Antonio Forcellino: "Michelangelo"

Eine Biografie


Michelangelo - ein Mann der Renaissance

Wenige Menschen haben es geschafft, schon zu Lebzeiten eine solche Popularität zu erreichen wie Michelangelo. Selbst heute, bald 500 Jahre nach der Epoche seines Schaffens, gehört er zu den bekanntesten Figuren des abendländischen Kulturkreises. Dabei bedarf es nicht einmal eines Nachnamens: Michelangelo reicht völlig aus.

Auf Seite 319 der vorliegenden Biografie steht eine der Schlüsselaussagen zum Leben des Michelangelo: "Für Michelangelo standen Kunst und Leben einander feindlich gegenüber. Nur das Opfer des eigenen Lebens könne es dem Menschen ermöglichen, den Gipfel der Kunst zu erklimmen.". Bei ihm trafen die beiden persönlichen Merkmale Talent und Willen auf einem jeweiligen Maximum mit der dritten notwendigen Komponente nachhaltiger Wirkung zusammen: der Gelegenheit.

Michelangelo besaß einen dreidimensional ausgeprägten Sinn für Formen, der bereits in seiner Jugend meisterliche Züge annahm und wohl einmalig gewesen sein dürfte. Mit zwanzig fälschte er eine antike Skulptur und verkaufte sie zu einem horrenden Preis an einen kunstverständigen Sammler. Dieser Kunst sammelnde Kardinal zeigte Größe, nachdem man ihm den Betrug offenbarte, und engagierte den jungen Künstler, statt ihn den Behörden auszuliefern. Für des Kardinals Skulpturengarten schuf Michelangelo anschließend einen traumhaften Bacchus, der in dieser Art der Ausstrahlung bis dahin noch nicht existiert hatte.

In Florenz meißelte, kratzte, schliff und polierte er aus einem verwaisten Marmorblock den monumentalen David, der Michelangelos heutigen Ruf wohl mit gründet. Dieser David und der erwähnte Bacchus stehen auch für eine bis heute unerreichte körperliche Ästhetik. Wer darin homoerotische Züge vermutet, liegt nicht ganz falsch.

Anders als andere Bildhauer, die sich über Konturen vorsichtig den Details näherten, stellte Michelangelos bereits Details fertig, als sich andere Steinpartien noch im Rohzustand befanden. Das bedurfte eines ganz außergewöhnlich plastischen Blicks, so als wäre er in der Lage gewesen, die geplante Skulptur wie ein modernes-3D-Gitter vor seinen Augen zu sehen. Auch war er handwerklich so sicher, dass er noch mit groben Werkzeugen arbeitete, wo Andere längst der Vorsicht wegen zu leichteren Werkzeugen gegriffen haben würden. Ein falscher Schlag, und die Skulptur wäre unbrauchbar geworden.

Aber er war auch der unverbindliche, der harsche, der eigensinnige Michelangelo. Von Geld besessen, ohne dass er sich selbst etwas gönnte. Die Arbeiten an dem Grabmal Julius' II. streckte er über 30 Jahre Zeit, trotz exklusiver Verträge, in denen er sich mehrfach zu jeweils märchenhaften Honoraren zur ausschließlichen Arbeit an diesem Auftrag verpflichten ließ. Klagen, Verhandlungen, Vergleiche fanden statt, unter wechselnden politischen Verhältnissen. Einmal hatten die Nachfahren della Rovere, die Erben des Julius, Oberwasser, einmal nicht, aber Michelangelo diktierte letztlich stets das Tempo.

Neben seinen Skulpturen schuf er auch das rund 550 Quadratmeter große Deckengemälde der Sixtinischen Kapelle und später noch das dortige "Jüngste Gericht".

Fazit

Man stößt zum Glück immer wieder auf Bücher zu einem Thema oder einer Person, die in der persönlichen Wissenstopologie einen exklusiven Platz besetzen, der nicht nach weiterer Literatur verlangt. Das vorliegende Buch ist eines aus dieser seltenen Kategorie. Was zeichnet es aus? Was unterscheidet es von vielen anderen Büchern?

Der Biograf Antonio Forcellino ist ein erfahrener Kunsthistoriker, der sich gründlich mit der Person des Michelangelo und seiner Zeit auseinandersetzte. Aber als wesentlicher ist zu bewerten, dass er sich als Restaurator lange Zeit mit den Werken Michelangelo beschäftigte, und zwar in wörtlichem Sinne, denn er restaurierte fünf Jahre lang den Moses der julianischen Grabstätte. Fünf Jahre lang in den Falten eines Gewandes und der Anatomie des Moses zu leben, muss einem Restaurator exklusive Inneneinsichten des Künstlers und der Entstehung des Werkes vermitteln. Er wird sich abends gelegentlich auch gefühlt haben wie Michelangelo damals, müde, schmutzig, winters vielleicht auch mit klammen Fingern.

Diese Nähe des Autors zu Michelangelo zieht sich unaufdringlich durch das Buch, ohne jemals die Distanz zu unterschreiten, die einem der Respekt gebietet - auch oder insbesondere wenn die Person längst nicht mehr lebt.

Man kann dieses Buch nicht gelesen haben, ohne mit dem Gedanken an eine erste oder vielleicht neuerliche Reise nach Rom und Florenz zu denken. Denn unter sachverständiger Leitung nähert man sich als Leser den Skulpturen und Gemälden auf eine gründliche Art und Weise und man möchte einfach den Moses sehen, dessen Kopf Michelangelo während der Gestaltung noch eine Drehung nach links einmeißelte - einfach unglaublich.

Kenntnisse der italienischen Renaissance, des Kirchenstaats und des Florenz der damaligen Zeit erleichtern das Verstehen des Phänomens Michelangelo, was übrigens ebenso in anderer Richtung gilt. Denn Michelangelo war zudem ein politischer Mensch, der sich auch gelegentlich tüchtig in die Nesseln setzte. Auch in religiösen Dingen artikulierte er sich und sympathisierte mit einem Reformkreis.

(Klaus Prinz; 05/2006)


Antonio Forcellino: "Michelangelo"
(Originaltitel "Michelangelo. Una vita inquieta")
Aus dem Italienischen von Petra Kaiser, Martina Kempter, Sigrid Vagt.
Siedler, 2006. 395 Seiten.
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Antonio Forcellino, Jahrgang 1955, ist Renaissance-Forscher und Michelangelo-Experte. Als Restaurator hat Forcellino an vielen bedeutenden Werken der Kunstgeschichte gearbeitet.

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