Ignacio Tellechea: "Ignatius von Loyola"

"Wir müssen immer festhalten, um in allem das Rechte zu treffen: Von dem Weißen, das ich sehe, glauben, dass es schwarz ist, wenn die hierarchische Kirche es so bestimmt, indem wir glauben, dass zwischen Christus unserem Herrn, dem Bräutigam, und der Kirche, seiner Braut, der gleiche Geist ist, der uns leitet und lenkt zum Heil unserer Seelen. Denn durch den gleichen Geist und unseren Herrn, der die Zehn Gebote gegeben hat, wird gelenkt und geleitet unsere heilige Mutter Kirche." (Ignatius von Loyola, GÜ 365).


Ein Streiter für Kirche und Glauben zu werden, war Ignatius von Loyola nicht unbedingt in die Wiege gelegt. Der vermutlich 1491 auf Schloss Loyola, dem heutigen Kloster San Ignacio de Loyola in der Provinz Guipúzcoa geborene und am 31. Juli 1556 in Rom verstorbene Baske aristokratischer Herkunft, neigte in jungen Jahren eher zu geschlechtlicher Unzucht und kam wegen Raufhändel schon einmal auch mit dem Gesetz in Konflikt. Von aufbrausendem Temperament und schwärmerisch im Gemüt träumte er von einem Werdegang als heroischer Ritter und war ansonsten nicht mehr religiös als die meisten anderen jungen Leute seines Standes es waren. Auch für Ignatius war Religion demnach nur eine Nebensache, von der man achtungsvoll sprach, doch sich nicht näher damit befasste. Bei der Verteidigung der baskischen Feste Pamplona gegen aus Frankreich eingefallene Invasoren wurde Ignatius 1521 schwer verletzt. Ignatius überlebte die schwere Kriegsverletzung zwar, doch würde er als Kriegsversehrter nie wieder der rüstige Haudegen und Frauenheld von einst sein. Die erzwungene Abkehr von der Wohllebigkeit wie auch der lange und schmerzhafte Genesungsprozess leiteten eine Hinwendung zur christlichen Mystik ein. Ignacio, bis dahin ein Freund romantischer Ritterromane, befasste sich nun mit religiöser Literatur, führte das Leben eines Asketen, pilgerte 1523 bis 1524 nach Jerusalem, lebte von Almosen, um schließlich an den Universitäten Alcalá de Henares und Salamanca sowie ab 1528 in Paris die Theologie zu studieren. 1534 gründete er gemeinsam mit sechs Kommilitonen eine fromme Bruderschaft, womit der Grundstein zur späteren Gesellschaft Jesu (dem Jesuitenorden) gelegt war, welche 1540 von Papst Paul III. approbiert wurde und zu deren Generaloberst Ignatius durch die Gründungsmitglieder einstimmig gewählt wurde. Viel Feind, viel Ehr, galt ab nun, denn der junge Orden wurde auch wegen seiner Besonderheiten von einzelnen Kirchenfürsten, Theologen und insbesondere von den Dominikanern mehr oder minder offen angefeindet. So provozierte es, wenn Ignacio - ganz Tatmensch und ritualkritisch - das Orgelspiel und den gemeinsamen Chorgesang ablehnte, Praktiken der Selbstkasteiung als unsinnige Selbstschwächung verwarf und für die Mitglieder seines Ordens auf einen Ordenshabit als bloße Äußerlichkeit verzichtete, also keine uniformierende Amtstracht einführte. Denn das heiligende Werk, und nicht der äußere Schein, sei entscheidend, argumentierte der reformistische Denker in ihm und verwarf alle Gebräuchlichkeiten, die einem effizienten Ordensbetrieb im Wege stehen könnten. Man sagte ihm sodann Ketzerei nach, behauptete, seine Übersiedelung von Spanien nach Rom sei nichts als eine Flucht vor der spanischen Inquisition gewesen, und der Theologe Fray Tomás Pedroche zensurierte Ignacios Exerzitienbuch und beurteilte den Namen der Gesellschaft Jesu als "hochmütig und schismatisch", weil sie den Namen des Heilands für ihre Zwecke beanspruche. In einem Gutachten der einflussreichen theologischen Fakultät der Pariser Sorbonne wurde die Gesellschaft Jesu als Gefahr für den Glauben befunden, die den Frieden in der Kirche störe und wegen der oben ausgeführten Neuerungen das, in seiner überkommenen Praxis vermeintlich bewährte, Ordensleben an sich sabotierte. Als dann auch noch am 5. Mai 1554 der dem Orden feindselig gesinnte Kardinal Carafa zum Papst gewählt wurde, konnte Ignacio gewiss sein, dass seine letzten Jahre als Generaloberst ungemächlich sein würden. Und in der Tat versuchte Carafa, der sich nun Papst Paul IV. nannte, die Gesellschaft Jesu finanziell auszuhungern und scheute nicht vor üblen Schikanen gegen die Person des schon hochbetagten Ignacio zurück. Ignacio, der wie kein anderer auf das Papsttum vertraute, und der, gegen schwerwiegende Bedenken, in seinem Orden ein zusätzliches Gehorsamsgelübde gegenüber dem Papst eingeführt hatte, musste nun in den letzten Jahren seines Lebens, angesichts eines tyrannischen Papstes, die Grenzen seiner Papsttreue erfahren. Ignatius de Loyola starb 1556, drei Jahre vor Carafa, dessen Tod 1559 in Rom einen regelrechten Volksaufstand bewirkte. Ignatius wurde 1609 selig- und 1622 von Papst Gregor XV. heilig gesprochen. Das Ignatiusfest wird von der Kirche am 31. Juli gefeiert.

Ignacio Tellechea, Ordensmann und Professor für Kirchengeschichte an der päpstlichen Universität in Salamanca, erweist sich mit seiner Biographie als profunder Kenner des Ordensgründers und darüber hinaus als wortgewandter Stilist, der nicht einfach nur Fakten aus dem Leben des Ignatius de Loyola sachlich aneinander reiht, sondern mit psychologischem Scharfsinn Beweggründe zu deuten versteht, die das Handeln des heiligen Mannes anleiteten. Und so liegt uns nun eine wahrlich feinfühlige Biographie des großen Kirchenmanns vor, die dem interessierten Leser ein lebendiges und sehr menschliches Bild präsentiert, eine Charakteranalyse aus Fleisch und Blut, mit Seele. Ein Schwachpunkt dürfte der etwas apologetische Charakter des Buches sein, der wohl geeignet ist, die Heiligsprechung des Ignacio zu rechtfertigen, hingegen repressiven Eifer und folgenreiche Untertanenmentalität nur ganz beiläufig und ohne hinreichend kritische Würdigung erwähnt. So war Ignatius von Loyola ein Zeitgenosse von Martin Luther, Calvin und Erasums von Rotterdam, deren reformistische Vorstellungen der Baske allerdings nur feindselig ignorierte. Ignacio, dessen Selbstverständnis das eines Ritters Gottes war, verstand seinen Orden als Speerspitze gegen den Protestantismus in Europa und beabsichtigte schwerpunktmäßig die Zurückgewinnung des vom Katholizismus abgefallenen Deutschlands. Er schickte seine Ordensmänner als Kämpfer ins Gefecht, nach Köln, Ingolstadt, Dillingen, Wien. Dem deutschen Kaiser in Wien empfahl er repressive Maßnahmen gegen Protestanten, die an Härte nichts zu wünschen übrig ließen und wohl kaum im Geist christlicher Nächstenliebe formuliert wurden. Das militärische Denken des ehemaligen Soldaten Ignacio tritt uns aus vielen seiner Ideen entgegen, etwa auch aus dem Entwurf zu einem fantastisch anmutenden Flottenplan, der die pax christiana im Mittelmeer sichern sollte. Das alles verschweigt der Autor nicht, doch handelt er es über wenige Seiten ab, womit die Tatsache untergewichtet wird, nach der Loyola ein großer Stratege und Organisator der Gegenreformation war, welcher seinen rasch aufstrebenden Orden in den Dienst des Religionskrieges stellte, der zu jener Zeit aufflammte und letztlich in die Schrecknisse des dreißigjährigen Krieg von 1618 bis 1648 münden sollte. Dass die auf Anordnung von Loyola durch Petrus Canisius von Bayern aus angestachelten religiösen Spannungen wahrlich nicht Religionsfrieden zum Ziel hatten, sondern Eskalation bezweckten, wird einfach zu wenig bedacht, wenn man an die kriegerischen Folgen denkt. Die Jesuiten und ihr Generaloberst in Rom waren in jenen Tagen wohl eher kriegslüsterne Falken denn friedensliebende Tauben. Und bedenkt man die tragischen Folgen, so ist auch das auf Loyola zurückzuführende strenge Gehorsamsgelübde der Jesuiten gegenüber dem Ordensgeneral und zusätzlich gegenüber dem Papst nur zu zaghaft thematisiert. Ein Gehorsamsfetisch, der übrigens oft als Antithese zum vom Papsttum abgefallenen Protestantismus ausgelegt wird und zu dem manche auch meinen, Loyola hätte sich und seine Anhänger solcherart selbst gegenüber der Versuchung durch den Protestantismus immunisiert. Wie auch immer, der Kadavergehorsam gegenüber der römischen Zentrale hatte teils tragische Folgen, zumal die von Anfang an sozial sehr engagierten Jesuiten eben da wie dort mit ihren sozialen Projekten und Experimenten bei Mächtigen aneckten und im Zweifelsfall die Treue zum Papst über die Treue zu ihren Schutzbefohlenen stellten. Ein besonders bedrückendes Beispiel aus der Geschichte ist dafür das Schicksal des von den Jesuiten errichteten Indiostaats in Paraguay, der auf Betreiben spanischstämmiger Großgrundbesitzer zerschlagen wurde. Die ihrem Gehorsamsgelübde unterworfenen Jesuiten erwiesen sich als untauglich, die ihnen anvertrauten Indios vor den Sklavenhaltern und ihren mächtigen Komplizen in Übersee zu schützen. Der österreichische Schriftsteller Fritz Hochwälder hat diese historische Tragödie in seinem Stück "
Das heilige Experiment" für die Nachwelt dramatisiert und den Gehorsamskult des Ignatius von Loyola somit einer Kritik unterzogen, die bei Ignacio Tellechea leider nicht so deutlich hervorkommt.

Lange schon nicht mehr sind die Jesuiten der römischen Hierarchiespitze blind ergebene Glaubenskrieger. Und längst schon nicht mehr werden die Regeln des Loyola "für das wahre Gespür, das wir in der streitenden Kirche haben müssen" als Anleitung zum kritiklosen Gehorsam gegenüber einer Kirche, die immer Recht hat, ausgelegt. Die 13. Regel des Ignacio: "Von dem Weißen, das ich sehe, glauben, dass es schwarz ist, wenn die hierarchische Kirche es so bestimmt, ..." meint nach aktueller jesuitischer Auslegung nicht die Anleitung zur Leugnung offenkundiger Tatsachen aus autoritätshöriger Ergebenheit, sondern vielmehr, dass die Wirklichkeit des Heiligen Geistes eben nicht von dieser Erde ist, keine physikalische Tatsache ist. Glaubensaussagen sind halt allemal von gegensätzlicher Struktur. So sehen wir in dem Gekreuzigten einen zu Tode geschundenen Menschen - was eine unzweifelhafte Tatsache ist - und doch - so die Erkenntnis des Heiligen Geistes - ist dieser Mensch der Sohn Gottes, welcher von den Toten auferstanden ist. Mittler des Heiligen Geistes ist jedoch die Kirche, und ihre Glaubensverkündigung besagt, dass aus der Sicht des Heiligen Geistes schwarz sein kann, was als weiß gesehen wird. Durch die hierarchische Kirche bestimmte Glaubenswahrheiten sind eben nicht Gegenstand naturwissenschaftlicher Wahrnehmung, sondern spiritueller Offenbarung. Und die Auferstehung Jesu Christi ist eben keine historische Tatsache, sondern eine Glaubenswahrheit, die ganz offenkundig der Tatsache des biologischen Todes des Gekreuzigten entgegensteht. Keineswegs dürfe die 13. Regel des Ignacio als eklatante Vernunftwidrigkeit verkannt werden, als Anschlag gegen den menschlichen Intellekt. Wofür übrigens auch die betont akademische Ausrichtung des Ordens spricht, der von Anfang an theologischer - aber auch philosophischer und naturwissenschaftlicher - Bildung ein besonderes Augenmerk schenkte, zu diesem Zwecke Schulen, Universitäten und andere Bildungseinrichtungen gründete. Mit der Waffe des Geistes focht man für Jesus Christus, denn nicht aus Unwissenheit sondern aus Einsicht in die tiefere Wahrheit Christi möge der Mensch Christ sein.

Jedes Buch hat Schwächen, die jedoch nicht per se für das Buch charakteristisch sind, sondern dem Buch aus der Perspektive des Kritikers subjektiv zugeschrieben werden. Ignatius von Loyola war ein Kind seiner Zeit und als solches aus eigener Entscheidung ein treuer Diener Roms. Man kann ihm dies zum Vorwurf machen und man sollte ihm dies auch zum Vorwurf machen, und zwar entschiedener als es Ignacio Tellechea tut. Keineswegs kann man dem Autor jedoch eine völlig kritiklose Haltung unterstellen. Vielmehr widersteht er der Verlockung, den Kirchenheiligen zur unfehlbaren Lichtgestalt zu verklären. Dieser Ignatius von Loyola, wie ihn Ignacio Tellechea skizziert, ist eben ganz und gar Mensch; dafür sorgt schon die vom Autor bevorzugte psychologische Betrachtungsweise. Problematische Aspekte an der Ordensregel des Ignatius sind heute Historie, und sein Orden entwickelte sich zu einer erfreulichen Teilorganisation der römisch-katholischen Kirche. Ganz in der Tradition ihres Begründers stehen Jesuiten heute in vorderster Front, wenn es um die Behebung und Aufdeckung sozialer Missstände geht. Ignatius von Loyola hatte ein besonderes Augenmerk für die Armen und Gefallenen, und so waren und sind die Jesuiten seit jeher nicht nur Kämpfer für den Glauben, sondern ebenso Kämpfer für soziale Gerechtigkeit, welche die Theologie der Befreiung maßgeblich prägten und sich auch im europäischen Hier und Jetzt für die Weiterentwicklung sozialstaatlicher Strukturen verwenden und zukunftsweisende Ideen wie etwa
die Forderung nach Einführung einer allgemeinen Grundsicherung propagieren. Auch dieser, ideengeschichtlich auf Ignatius von Loyola zurückweisende, Gegenwartsbezug bezüglich Befreiungstheologie und generellem Engagement für soziale Gerechtigkeit fehlt in der gegenständlichen Biographie, ist aber auch nicht unbedingt zwingender Bestandteil einer Biographie. Das Buch hat also Schwächen, doch sind diese subjektiv in der perspektivischen Betrachtungsweise des Literaturkritikers verankert und keineswegs als objektive Mängel zu erachten, die einen Leser von der Lektüre abhalten sollten. Ist hingegen der Leser mit der verhaltenen Dosierung von Kritik an der Person des Loyola zufriedengestellt, bedarf er nicht des ausdrücklichen Fingerzeigs auf historische Konsequenzen und aufdringlicher Verweise zur Gegenwart, so hält er ein wunderbares Buch in den Händen, an dem es nichts weiteres mehr auszusetzen gibt. Eine umfassendere und zudem einfühlsamere Biographie des Ignatius von Loyola wird er kaum anderswo finden.

(Harald Schulz; 26. Mai 2002)


Ignacio Tellechea: "Ignatius von Loyola.
Allein und zu Fuß - eine Biographie"
Taschenbuch. Benziger, 1998.
416 Seiten.
ISBN 3-545-70002-X.
ca. EUR 14,95.
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