Mark Benecke: "Dem Täter auf der Spur"

So arbeitet die moderne Kriminalbiologie


Die wichtigsten biologischen und biochemischen Methoden der Forensik: spannende Lektüre nicht nur für Krimifreunde

Die Kriminalbiologie ist ein wichtiger Zweig der Forensik, und zu ihren bedeutsamsten Gebieten gehören die Bestimmung des Todeszeitpunktes Verstorbener anhand der Zersetzung durch Gliedertiere sowie die Identitätsermittlung mittels des genetischen Fingerabdrucks. Beide zählen mittlerweile in der kriminologischen Praxis, aber zunehmend auch in Kriminalromanen zum "Standardrepertoire" der Polizei. Der theoretische Hintergrund, das Spektrum der Anwendungsmöglichkeiten und die Grenzen und Schwierigkeiten der Methoden sind indes in der Öffentlichkeit wenig bekannt - und doch, wie Mark Benecke mit dem vorliegenden Buch beweist, auch für den Laien leicht nachvollziehbar.

Der erste Teil, "Gliedertiere und Leichenerscheinungen", befasst sich mit der Funktion von Insekten und anderen Gliedertieren als Gehilfen der polizeilichen Ermittler. Der Leser erfährt, wie die Zersetzung von Leichen vonstatten geht und welche äußeren Parameter (Temperatur, Art der Umgebung etc.) diese Vorgänge maßgeblich beeinflussen, welche Rückschlüsse Fraßspuren bestimmter Käfer zulassen und vor allem, wie die Maden und Puppen verschiedener Fliegenarten die Bestimmung des Todeszeitpunktes selbst unter widrigen Umständen ermöglichen. Darüber hinaus zeigt der Autor auf, welche Hinweise das Vorhandensein oder Fehlen bestimmter Gliedertierarten zu geben mag, etwa auf die Todesursache und den Todesort, falls die Leiche später versteckt wurde. Benecke erläutert dieses nuancenreiche Thema anhand etlicher zum Teil öffentlich gewordener und stets aufschlussreicher, oft überraschend endender Fallbeispiele aus der kriminalistischen Praxis. Der Autor klärt im Rahmen der Leichenerscheinungen (das heißt, "normaler" und weniger alltäglicher Abläufe bei der Verwesung) außerdem einige historische "Wunder" auf, unter anderem den Fall des Ritters Kahlbutz und der seligen Richeza, die manchem Leser bekannt sein mögen. Zahlreiche Fotos und Bilder ergänzen den Text.
Im zweiten Teil geht es um genetische Fingerabdrücke. Der Fall Mooshammer bewies eindrucksvoll, welches Potenzial diese Methode für die Verbrechensaufklärung besitzt. Heute genügen wenige Körperzellen, um einen Verbrecher zu überführen oder aber einen Unschuldigen zu entlasten. Benecke beschreibt gut verständlich, wie diese Technik funktioniert - auch noch nach Jahren, wie in letzter Zeit einige spektakuläre Fälle zeigten. Zudem räumt er mit gängigen Fehlinformationen auf: Die für den genetischen Fingerabdruck verwendete DNA etwa stammt aus den weiten Bereichen des Genoms, die keinerlei Gene (Erbinformation) codieren, und ermöglicht somit keine Rückschlüsse auf Eigenschaften des "Besitzers": Die Idee vom "gläsernen Menschen" aufgrund einer Bank genetischer Fingerabdrücke ist schlicht und einfach Humbug. Benecke vergleicht außerdem die Praxis verschiedener Staaten miteinander. Auch in diesem Teil gibt es viele aufschlussreiche Grafiken und Bilder.
Der dritte Teil, "Die alte Kriminalbiologie", beinhaltet vor allem Irrwege pseudowissenschaftlicher Rassenkundler im neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhundert, die dem Nationalsozialismus und auch dem Kommunismus in die Hände arbeiteten, weil sie Erkenntnisse Darwins bewusst oder unbewusst falsch interpretierten, wobei sie sich auf (ungenaue oder anderweitig verfälschte) Messreihen beriefen oder allerlei Scheinwissenschaftliches zu in sich widersprüchlichen Theorien verquickten, wie Benecke klar aufzeigt.
Ein Glossar mit den Fachausdrücken des Textes, ein Register und ein Literaturverzeichnis sorgen für optimale Orientierung.

Empfindsame Gemüter sollten zumindest den ersten Teil nicht beim Frühstück lesen, zumal der praxisbezogenen Abbildungen wegen. Das Buch ist wissenschaftlich-sachlich gehalten, der Autor nimmt daher wenig Rücksicht auf Befindlichkeiten des Lesers: Als Forensiker fragt er nicht nach Motiven oder Gerechtigkeit, für ihn stehen die Ermittlung des Todeszeitpunkts, der Todesart und des Täters selbst im Mittelpunkt. Trotz oder vielleicht gerade wegen der emotionsfreien Darstellung ist das Buch sehr interessant und spannend verfasst, es konzentriert sich auf das Wesentliche, vermittelt allgemeinverständlich und dennoch umfassend die Grundlagen der Kriminalbiologie und widerlegt diesbezügliche Vorurteile. Der dritte Teil mit seiner historischen Orientierung passt allerdings nicht recht zum Untertitel und wirkt daher in dieser Ausführlichkeit etwas deplatziert - er wäre besser in einem Buch zur Kriminalistikgeschichte aufgehoben -; lesenswert ist er dennoch.
Ein aufschlussreiches und unterhaltsames Buch keineswegs nur für Liebhaber von Kriminalromanen!

(Regina Károlyi; 02/2006)


Mark Benecke: "Dem Täter auf der Spur"
Bastei Lübbe, 2006. 335 Seiten.
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Lien zu Mark Beneckes Netzseite: http://www.benecke.com/.

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