Uwe Timm: "Rot"

"Die Farbe Rot hat die meisten Attribute. Scharlachrot, purpurrot, rubinrot, karminrot, dunkelrot, tiefrot, weinrot, blutrot, rostrot, hochrot, knapprot, blassrot usw."


Eine ernsthafte Geschichte über das Leben und die Liebe, die jeden Menschen wie einen Blitz treffen kann. Ein Buch als Hommage an die Farbe Rot, Farbe der Jugend und Leidenschaft. Farbe der Glut. Eine Farbe, die sowohl im Russischen als auch im Arabischen gleichbedeutend mit schön ist. Diese Farbe fließt durch den Roman, reißt mit und bietet der Gegenwart immer wieder Anknüpfungspunkte für die Vergangenheit. Thomas, der Protagonist dieses Romans, ist Beerdigungsredner und Jazzkritiker. Seine Gedanken sind oft genug als Reden an eine fiktive Trauergemeinde strukturiert. Bei einer der Beerdigungen begegnet ihm Iris, die ihn vorerst ziemlich irritiert und gleichzeitig betört. Iris ist sehr jung, verheiratet, könnte seine Tochter sein, und wird doch seine Geliebte. Ihr erzählt er immer wieder Details aus seinem bisherigen Leben. Durch den Tod eines ehemaligen Genossen, der testamentarisch ihn als Grabredner verfügt hat, wird er an seine politische Vergangenheit erinnert, die einigen Sprengstoff birgt. Durch seinen Rückzug ins Ausland hat er sich von dieser befreit und einfach sein Parteibuch nicht mehr erneuert.

Thomas philosophiert über das Leben und über das Altwerden. Er kann kaum fassen, dass es einmal eine Zeit gab, in der das Altwerden keine Rolle spielte, ja als für einen selbst nicht zutreffend empfunden wurde. Seit der Begegnung mit Iris ist ihm klar, dass er wahrscheinlich nie wieder mit einer so jungen Frau zusammen sein wird. Das Alter macht ihm plötzlich doch einiges an Kopfzerbrechen.

Trotzdem genießt er diese intensive, verrückte Liebe zu Iris in vollen Zügen, oder vielleicht besser gesagt zügellos. Als Iris ihm spontan erklärt, sie hätte mit Ben Schluss gemacht, empfindet er kurzzeitig ein Siegesgefühl in sich, um im nächsten Moment daran zu denken, dass sich sein Leben ändern, ja alles verkomplizieren wird.

Eine herrliche Liebesgeschichte der besonderen Art zwischen Einem, der den Tod in Szene setzt, und einer jungen Frau, die mit ihren kuriosen Lichtinstallationen das Leben beleuchtet. Ein sehr aktuelles Bild eines Lebens, vieler Stationen, Weiterentwicklung findet statt und ein Beweis dafür, dass in jedem Leben etwas Besonderes zu finden ist. Thomas trachtet immer wieder, hinter die Kulissen der Verstorbenen zu blicken und Dinge zu Tage zu fördern, die selbst den Angehörigen oft verborgen blieben. Ähnlich betrachtet er auch immer wieder sein Leben. Die Reflexionen rühren, handeln von ehemaligen Traumwelten, Widerständen und Resignation und der Suche nach dem Sinn des Lebens.

Ein wunderschöner, anspruchsvoller Roman voller interessanter Geschichten, Trauer, unglaublich viel Humor und einer faszinierenden Liebe.

Uwe Timm wurde 1940 in Hamburg geboren. Er machte zunächst eine Kürschnerlehre, später studierte er Philosophie und Germanistik in München und Paris. 1971 promovierte er über Camus. Er war Mitherausgeber der AutorenEdition. Von 1981 bis 1983 lebte er in Rom, es folgten längere Aufenthalte in Lateinamerika, Afrika und in New York. Heute lebt Uwe Timm mit seiner Familie in Herrsching am Ammersee. Für sein schriftstellerisches Werk wurde er mehrfach ausgezeichnet.
1989 erschien sein berühmtestes Kinderbuch "Rennschwein Rudi Rüssel", das den Deutschen Jugendliteraturpreis erhielt und auch verfilmt wurde. Nach eigenen Aussagen hat er inzwischen sein Programm als Jugendbuchautor endgültig abgeschlossen. Als Belletristik-Autor ist er allerdings weiterhin tätig.
Uwe Timm über sein Schreiben: "Ich schreibe immer so, dass ich den Schluss nicht weiß, das erhält die Spannung. Denn Erzählen heißt für mich auf Entdeckungsreise gehen, bei der sich alles, auch ich selbst, verändern kann."

(margarete; 10/2003)


Uwe Timm: "Rot"
dtv, 2003. 400 Seiten.
ISBN 3-423-13125-X.
ca. EUR 10,-. Buch bestellen

Ergänzende Buchtipps:

"Am Beispiel meines Bruders"

Ein kurzes Leben, das lange nachwirkt - Uwe Timm erzählt die Geschichte seines älteren Bruders.
Karl Heinz Timm, geboren 1924 in Hamburg, gestorben 1943 in einem Lazarett in der Ukraine.  - Erst nach dem Tod von Mutter und Schwester fühlt Uwe Timm sich frei genug, über seinen sechzehn Jahre älteren Bruder zu schreiben, der sich 1942 freiwillig zur SS-Totenkopfdivision gemeldet hatte und nicht mehr zurückkehrte. Der Neunzehnjährige lebt weiter in der Trauer der Eltern, ihren Erzählungen, den sprachlichen Wendungen, die für sein Schicksal bemüht wurden, aber auch in den Träumen des jüngeren Bruders, der kaum eigene Erinnerungen an ihn hat. Warum wurden diese Träume nach einem halben Jahrhundert immer drängender? Der Impuls, über den Bruder zu schreiben, sich ein Bild von ihm zu machen, von seiner Generation im Nazikrieg, erwächst bei Uwe Timm auch aus der Notwendigkeit, über die Voraussetzungen der eigenen Biografie Klarheit zu gewinnen. Es ist die Frage nach familiären Prägungen, nach Werten und Erziehungszielen, nach Liebe, Nähe und Respekt unter den Bedingungen des nationalsozialistischen Zivilisationsbruchs. Warum hat sich der Bruder freiwillig zur SS gemeldet? Wie ging er mit der Verpflichtung zum Töten um? Welche Optionen hatte er, welche Möglichkeiten blieben ihm verschlossen? Wo ist der Ort der Schuld, wo der des Gewissens bei den Eltern, die ihn überlebt haben?
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"Rennschwein Rudi Rüssel"
"Wir haben zu Hause ein Schwein. Ich meine damit nicht meine kleine Schwester..." Alles begann damit, dass Zuppi bei einer Tombola den Hauptpreis gewann: ein Ferkel. Rudi Rüssel verändert den Familienalltag gründlich. Aber der Hausbesitzer Buselmeier hat keinen Sinn für diese Art Haustiere. So zieht die Familie an den Rand eines großen Fußballfeldes. Hier kann der Vater, ein arbeitsloser Ägyptologe, Platzwart werden und Rudi in Ruhe Schwein sein. Doch dann entdeckt Hausschwein Rudi seine wahre Größe als Rennschwein...
Ein Lesespaß für die ganze Familie - mit und ohne Haustier.
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Zu den wenigen literarischen Zeugnissen der Studentenrevolte zählt Uwe Timms "Heißer Sommer". Mittlerweile ist das Buch selbst ein Stück Geschichte, das uneingeholte politische Erwartungen wach hält und die Atmosphäre eines bewegenden historischen Moments mit all seinen Spannungen, Aufbrüchen und beschleunigten Entwicklungen unvergessen macht.
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"Vogelweide"
Der große Roman über die Macht des Begehrens
Der neue, wunderbar choreografierte und vielschichtige Roman Uwe Timms erzählt mit hoher Intensität und zugleich fast meditativer Ruhe, präzise, schön, komisch und klug von der Macht des Begehrens, von den geheimnisvollen Spielregeln des Lebens und von der Kunst des Abschieds.
Ein Mann hat alles verloren, seine Freundin, seine Geliebte, seinen Beruf, seine Wohnung, er hat einen Bankrott hinter sich und ist hoch verschuldet. Nun lebt er für eine Weile ganz allein auf einer Insel in der Elbmündung, versieht den Dienst als Vogelwart. Ein geradezu eremitisches Dasein, das durch einen Anruf durcheinandergewirbelt wird. Anna kündigt ihren Besuch an - eben jene Anna, die vor sechs Jahren vor ihm nach New York geflohen ist und zuvor sein Leben komplett aus den Angeln gehoben hat. Und während Eschenbach sich auf das Wiedersehen mit ihr vorbereitet, seinen Alltagsritualen folgt, Vögel zählt und Strandgut sammelt, besuchen ihn die Geister der Vergangenheit, und es entfaltet sich die Geschichte von Eschenbach, Selma, Anna und Ewald.
Es ist die Geschichte von zwei Paaren, die glücklich miteinander waren und es nicht bleiben konnten, als Eschenbachs große, verbotene, richtige und falsche Leidenschaft für Anna entbrannte.
Uwe Timm lässt ein konturscharfes Bild unserer Gegenwart entstehen, in der die Partnerwahl einerseits von Optimierungsstrategien, andererseits von entfesselter Irrationalität geleitet wird - und immer auf dem Prüfstand steht. Ein Roman, der den Leser packt und wieder loslässt, auf dass er seinen eigenen Gefühlen und Wertvorstellungen nachspüren kann. (Kiepenheuer & Witsch)
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