Andreas Reisinger, Else Rieger: "Schwarzbuch Straße"

Die subventionierte Transportlawine


Nirgendwo so scheint es, tritt die Unzumutbarkeit des herrschenden Wirtschaftssystems, also des Spätkapitalismus neoliberaler Ausprägung, so für alle ansonsten verführten Volksmassen klar ans Tageslicht wie im Zusammenhang mit dem Straßengüterverkehr. Auch dem wirtschaftshörigsten Kleinformat- oder Qualitätswochenmagazinsleser, beide ja bekanntlich ansonsten durchaus gewillt, alles zu schlucken, was ihnen im Interesse des Großkapitals an manipulierter Information zugedacht wird, durchaus bereit, auf eigene Vorteile bzw. wohlerworbene Rechte zu verzichten, wenn es nur der "Wirtschaft" dient, auch dem troglodytischsten Angehörigen der "Stimmvieh" genannten Herde also, fehlt jegliches Verständnis dafür, dass 300.000 belgische Schweine zur Schlachtung in die italienische Po-Ebene exportiert werden, wo sie mit aus Deutschland stammender Milch gemästet, geschlachtet und in Form von Parmaschinken wiederum zurück in den Norden transportiert werden, ein, gemessen am Maßstab herrschender Wirtschaftsgepflogenheiten, nicht einmal besonders absurder Vorgang. Wohnt obiger Medienkonsument noch dazu neben einer Tiroler oder Salzburger Autobahn, dann hört sich der Spaß überhaupt auf, dann wird aus dem ansonsten kreuzbraven Durchschnittsbürger zwar noch kein Partisan, aber immerhin ein potenzieller Grünwähler. Was nützt halt das billigste mit köstlichen Schildläusen garnierte spanische Fruchtjoghurt auf dem Frühstückstisch, wenn man vor Lärm nicht mehr schlafen kann? 

Von diesen allerersichtlichsten Missständen gegenwärtigen Wirtschaftens berichtet also dieses Buch in verschiedensten Aspekten. Wenn jetzt festgestellt werden muss, dass die klügste Passage im Vorwort steht, soll diese Bemerkung für sich allein noch keine negative Kritik sein, denn dieses Vorwort stammt immerhin vom alten Knoflacher, also einem der unzweifelhaft klügsten politisch oder immerhin publizistisch aktiven Köpfe unserer in dieser Hinsicht nicht gerade gesegneten Republik, in welcher gewisse sich liberal gerierende Wochenzeitschriften als Inbegriff von Intellektualität gelten. Die Autoren haben eben anderen Aspekten ihr Hauptaugenmerk geschenkt, die ebenfalls durchaus nicht ohne Interesse sind, etwa den kriminellen Machenschaften einzelner Frächter à la Karl Kralowetz, der insgesamt wahrscheinlich nicht minder kriminellen Verflechtung von Politik und Transport, der verfehlten europäischen Verkehrspolitik (jaja, dieser Wahnsinn war kein Zufall, kein Produkt eines laissez-faire, sondern einer gezielten Politik, though this be madness, yet there is method in it), und dankenswerter Weise auch der SOZIALEN SITUATION im Transportgewerbe. Letzterer Punkt ist wirklich bedeutsam und wird folglich in der öffentlichen Diskussion am wenigsten berührt, doch davon später. 

Knoflacher schreibt in seinem erwähnten Vorwort ausgehend von der gefürchteten Macht der Transportlobby u. a. Folgendes: "Die Macht der Transporteure ist aber in Wirklichkeit die Macht der Konzerne, die ihre Vorrangstellung gegenüber der lokalen Wirtschaft durch massive Subventionen ... und durch ökologisches und soziales Dumping erreicht und ausgebaut haben." 

Das ist des Pudels Kern. Gleichzeitig wird deutlich, wie wesentlich der Straßengütertransport für das neoliberale Wirtschaftskonzept ist, dient doch die viel zu leicht ermöglichte Überbrückung von Zeit und in noch stärkerem Maße Raum nicht der endgültigen Transferierung von Produkten, sondern ermöglicht in erster Linie unbeschränkt parasitäres Ausnutzen sämtlicher Standortvorteile aller in Betracht kommender Staaten. Wenn die Verrichtung eines Handgriffs im Staate A billiger als woanders kommt - schwupp, hin damit mit dem ganzen Plunder. Anschließend nach Staat B, denn dort kommt ein anderer Handgriff wieder billiger. Ein unbegrenztes Feld tut sich da für die Konzerne auf. Nicht umsonst sind die vier Freiheiten das große Um-und-Auf unserer segensreichen Europäischen Union, diesem supranationalen Verein zur Förderung von Konzernen. 

Der unbegrenzt freie Gütertransport bzw. dessen Kostengünstigkeit ist für die Konzerne von derartiger Wichtigkeit, dass darob jegliche Verschleierungsmaske fallengelassen wird. Hier, wo es wirklich um die essenziellsten Interessen geht, herrschen Arbeitsbedingungen vor, die an den seligen Manchester-Liberalismus gemahnen, Arbeitsbedingungen, die in Wohlfahrtsstaaten westeuropäischer Prägung, welche die sozialen Probleme weitestgehend durch Auslagerung der Lohnarbeit in die sogenannte Dritte Welt gelöst haben, völlig anachronistisch anmuten. Man kann sagen: Hier zeigt der Kapitalismus sein wahres Gesicht. Und "Kapitalismus mit menschlichem Antlitz" ist eben ein Märchen. 

Der Determiniertheit jeglichen politischen Geschehens, also auch des behandelten Gebiets des Straßengütertransportes, durch die Interessen der Großkonzerne haben die Autoren meines Erachtens zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt, weshalb an diesem Buch manches, allem voran sein Schluss mit guten Tipps für mündige Bürger, doch etwas zu naiv geraten ist. 

Also überhaupt kein Grund zum Optimismus, nachdem die von den Autoren propagierte "Macht des Konsums" im gegenständlichen Fall zu kurz greifen dürfte?

Ich sehe gerade im Transitproblem DIE große Chance, die alles zerstörende neoliberale (Miss-)Wirtschaft im Herzstück zu treffen. In keinem anderen Bereich läuft der Spätkapitalismus derart Gefahr, einen Volksaufstand zu provozieren, der mit relativ geringem Aufwand das gesamte System mehr oder weniger lahmlegen könnte. Die Alternativen zu den von den Autoren gelieferten frommen Briefen an Konzerne und Politiker heißen demnach: Autobahnblockaden und Großdemonstrationen. Irgendwann wird die rindviehhafte Geduld selbst im heiligen Land Tirol ihr Ende haben, denn, keine Angst, eines steht fest: Das LKW-Aufkommen wird weiter steigen, EU sei Dank!

(Franz Lechner; 12/2003)


Andreas Reisinger, Else Rieger: "Schwarzbuch Straße"
Deuticke, 2003. 315 Seiten.
ISBN 3-216-30646-1.
ca. EUR 19,90. Buch bestellen

Andreas Reisinger, geboren 1969, studierte Sozial- und Wirtschaftswissenschaften an der Universität Linz. Er ist Leiter eines psychosozialen Projekts zur Betreuung von Berufskraftfahrern nach Unfällen.
Else Rieger, Jahrgang 1970, lebt und arbeitet als freiberufliche Kulturwissenschaftlerin und Lektorin in Wien und beschäftigt sich u. a. mit neoliberalen Arbeitsformen.

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