Michael Braun (Hrsg.): "Tabu und Tabubruch in Literatur und Film"


Herausgeber Michael Braun veröffentlicht in diesem 202-seitigen Taschenbuch aus dem Verlag Königshausen & Neumann insgesamt zwölf Beiträge unterschiedlicher Autoren zum Thema. Hierbei handelt es sich um Überblicksaufsätze und Fallstudien, die Aspekte der Tabuisierung behandeln.

Dietrich V. Engelhardt, 1976 habilitierter Direktor des Instituts für Medizin- und Wissenschaftsgeschichte der Universität Lübeck und seit 2003 Vorsitzender des Klinischen Ethikkomitees, macht den Anfang mit einem Beitrag über Euthanasie als Tabu der Literatur des zwanzigsten Jahrhunderts. Eindrucksvoll und mit vielen Beispielen und Zitaten zeigt er, dass Euthanasie bereits Thema der antiken Literatur war, bis heute Thema ist, und dass man sich dem Thema in unterschiedlichen Epochen entsprechend unterschiedlich näherte und damit umging. Engelhardt betrachtet Geschichte und literarische Tradition zwar getrennt voneinander, setzt sie jedoch in einen Kontext. Auf diese Weise gelingt es ihm, die verschiedenen Werke, die Euthanasie vorder- oder hintergründig behandeln, in den Vordergrund zu stellen, zwar im Bewusstsein des historischen Kontextes, jedoch nicht durch diesen überlagert. In seinem Ausblick zum Thema legt Engelhardt sich allerdings nicht fest, sondern weist vielmehr darauf hin, dass auf Sterben und Tod heutzutage vermehrt eingegangen wird, dass diese Auseinandersetzung jedoch primär auf sachlicher Ebene zu finden ist, beispielsweise im Zusammenhang mit Hospizen und Palliativbewegungen. Die Sprachlosigkeit der Menschen an sich zum Thema, die die Literatur immer wieder einmal aufzubrechen versucht, wird seiner Meinung nach jedoch voraussichtlich erhalten bleiben, wofür auch spricht, dass das Sterben heutzutage immer mehr technisiert wird.

Zur Freiheit der Sprache äußert sich Marcel Krings, 2002 und 2003 zum Dr. phil. und Docteur dès Lettres in Heidelberg und Paris promoviert, seit 2003 Lehrbeauftragter für Neuere Deutsche Literatur an der Universität Heidelberg. Im Mittelpunkt seines Beitrages stehen vor allem die Romane "Ein springender Brunnen" und "Tod eines Kritikers", beide aus der Feder Martin Walsers. Schon zu Anfang bemerkt Krings in seinem Text - und dies nicht zu Unrecht -, dass ein Artikel dieser Art, ein Artikel über die Ambitionen Walsers, durchaus von einigen Seiten als politische Aussage verstanden werde. Martin Walser hat einiges aufgewühlt, wurde verteidigt, geschmäht und - vor allem vor dem Erscheinen von "Tod eines Kritikers" - als Antisemit bezeichnet. Ob und inwiefern solche Vorwürfe an den Autor gerechtfertigt sind, steht im Mittelpunkt von Krings’ Arbeit im Rahmen des vorliegenden Buches.

Neben den beiden exemplarisch näher vorgestellten Artikeln behandeln die Beiträge des Buches jedoch noch einige Themen mehr, etwa Tabus im erotischen Film, Gewaltdarstellung im populären us-amerikanischen Kino und Jesusfilme, um nur einige davon zu nennen.

Das Buch ist vor allem für Medienwissenschaftler von Interesse. Der Stil der einzelnen Beiträge ist entsprechend des beruflichen Kontextes der Autoren oder der ursprünglichen Textentstehung ein sehr akademischer. Dies zeigt sich sowohl in entsprechender Wortwahl, bei der zumeist besonderer Wert auf Fach- und Fremdworte gelegt wird, was dem Lesefluss nicht gerade förderlich ist, jedoch zeigt auch der übliche akademische Fußnotenapparat, dass der Leser es hier mit medienwissenschaftlichen Texten zu tun hat.

Es ist im Grunde schade, dass die einzelnen Beiträge nicht so aufbereitet wurden, dass sie für ein breiteres Publikum von Interesse sind oder sein können. Viele Fremdworte sorgen nicht automatisch auch für einen qualitativen Text, und so stehen auch in diesem Buch sehr ansprechende Beiträge neben solchen, bei denen auf den zweiten Blick erkennbar wird, dass sie eher aus Hülle als aus Substanz bestehen, und dass es den Autoren dieser Texte nicht unbedingt wichtig war, objektiv zu sein, sondern vielmehr noch, vage zu bleiben.

Die Gesamtmischung in diesem Buch ist allerdings gelungen, lesenswert und informativ, auch wenn - wie bereits angesprochen - teils deutlichere Aussagen und insgesamt ein besser ermöglichter Lesefluss wünschenswert gewesen wären.

(Tanja Elskamp; 02/2007)


Michael Braun (Hrsg.): "Tabu und Tabubruch in Literatur und Film"
Königshausen & Neumann, 2006. 202 Seiten.
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Michael Braun, Leiter Referat Literatur der Konrad-Adenauer-Stiftung, (seit April 2006) apl. Prof. an der Universität zu Köln. Promotion 1993, Habilitation 2000. Studium der Germanistik, Kath. Theologie, Pädagogik und Politikwissenschaft in Aachen, Bonn, Edinburgh, Pittsburgh.