Jake Morrissey: "Göttliches Design oder Die Rivalen von Rom"

Bernini und Borromini im Kampf um die Architektur in der Ewigen Stadt


"Nullum magnum ingenium sine mixtura dementiae fuit.": "Kein großer Geist war bislang ohne Beimischung von Wahnsinn." (Seneca)

Genies haben es oft an sich, dass sie in einer Epoche paarweise auftreten - und dazu noch charakterlich diametral entgegengesetzt. So geschehen bei Leonardo da Vinci und Michelangelo, die einander in ebenso aufrichtiger Antipathie verbunden waren wie Nikola Tesla oder Thomas Alva Edison, um nur zwei, stellvertretend für viele andere Titanenkämpfe, herauszunehmen. Bei Gianlorenzo Bernini und Francesco Borromini verhielt es sich ebenso. Beider Talent darf als monumental bezeichnet werden und hat in Form einmaliger Architektur die Jahrhunderte der Ewigen Stadt überdauert. Das barocke Herz Roms würde ohne ihre baulichen Leistungen weit weniger kräftig pulsieren. Zu Lebzeiten steckten Bernini und Borromini viel Herzblut in ihre legendär gewordene Feindschaft. Des Einen Leid war des Anderen Freud.
Autor und Architekturfachmann Jake Morrissey fasst es folgendermaßen zusammen: "Die Geschichte dieser beiden Männer, ihrer außergewöhnlichen Karrieren und der Rivalität, die zwischen ihnen emporwuchs, sie zusammenschweißte und eben dadurch auseinanderriß, handelt von Ehrgeiz und Begierde, Gegnerschaft und Hoffnung. (...) Sie handelt vom Kampf zwischen ihnen und den wunderbaren Bauwerken, die daraus entstanden ..."

Gianlorenzo Bernini (7.12.1598 - 26.11.1680)

Giovanni Lorenzo, kurz Gianlorenzo, Bernini erblickt im Zeichen des Schützen als Kind einer florentinischen Familie in Neapel das Licht der Welt. Die Sterne sollten dem Bildhauersohn - von kurzen Eklipsen abgesehen - zeitlebens hold sein. Gianlorenzo tritt in die väterlichen Fußstapfen, in dem er zu Hammer und Meißel greift, um dem "kalten Marmor Leben einzuhauchen" (Morrissey). Seine Skulpturen sind stilistisch stark an den Hellenismus bzw. Ovids "Metamorphosen" angelehnt. Das Standbild "Apollo und Daphne", die für Kardinal Borghese geschaffene Statue des "David" (1623-24) oder der Triton-Brunnen (1640) sind die wohl bekanntesten unter ihnen. Später (1654-62) entreißt Gianlorenzo einem groben Steinblock das Kunstwerk "Die Ekstase der Hl. Teresa", das heute in der römischen Kirche Santa Maria della Vittoria zu bewundern ist.
Bernini ist ein charmanter, weltgewandter Mann mit ausgeprägtem Hang für das Spektakuläre. Mit viel Esprit versteht er es, Kurie und Päpste so von seinen künstlerischen Plänen zu überzeugen als wären sie die ihren. Für den Hochadel des Kirchenstaates errichtet oder verschönert er in den Nobelbezirken Roms Paläste, z.B. Palazzo Barberini respektive Palazzo Chigi. Ein kluger Schachzug, schließlich haben die Barberini und Chigi mit Urban VIII. (Pontifikat: 1624-44) und Alexander VII. (1655-67) Familienmitglieder auf den Stuhl Petri gehievt.
Aber der eloquente Künstler wusste auch Pontifex Innozenz X. (1644-55), aus dem mit den Barberinis verfeindeten Haus der Pamphili, in seinen Bann zu ziehen. Als Berninis Fontana dei Quattro Fiumi (Vierstrombrunnen) am 14. Juni 1651 nach dreijähriger Bauzeit von Innozenz enthüllt wird, soll der Papst derart entzückt gewesen sein, dass er das Bauwerk eine volle Stunde von allen Seiten inspizierte. Kein Wunder, zentrales Element des Brunnens stellt ein antiker ägyptischer Obelisk dar, auf dessen Spitze eine Taube mit Ölzweig im Schnabel sitzt - der geflügelte Friedensbringer war Symbol des Hauses Pamphili. Die vier um den hochaufragenden Obelisken angeordneten Götterfiguren stellen Donau, Ganges, Nil und Rio de la Plata dar - die damaligen Weltgegenden versinnbildlichend. Der Vierstrombrunnen kann als einzige Allegorie eines allumfassenden Herrschaftsanspruchs des Papstes gedeutet werden. Innozenz X. wusste diese aus Stein geschaffene Metapher zu schätzen und rehabilitierte den einige Jahre zuvor durch Borrominis Ränke in Ungnade gefallenen Bernini. Über das Intrigenspiel später mehr.

Francesco Borromini (25.9.1599 - 3.8.1667)
Im Zeichen der wackligen Waage kommt Borromini zur Welt. Seine Wiege steht in Bissone, nahe Lugano, weshalb ihn die Schweizer bis heute als einen der Ihren reklamieren. Francesco selbst scheint hingegen kein eingefleischter Eidgenosse gewesen zu sein. Den Sohn eines Steinmetzes zieht es nach Italien, zuerst nach Mailand, dann nach Rom. Borromini legt seinen bürgerlichen Namen Castelli ab und will auch nicht Bissone - nach seinem Herkunftsort - genannt werden. In der Ewigen Stadt schließt er sich Carlo Maderno an, dem Chefbaumeister des seit 1506 im Bau befindlichen Petersdoms. Als Maestro Maderno 1629 das Zeitliche segnet, betrachtet sich der zum talentierten, aber eigenbrötlerischen Architekten herangereifte Borromini als logischen Nachfolger. "Es gehört zu den Ironien von Borrominis Leben, dass er in Rom wahrscheinlich der einzige war, der diese naive und selbstverliebte Auffassung hegte", schreibt Morrissey. Urban VIII. - der eine seiner Hauptaufgaben in der Verschönerung Roms zur höheren Ehre Gottes sieht - bestellt Bernini zum leitenden Architekten von St. Peter. Alles setzt der Papst auf seinen geschätzten Gianlorenzo, in den er einen "neuen Michelangelo" ausmacht.
Ein Schock für den sturen Luganer Borromini. Schließlich war ihm Bernini schon einmal in die Quere gekommen, als dieser mit dem Entwurf für den großen Baldachin über dem Altar von St. Peter beauftragt worden war. 29 Meter hoch und 63 Tonnen schwer ist dieses fantastische Barockgebilde, das Urban am 29. Juni 1627 feierlich einweihte. Über insgesamt neun Jahre haben beide, Bernini wie Borromini, ihre wechselseitigen Antipathien zumindest einigermaßen unter Kontrolle. Sie arbeiten mit viel Hingabe für ein gemeinsames Ziel, "den visionären Ehrgeiz eines Papstes zu befriedigen".

Rivalen in der Ewigen Stadt
Francesco Borrominis Charakter ist verschlossen und rachsüchtig, sein Können jedoch unbestritten. Trotz all seiner Seilschaften ist sich Bernini daher der drohenden Gefahr um die Vorherrschaft über Roms Baustätten bewusst. Er spielt seine beste Karte aus. Bernini weiß, dass Widersacher Borromini - wie viele andere Architekten aus dem Norden Italiens - mit gotischen Bautechniken vertraut ist, sich der Geometrie als Grundlage seiner Entwürfe bedient, religiöse Metaphorik von gleichschenkeligen Dreiecken (Hl. Dreieinigkeit) und Kreisen (göttliche Ewigkeit) in die Baupläne einarbeitet. Das zeitgeistige Problem daran: "Im Rom des 17. Jahrhunderts war die Gotik als barbarisch verschrien, und man konnte einen Künstler kaum wirksamer verleumden, als ihn zu bezichtigen, der Gotik anzuhängen", erklärt Architekturexperte Morrissey.
Borrominis Reputation ist bald dahin, tiefe Melancholieschübe befallen ihn. Da hilft es dem wunden Ego auch wenig, dass er 1634 Bauherr bei der Rekonstruktion von San Carlo alle Quattro Fontane wird; ein Gegenschlag muss her. Dieser erwächst dem wackligen Boden der Stadt Rom. Denn obwohl Christus dem Petrus verheißen haben soll, er wäre der Fels, auf dem er seine Kirche bauen werde, ist der Untergrund von St. Peter alles Andere als solide. Unterirdische Quellen weichen den sandigen Boden auf, Risse im Dom erscheinen als Zeichen an der Wand für den (vorübergehenden) Abstieg des Chefbaumeisters Bernini. Am 29. Juli 1644 stirbt auch noch sein Gönner Papst Urban VIII. Dessen Nachfolger Innozenz X. beruft ein Kardinalskollegium ein, das Architekten anhört, um deren Meinung zu den Rissen kennen zu lernen. Borromini ist einer von jenen. Sofort gibt er dem von Bernini konstruierten südlichen Glockenturm die Schuld, der "dreimal so hoch und sechsmal so schwer" wäre als er eigentlich sein dürfte. "Der kluge Architekt", ätzt Borromini, "errichtet nicht erst das Gebäude, um dann die Fundamente auf Risse hin zu prüfen." Schlussendlich wird der Glockenturm abgerissen, wenngleich Bernini weiterhin Bauherr von St. Peter bleiben darf. Von diesem Tief erholt sich Gianlorenzo erst mit der Errichtung des bereits beschriebenen Vierstrombrunnens.

Sonnenkönig und Suizid
In Innozenz' Nachfolger Alexander VII. findet Bernini wieder einen Schutzherrn erster Güte. Der Papst, selbst Poet, hält wenig von Politik, aber viel von Kunst. Er schätzt den "amüsanten und intelligenten Architekten" Bernini, schreibt Morrissey. Für Borromini hingegen "war die Wahl Alexanders der Beginn eines Jahrzehntes voller beruflicher Enttäuschungen." Ohne diplomatisches Gespür, wie er nun mal ist, scheidet der Mann aus Bissone endgültig aus den päpstlichen Diensten aus. Die Fertigstellung des Palazzo Falconeri (1667) wird sein letzter großer Wurf sein, ehe er sich im selben Jahr ins Schwert stürzt.
Auf der anderen Seite erlebt Bernini einen beinahe elysischen Höhenflug. Der Petersplatz mit einem Fassungsvermögen von 300.000 Personen entsprang seinem bautechnischen Genie, ebenso wie die mächtigen Kolonnadengänge, welche die Piazza di San Pietro links und rechts halbkreisförmig umschließen.
Zudem wird Jules Mazarin, späterhin Kardinal und Erster Minister Frankreichs, auf Bernini aufmerksam. Er lädt den am Bourbonenhof hoch angesehenen "Le Bernin" ein, nach Paris zu kommen. Anfangs will Alexander VII., der im Streit mit dem nationalistischen Kardinal liegt, seinen göttlichen Designer nicht gehen lassen, dann willigt er allerdings ein. April 1665 darf der 66-jährige Bernini für ein Jahr an den Hof des Franzosenkönigs. Einen Trakt des Louvre soll er in Paris verschönern, doch die künstlerische Expedition scheitert am praktisch veranlagten Finanzminister Colbert, der wenig übrig hat für pompösen, aber wenig funktionalen Barock. Bernini ergeht sich in Spott über Frankreich: Der Tuilerien-Palast erscheint in seinen Augen als "eine große kleine Angelegenheit", Paris selbst erinnere ihn an eine "Menge von Schornsteinen, die nach oben ragen wie der Zinken eines Kammes". Ludwig XIV. vergibt Bernini diese Arroganz, die wohl nur ein Künstler aufbringen kann, der in Rom nichts Geringerem als der Bodenstation Gottes sein kreatives Fluidum verliehen hat. Der Sonnenkönig, ein nicht wenig eitler Regent, wirft sich stundenlang in Positur, damit Le Bernin eine Büste von ihm anfertigen kann. Dieser schmeichelt dem König ob seines Sitzfleisches, geht hin zu ihm und teilt die Haarlocken auf der royalen Stirn. Charmant erklärt er sein Handeln: "Eure Majestät sind ein Mann, der allen die Stirn zeigen muss." Als "Bernini-Modifikation" wird diese Haartracht bald zur höfischen nouvelle vague.

Kopf der Illuminaten?
Auch Bestsellerautor Dan Brown scheint vom Genie und Geschick Gianlorenzo Berninis tief beeindruckt zu sein. Er sieht in diesem Mann, der Päpste und Könige um den Finger wickelte, elf (eheliche) Kinder zeugte und dem Petersplatz zu überirdischer Pracht verhalf, als geheimes Oberhaupt einer noch geheimeren Gruppe mit streng anti-klerikaler Ausrichtung, den Illuminaten. Im Roman "Illuminati" breitet er diese Theorie aus Fakten und Fiktionen en detail aus. Von klandestin positionierten Bauwerken ist die Rede, die auf Stadtpläne übertragen, rätselhafte Symboliken ergeben. Im englischen Verlag Michael O'Mara Books hat Simon Cox mit "Illuminating Angels & Demons. The Unauthorized Guide to the Facts Behind the Fiction" einen eigenen Führer zur Lösung der Rätsel um Bernini und die Illuminaten herausgegeben. Bei Goldmann erschien erst jüngst "Die geheime Bruderschaft. Dan Browns Illuminati entschlüsselt" von Dan Burstein. Beide Werke eignen sich vorzüglich zum gedanklichen Weiterspinnen möglicher ultrageheimer Vernetzungen.
Jake Morrisey resümiert so: "Es liegt in der menschlichen Natur, dem Genie zu misstrauen. Wir schätzen das Außergewöhnliche und Brillante nicht, weil es uns beunruhigt; bisweilen gar schrecken wir zurück vor so viel unverborgener Originalität." Und unter Einbeziehung des glücklosen Borromini: "Im Mit- und Gegeneinader dieser beiden Rivalen entstand ein Werk, so dauerhaft wie schön, das beide unsterblich machte."

(lostlobo; 06/2005)


Jake Morrissey: "Göttliches Design oder Die Rivalen von Rom"
(Originaltitel "The Genius in the Design. 
Bernini, Borromini, and the Rivalry That Transformed Rome")
Übersetzt von Michael Haupt.
Europa Verlag, 2005. 279 Seiten.
ISBN 3-203-80014-4.
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Ein weiterer Buchtipp:

Sabine Burbaum: "Die Rivalität zwischen Francesco Borromini und Gianlorenzo Bernini"

Francesco Borromini (1599-1667) und Gianlorenzo Bernini (1598-1680) galten bereits ihren Zeitgenossen als erbitterte Rivalen, und auch die Forschung thematisiert gemeinhin den Kontrast zwischen den beiden prominenten Künstlern des römischen Hochbarock. Diese Studie rekonstruiert erstmals die Entwicklung eines wechselhaften Verhältnisses, das von päpstlicher Protektion und offizieller Kunstpolitik mitbestimmt war. Nach ihrer freundschaftlichen Zusammenarbeit in den Jahren 1625-1633 an Projekten für Urban VIII. wandelten sich die Beziehungen zwischen Borromini und Bernini unter Innozenz X. in eine offen ausgetragene Rivalität: Sie entzündete sich während der Debatte zu Berninis Glockentürmen von St. Peter und setzte sich bei der Auftragsvergabe für den Vierströmebrunnen auf der Piazza Navona fort. Im Pontifikat Alexanders VII. wurden die Künstler nur mehr indirekt miteinander konfrontiert, jedoch spiegeln vor allem die Arbeiten am Palazzo di Propaganda Fide eine künstlerische Auseinandersetzung, die Borromini und Bernini über einen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten führten. Gestützt auf bislang nicht ausgewertetes - und hier z. T. erstmals veröffentlichtes - Quellen- und Zeichnungsmaterial rekonstruiert die Autorin die Entwicklung ihrer von wechselnden politischen Konstellationen geprägten künstlerischen Konkurrenz. Befreit von Klischees und Topoi des Künstlerwettstreits erscheint die Beziehung zwischen Borromoni und Bernini in neuem Licht. (Athena)
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