Thomas Steinfeld: "Wallanders Landschaft"

Eine Reise durch Schonen


Nachdem mit "Wallanders erster Fall" die letzte Klappe für den Kriminalisten Kurt Wallander fiel, kann der Leser nunmehr literarisch auf Entdeckungsreise in jene Gegend gehen, wo sich die schrecklichen Morde, die stets vom schrulligen Kommissar aufgeklärt werden konnten, ereigneten.

Schonen ist ein Landstrich, der in den Monaten Mai bis September farbenprächtig und blühend daherkommt. Es verläuft sich einiges Touristenvolk in den verschiedenen kleinen Städtchen, während von Oktober bis April nur die Einheimischen im Lehmboden stecken bleiben wollen. Der Autor macht einen bemerkenswerten Vergleich, den ich geringfügig adaptiere: In großen Städten kann überall irgendein Mensch erscheinen, wieder verschwinden, und an anderer Stelle wieder auftauchen. Im Dickicht Wiens etwa ist dies eine unwillkommene Überraschung, der man lieber entgehen mag. Anders Schonen: In dieser Gegend ist alles plausibel, ohne Überraschung. Wenn einem müden Spaziergänger nach Stunden innerer Einkehr ein Mensch begegnet, ist dies wie vorgezeichnet in die Kälte der Landschaft. Es gibt nichts Sperriges, Verruchtes. Die Dinge ergeben sich, ohne dass Kausalketten rückbezüglich verortet werden wollen. Durch Ystad zu stapfen und auf den Spuren von Wallander ein Gefühl für den Ort zu bekommen, an dem das Schreckliche sich ereignete, ist nur bedingt imaginierbar. Ystad nämlich ist keine Stadt, die Grausamkeiten verinnerlichen mag. Die Schlagzeilen der Tageszeitung sind nur sehr selten mörderischer Natur. In diesem Sinne mag es nur logisch sein, dass nach acht knallharten Fällen der Vorhang beinahe zugezogen wird, denn die Tochter von Wallander soll ja noch für ein wenig Schwung im verschlafenen Städtchen sorgen ...

Der Streifzug durch die diversen Gegenden ist äußerst informativ, teilweise ein wenig zu langatmig. Politische, literarische und geografische Komponenten werden miteinander vermengt und ergeben eine "schonische" Mischung, die Lust auf dieses Stück Erde macht, das in relativer Nähe zur ehemaligen DDR, zu Polen, Litauen und Lettland, und absoluter Nähe zu Dänemark ist. Selma Lagerlöffs "Nils Holgersson" wird viel Raum gegeben, und dies schafft eine Atmosphäre der kindlichen Unschuld. Dieser Nils ist ein zorniger Bengel, der die Tiere am Hof seines Elternhauses ärgert und schließlich von einem Zwerg in einen Däumling verwandelt wird, der auf Wanderschaft mit den Wildgänsen geht. Es soll nicht von der verkitschten Zeichentrickserie die Rede sein, von der viele "alte" und gegenwärtige Kinder mehr oder weniger schwärmen mögen. Tatsache ist, dass es sich bei "Nils Holgersson" um einen nationalgeografischen Roman handelt, der bald nach seinem Erscheinen Pflichtlektüre für die Volksschulkinder Schwedens sein sollte. Auf dem Rücken der Hausgans Martin fliegend hört Nils den Wildgänsen zu, die unter ihnen liegende Konturen Schwedens erklären. Aus dem 700-seitigen Schmöker wurde häufig ein kindgerechtes Büchlein komprimiert, das nur wenig mit den eigentlichen Aussagen dieser Reise gemein hat. Selma Lagerlöff stammte zwar aus dem Süden, aus Värmland, kannte jedoch Schonen, da sie ab 1885 zehn Jahre an der Höheren Lehranstalt für Mädchen lehrte. Der Reiseroman wurde seinerzeit als pädagogischer Reiseführer bezeichnet. Neben der Autorin hielt sich Strindberg hier häufig auf, selbst Thomas Mann verschlug es hierher, und Rilke war so fasziniert von der Gegend, dass er während seines mehrmonatigen Aufenthalts gerade mal ein einziges Gedicht schreiben konnte.

Auch die Bewohner Schonens werden nicht geschont. Ein bisschen schroff sind sie zwar; aber die Reserviertheit sollte selbst Wiener nicht überraschen können. Der liebste Ort dieser abgehärteten Menschen ist das Kaffeehaus. Dort versammeln sie sich und schlürfen ihr Lieblingsgetränk, während die Kirchen kaum noch betreten werden, da die "Erweckungsbewegung" für neuen Wind gesorgt hat ...

Die Essays bilden insgesamt eine Landkarte Schonens. Zahlreiche Eigenheiten der verschiedenen Landstriche werden geschildert, sodass man sich manchmal an den Ort der Schilderung hinzaubern möchte. Die Gegend mag noch so geheimnisvoll und verlassen sein; hier muss innere Einkehr kein Schlagwort mehr sein, sondern eine Möglichkeit vollkommener Freiheit eröffnen. Wallander stapft durch eine unwirtliche Landschaft; nur in den Sommermonaten lässt die Rapsblüte das Herz höher schlagen.

Der Sänger Ulf Lundell hat ein Lied geschrieben, das seit seiner Veröffentlichung im Jahr 1982 das meistgesungene skandinavische Volkslied sein mag, und von jedem heiteren Schweden, vor allem zu später Stunde, beherrscht wird. Es ist nicht mal sicher, ob es von Schonen handelt; aber es wurde zu einer Hymne auf die Gegend zwischen Haväng und Kivik:

"Ich fühle mich auf dem offenen Land am wohlsten,
in der Nähe des Meeres will ich wohnen.
Einige Monate im Jahr
So dass die Seele Ruhe bekommt.
Ich fühle mich auf dem offenen Land am wohlsten,
wo die Winde härter werden.
Wo die Lerchen hoch am Himmel stehen
Und wunderbar singen.
Dort brenne ich meinen Branntwein selbst
Und würze mit Johanniskraut
Und trinke ihn mit Wohlbehagen
Zu Hering und selbstgebackenem Brot.
Ich fühle mich auf dem offenen Land am wohlsten,
in der Nähe des Meeres will ich wohnen."

Das Meer spielt ja in den Wallander-Romanen eine große Rolle. Immer wieder spült der Kommissar seine Gedanken durch, indem er am Strand entlang geht und ihm eine kühle Brise ins Gesicht weht. Einige Mordopfer werden im übrigen in der Nähe des Meeres aufgefunden. Das Synonym von der "offenen Landschaft" trifft den Nagel genau auf den Kopf. Dort zu wohnen muss ein besonderes Gefühl sein, das die Beklemmung auflöst, die Henning Mankells Kriminalromane vermitteln mögen.

Das Buch ist insgesamt eine gelungene Annäherung an eine nie leichtfüßige Gegend namens Schonen. Die im Buch publizierten Fotos verschaffen dem Betrachter einen Eindruck der Strenge, Farbenfreude und Geheimnisse der Landschaft.

(Jürgen Heimlich; 10/2002)


Thomas Steinfeld: "Wallanders Landschaft"
Zsolnay, 2002. 160 Seiten.
ISBN 3-552-05212-7.
ca. EUR 15,90.
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