Gilles Paris: "Autobiografie einer Pflaume"

Erfrischend anders - das ist der erste Gedanke, wenn man das Buch zur Seite legt. Lange hat es nicht gedauert, bis ich mich zur letzten Seite "durchgeschlagen" hatte.


Gilles Paris beschreibt das Leben - genauer gesagt einen Zeitraum vom circa einem Jahr aus dem Leben des kleinen Icare.
Der Neunjährige, genannt Pflaume, lebt allein mit seiner Mutter in einem Häuschen. Sein Vater ist schon vor langer Zeit "mit einer Pute auf Weltreise" gegangen - so ganz klar ist dem Jungen aber nicht, warum der Vater ausgerechnet ein Federvieh mitgenommen hat.
Leider kümmert sich Mama nicht besonders hingebungsvoll um Pflaume. Sie sitzt den lieben langen Tag bloß vor dem Fernsehgerät und unterhält sich mit dem Kasten. Bestenfalls ihr Kartoffelpüree weiß zu überzeugen, kann aber auch nicht für die diversen "Abreibungen, die sich gewaschen haben" entschädigen, welche es immer dann - aber auch grundlos - setzt, wenn Icare etwas anstellt.

Das neue Leben beginnt, als Pflaume einen Revolver entdeckt und versucht, damit den Himmel zu erschießen. Unglücklicherweise wird weniger der Himmel, als viel mehr die Mama von einer Kugel niedergestreckt. Übrig bleibt ein einsamer Junge, der seine neue Heimat und viele neue Freunde in einem Kinderheim findet. Glück im Unglück also.

Einen nicht zu vernachlässigenden Anteil am Roman haben auch die Nebenfiguren. Jede von ihnen ist ein besonderer Charakter und bringt sich gewinnbringend in die Geschichte ein. Da gibt es Pflaumes Zimmergenossen, den weinerlichen Ahmed, der immer von seinem Vater träumt, und außerdem Simon, der über alles und jeden Bescheid zu wissen scheint, nur nicht über sich selbst. Außerdem wohnen noch der gefräßige Jujube im Heim, der immerzu mit eingebildeten Krankheiten Mitleid zu erheischen erhofft, und die Erzieherin Rosy, die alle Kinder liebt. Am wichtigsten ist aber Camille. Für sie entdeckt Icare besondere Gefühle, und schließlich der nette Gendarm Raymond. Sie alle - und noch viele mehr - verleihen der Geschichte Lebendigkeit.

Die Übersetzung aus dem Französischen stammt von Melanie Walz. Außerdem sei erwähnt, dass der Autor die Geschichte vom Anfang bis zum Ende in Präsens verfasst hat. Das bringt die Geschehnisse quasi in greifbare Nähe zum Leser. Entsprechend der Erwartung, die schon der Titel - "Autobiografie einer Pflaume" - weckt, hat man es mit einem Ich-Erzähler zu tun, eben diesem Kind, und entsprechend gestaltet sich der Erzählstil. Selten plagt sich der Leser mit langen oder verschachtelten Sätzen herum.

Gerade die Person des Erzählers und sein einfach gestrickter Charakter sorgen bei der Lektüre oftmals für Amüsement. Es wirkt die kindliche Sicht auf die Dinge und auch die Tatsache, dass manche Aussagen allzu wörtlich genommen werden, sehr erheiternd. Bei alledem bleibt der "Held" jedoch immer sympathisch, und immer vergönnt man ihm die kleinen Freuden, die ihm im Alltag widerfahren. Schließlich soll sich doch für unseren Protagonisten alles zum Guten wenden.

Gilles Paris' Roman kann uneingeschränkt empfohlen werden. Das Lesen bereitet großen Spaß und allzu schnell hat man die 237 Seiten hinter sich. Langeweile ist nie aufgekommen - ganz im Gegenteil. So sollte jeder, der sich einmal wieder ein wenig wie ein Kind fühlen möchte, zu diesem Buch greifen. Der Lohn sind einige vergnügliche Lesestunden.

(MagMaMa; 08/2004)


Gilles Paris: "Autobiografie einer Pflaume"
(Originaltitel "Autobiographie d'une Courgette")
Aus dem Französischen von Melanie Walz.
Knaus, 2004. 237 Seiten.
ISBN 3-8135-0213-9.
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