann ist das eine Entschuldigung auch für die anderen. Jeder kann dann sagen, zum Helden bin ich nicht geboren." Und so zeigt uns dieses Buch, wie junge, eigentlich lebensfrohe Menschen Freunde wurden und aus ihrer Abneigung gegen das NS-Regime die Widerstandsgruppe 'Weiße Rose' im Juni 1942 ins Leben riefen - wobei der Name von Hans Scholl erfunden, aber nie begründet wurde. Nach mehreren Flugblattaktionen und geheimen Versammlungen werden die Geschwister Scholl am 18. Februar 1943 verhaftet, weitere Verhaftungen von Freunden folgen, nach kurzen Prozessen kommt es zu brutalen Hinrichtungen. Für Bassler bedeutet die 'Weiße Rose' auch für uns heute noch "Wahrheit und Verpflichtung. Diese Menschen sind für ein besseres Deutschland gestorben, und ihre Zivilcourage sollte die moralische Basis für unseren Staat sein." Das klingt zumindest in der Theorie durchaus überzeugend.

Von Traute Lafrenz, der zeitweiligen Freundin von Hans Scholl, erfahren wir, dass der Kreis zunächst "keine bewusste Zielsetzung" hatte: Erst gab es diese Mischung von literarischen, schöngeistigen und religiösen Themen, und dann kamen plötzlich die Flugblätter raus. Das war ja nicht eine politisch geplante Sache." Lafrenz stuft die Aussagen von damaligen Mitgliedern sogar eher als realitätsfern ein. Jürgen Wittenstein hatte später erfahren, dass es ca. 350 Widerstandsgruppen in ganz Deutschland gab, die aber meist nichts voneinander wussten. U.a. macht er Hans Scholl den Vorwurf, dass die Flugblätter nur an Professoren und Studenten gerichtet waren, nicht aber an die übrige Bevölkerung.

Franz J. Müller geht mit den Deutschen ins Gericht, wenn er sagt, dass man damals sehr wohl wissen konnte, was passierte: "... es bedurfte keiner besonderen Intelligenz, sondern wachen menschlichen Denkens, um selbst der gelenkten Nazi-Presse zu entnehmen, was geschah. Wer es wirklich wissen wollte, der konnte es wissen. Aber viele wollten ja nicht einmal wissen." Susanne Zeller-Hirzel ist nach wie vor begeistert von den Formulierungen Hans Scholls: "Diese Flugblätter werden bleiben in der Geschichte Deutschlands, sie sind das Allerwichtigste. Die Worte, sie überdauern die Jahrhunderte!" Zeller-Hirzel ist davon überzeugt, dass die 'Weiße Rose' weiterhin "Wellen schlagen" wird.

Hildegard Hamm-Brücher war im lockeren Kontakt mit 'Weiße-Rose'-Leuten - sie sprachen über Literatur und besuchten Theateraufführungen - aber sie sprachen auch über "das seltsame Verschwinden von so vielen Menschen, insbesondere Juden." Sie hat aber auch den Mut zu dem Bekenntnis: "Dass ich so feige war, lag daran, dass ich damals einfach nur versuchte zu überleben." Und so mag es den meisten gegangen sein - und man muss es als legitimes Bedürfnis akzeptieren. Hamm-Brücher meint generell, dass die Mitglieder 'Weißen Rose' "keinen Aufruhr und keinen Umsturz geplant" hatten: "Sie wollten nur die Studenten an ihre Verantwortung erinnern. Das war eigentlich alles." Nicht auszudenken, wenn es im 3. Reich schon so etwas wie die RAF gegeben hätte - aber das war eben doch eine andere Generation.

Das vorliegende Buch dokumentiert jedenfalls in aller Nüchternheit authentische Versatzstücke einer kleinen Widerstandsbewegung aus dem Munde weniger Überlebender. Und immer wieder klingt durch, dass wir Nachlebenden auf die Wahrung der Moral in Politik und Gesellschaft achten sollen.

(KS; 09/2006)


Sibylle Bassler: "Die Weiße Rose"
Rowohlt, 2006. 256 Seiten.
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