Otto Sander liest Christian Morgenstern
"Ausgewählte Gedichte"

(Hörbuchrezension)


Im Jahre 2001 erschien die erste "Rilke-Projekt"-CD, und der Erfolg dieser ungewöhnlichen Idee, die mittlerweile schon zwei Fortsetzungen gefunden hat, wurde u.a. mit Interpretationen von Otto Sander eingeleitet. Seine tiefe, einzigartige Stimme passt kongenial zur Stimmung, die "Der Panther" vermitteln mag.

Anlässlich der "Viennale" war Otto Sander vor einigen Jahren im Kino zu Gast und las Texte von Ilse Aichinger, die an seiner Seite saß, und auch aus ihrem eigenen Werk zitierte. Einerseits war Otto Sander wohl jedem Hörer sofort sympathisch, da er in keinster Weise den "Star" heraushängen ließ (das war aber wohl auch nicht anders zu erwarten), andererseits war zu bemerken, dass er sich perfekt auf die Kino-Erlebnisse der österreichischen Autorin eingestimmt hatte, und nur so die brillante Darbietung zu erklären war.

Unter den oben beschriebenen Voraussetzungen ist leicht festzumachen, dass der Schauspieler mit ebensolcher Energie die ungewöhnlichen philosophisch-humorigen Texte von Christian Morgenstern liest, und somit so etwas wie eine "Sublimierung" der Galgenlieder erreicht.

Gleich neununddreißig Miniaturen sind auf der CD enthalten, und jede einzelne spricht Otto Sander so, dass es Vergnügen bereitet, zuzuhören und die eigenartigen Zwischentöne mitzukriegen.

Die Besonderheiten der Texte von Christian Morgenstern brauchen an dieser Stelle nicht exemplifiziert zu werden; sie sprechen im Grunde genommen für sich, und eine Schar von Literaturwissenschaftern hat sich schon damit beschäftigt. Aber wie es dem Sprecher Otto Sander gelingt, eine zusätzliche "Erhöhung" auf spielerische Art und Weise zu erreichen, ist dem bekannten Schauspieler hoch anzurechnen. Was vielen AutorInnen höchstselbst nicht gelingt; nämlich im Rahmen von Lesungen eigene Texte auf eine Weise zum Vortrag zu bringen, dass die Zuhörer Lust darauf bekommen, mehr über diese merkwürdige Spezies zu erfahren, die im Schreiben von Prosa oder Lyrik mehr oder weniger Glücksmomente erfährt, schafft Otto Sander mühelos. Er schwebt buchstäblich mit den Texten mit, und sein Timbre vermag die Widersprüchlichkeiten der Miniaturen von Christian Morgenstern wunderbar zu beleuchten.

Dem Leser sei die nunmehr rezensierte CD aus zweierlei Gründen empfohlen, die ja bereits reichlich durchdrangen: Zum Einen wegen der sprecherischen Qualitäten von Otto Sander; zum Anderen wegen der Eigenheiten der "Galgenlieder", die wohl nur von herausragenden Sprechern außergewöhnlich umgesetzt werden können. Ein dritter Faktor mag noch hinzukommen, der als spezifische Ergänzung gelte: Es ist die Gitarrenmusik, die zwischen bzw. vor die "verrückten" Texte von Christian Morgenstern gesetzt sind.

Otto Sander spielte in Filmen wie "Das Boot", "Die Blechtrommel" und "Der Himmel über Berlin" mit. Er arbeitete mit Regisseuren wie Louis Malle, Margarethe von Trotta, Wim Wenders und Andrzej Wajda. Als Theaterschauspieler spielte er an renommierten Bühnen in München, Düsseldorf, Heidelberg und Berlin. Gern agiert er als Sprecher für Hörbücher.

Christian Morgenstern veröffentlichte 1905 erstmals die Sammlung seiner "Galgenlieder", das Hohelied auf den Spaß im Umgang mit der Sprache.

(Al Truis-Mus; 05/2004)


Otto Sander liest Christian Morgenstern
"Ausgewählte Gedichte"
Random House Audio, 2004. 1 Audio-CD mit Begleitheft.
Laufzeit: ca. 70 Minuten.
ISBN 3-89830-676-3.
ca. EUR 18,-. Audio-CD bestellen