Ana Menéndez: "Geliebter Che"

"Lebwohl, doch du wirst bei mir
sein, wirst mitgehen, drinnen
in einem Tropfen Blut, der kreist in meinen Adern."

Ein spannender Roman und eine Hommage an Kuba


Eine junge Frau auf der Suche nach den eigenen Wurzeln ...

Als Kleinkind ist sie mit dem Großvater von Kuba nach Miami ausgewandert. Seither wurde nie über ihre Eltern oder die Vergangenheit in Havanna gesprochen. Doch die junge Frau lässt nicht locker und bedrängt ihren Großvater immer stärker mit der Bitte, mehr über ihre Mutter zu erfahren. Eines Tages berichtet der Großvater, dass ihre Mutter ihn gebeten hätte, sie mit in die Vereinigten Staaten zu nehmen. In Miami angekommen, fand er einen Zettel auf ihren Pullover geheftet vor, mit eingangs angeführtem Gedicht.

Zu diesem Zeitpunkt war dem Mann klar, dass seine Tochter nicht beabsichtigte nachzukommen. Die Versuche des Vaters, wieder mit seiner Tochter in Kontakt zu treten, bleiben erfolglos. Die junge Frau ist fasziniert, und die Sehnsucht nach ihrer Mutter wächst ins Unermessliche. Mehrmals reist sie nach Havanna und verbringt viele Tage damit, an Türen in jenem Viertel zu klopfen, in dem ihre Mutter damals gelebt hat, und nach der Mutter zu fragen. Doch die Besuche in Havanna zermürben sie.

Die Stadt, die auf den ersten Blick so liebreizend wirkt, wird immer mehr zur Stadt der zertrümmerten Hoffnungen, bis sie eines Tages ein Päckchen mit Briefen und der Lebensgeschichte ihrer Mutter erhält. Darin berichtet diese von Kuba zur Zeit ihrer Geburt, vom Leben als Ehefrau und von der Begegnung mit Ernesto "Che" Guevara. Diese Begegnung verändert ihr Leben. Obwohl sie ihren Ehemann weiterhin vorbehaltlos liebt, denkt sie nur mehr an diesen anderen Mann, der ihr Angst macht und sie mit seinem Geruch und Schmutz abstößt und doch ein Lechzen in ihrem Inneren auslöst, dass sie zu sterben meint. Verzweifelt bemüht sie sich, das Gleichgewicht in ihrer Welt zu bewahren, begreift aber gleichzeitig erstmals, dass es eine Frau fertig bringen kann, aus Liebe ihr ganzes Leben zu ruinieren, ihre Familie und ihre Ziele zu vergessen, ja selbst ihre Seele zu verkaufen.
Che Guevara, Revolutionär und bedeutender Freiheitskämpfer, war die große Liebe der Mutter und zieht auch die junge Frau zunehmend in seinen Bann. Die Erinnerungsfetzen ihrer Mutter faszinieren sie, und voller Zärtlichkeit und Sehnsucht versucht sie deren Wahrheitsgehalt zu rekonstruieren und neuerlich ihre Mutter zu finden.

Eine spannende Geschichte über Realität und Fiktion, Liebe, Verrat und die unbändige Sehnsucht danach, die eigenen Wurzeln zu erkunden; der Mutter, die nur als Phantom existiert, zu begegnen, Antworten zu erhalten und Teil des pulsierenden Kuba sein zu dürfen. Eine Liebesbeziehung wie ein Feuerwerk, dessen Funken auch die Tochter erfassen: "Denn in meinem Herzen leben deine Küsse wie rote Fahnen" ...

(Margarete Wais; 08/2004)


Ana Menéndez: "Geliebter Che"
(Originaltitel "Loving Che")
Aus dem Amerikanischen von Barbara Schaden.
Blessing, 2004. 224 Seiten, 13 Abbildungen.
ISBN 3-89667-141-3.
ca. EUR 19,60. Buch bei buch24.de bestellen
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Ana Menéndez wurde 1970 als Tochter kubanischer Eltern geboren, die in den Sechzigerjahren in die USA flohen und nie mehr in ihre Heimat zurückkehren konnten, und wuchs in Miami auf. Die Vereinigten Staaten und Kuba - diese zwei konträren Welten spiegelt Ana Menéndez in ihrem Debütroman "Geliebter Che" wie auch in ihrem vor drei Jahren erschienenen Erzählungsband "Damals in Kuba". Bevor sie sich dem literarischen Schreiben zuwandte, arbeitete Ana Menéndez als Journalistin u. a. für "The Miami Herald", für den sie hauptsächlich über die kubanische Exilgemeinde berichtete.

Ergänzende Buchempfehlung:

"Damals in Kuba"

Paargeschichten: Manche von ihnen sind bewegende Studien der Liebe, in denen sich wohl jeder wiedererkennen kann, andere reflektieren auf nicht minder beeindruckende Weise die ganz speziellen Konflikte von Exilkubanern und ihr Hin- und Hergerissensein zwischen alter und neuer Heimat. In "Hurricane Stories" erzählt eine junge Frau ihrem Freund Geschichten von Wirbelstürmen - von selbst erlebten und von überlieferten -, damit er sich später vielleicht doch einmal an sie erinnert. In "Warum wir weggegangen sind" sitzt ein Paar irgendwo in einem verschneiten Haus und trauert um ein gestorbenes Kind, ein jeder auf seine Art. Während er Münzen sammelt und in kleinen Türmchen auf den Tisch stapelt, geht sie im winterlichen Wald spazieren und fantasiert von tropischen Blumen. Keiner von ihnen kann weinen, beide haben die Erinnerung an früher, an das schwülwarme, nach Hyazinthen duftende Miami, tief in sich verschlossen, wie einen Traum. "Die Verwirrung der Heiligen" erzählt von den Nöten der jungen Clarita; sie wartet in Florida auf die Ankunft ihres Mannes Orlandito, der den gefährlichen Weg übers Meer auf einem Floß angetreten hat, und quält sich mit der Frage, ob die heilige Barbara, die Schutzpatronin der Seeleute, auch für vermisste Flüchtlinge zuständig ist. Und "Die Rettung" schildert den Kummer des Piloten Anselmo (eben des Sohnes von Raul und Matilde), der sich in der Nacht vor einem Einsatz der Küstenwache, bei der kubanische Floßflüchtlinge aufgespürt und gerettet werden sollen, schlaflos im Bett herumwälzt, weil seine Frau, die Amerikanerin Meegan, allzu heftig mit seinem Kollegen Mark geflirtet hat ... (Blessing)
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Über meine Herkunft weiß ich nicht viel. Ich wurde von meinem Großvater in einem kleinen Haus, das sich von den anderen Häusern in der Straße praktisch nicht unterschied, in einem Vorort am westlichen Stadtrand von Miami aufgezogen. Jeden Morgen brachte er mich zu Fuß zur Schule, und jeden Nachmittag kamen wir zusammen wieder nach Hause. Wenn er etwas sagte, dann nur, um mich auf eine besondere Baumart aufmerksam zu machen, die ich kennen sollte, oder um mir den Namen einer Blume zu nennen, die in einem Vorgarten wuchs. Abends saß er auf seinem ungepolsterten gelben Stuhl und las, stundenlang, ohne ein Wort zu sagen. Später, wenn ich schon im Bett war, schaltete mein Großvater das Kurzwellenradio ein, das er im Schrank aufbewahrte, und ich schlief jeden Abend zu den Tönen anschwellender und wieder verklingender Radiosendungen ein, einem eigenartigen Gewinsel, das hin und wieder vom monotonen Gebrumm auf Spanisch verlesener Nachrichten unterbrochen wurde oder von den heiseren Klängen eines danzón, abgespielt über Entfernungen hinweg, die für mich noch unvorstellbar waren.

Im Haus meines Großvaters gab es keinen Fernseher, keine Zeitschriften, keine Fotos, nur Bücher und das wortlose Umblättern der Seiten. Über meine Eltern, wie über das meiste, sprach er wenig. Ich wuchs mit der Gewissheit auf, dass mein Vater im Gefängnis gewesen und dort gestorben war und meine Mutter mich in ihrem Kummer fortgeschickt hatte. Falls ich als Kind meinen Großvater überhaupt je nach meiner Mutter gefragt hatte, so weiß ich nicht mehr viel davon. Vielleicht spürte ich schon damals, dass eine große Enttäuschung mit ihr verbunden war, dass sie zu den vielen Dingen der Vergangenheit gehörte, über die man möglichst nicht sprach. Dazu kommt, dass mein Großvater in den Jahren meiner Kindheit die gesamte Welt verkörperte, die ich kannte. Doch trotz seiner verdrängten Sorgen hatte er es irgendwie fertig gebracht, mir eine ereignisarme, sogar angenehme Kindheit zu bieten; woran ich mich jetzt am besten erinnere, sind die ganz normalen Bestandteile des Heranwachsens:an das Plantschen in einem Plastikbecken mit den Nachbarskindern, an meine Uniform von der katholischen Schule und das tröstliche Gefühl, zu einer Gruppe zu gehören, die sich in den wesentlichen Fragen des Daseins einig ist. Vielleicht hatte sich mein Großvater im Licht der eigenen Erinnerungen an Aufruhr und Chaos vorgenommen, mir ein langweiliges, gewöhnliches Leben zu ermöglichen; oder vielleicht ist dies das Leben, das einer führt, der es aufgegeben hat, den Ereignissen einen Sinn abzuringen. Irgendwann jedoch stellte mich das Schweigen meines Großvaters über meine Mutter nicht mehr zufrieden. Schon als Kind hatte ich begonnen, ein Vakuum hinter mir zu spüren, und je älter ich wurde, desto mehr machte mir der leere Raum zu schaffen, den meine Mutter hätte ausfüllen sollen. Später, als Jugendliche, brachte ich immer mehr Zeit damit zu, an sie zu denken, mir Geschichten über sie auszumalen, und in jeder Fantasie wurde sie schöner und aufregender, war der Frau, zu der ich selbst mich entwickelte, immer weniger ähnlich. Über den fraglosen Respekt und die Liebe, die ich meinem Großvater entgegengebracht hatte, legten sich nach und nach Frustration und Misstrauen. Je mehr Fragen ich an ihn hatte, desto mehr schien er sich in die Stille seiner Bücher zurückzuziehen. Als ich einmal von ihm wissen wollte, weshalb er kein einziges Foto von meiner Mutter besaß, das er mir zeigen konnte, antwortete er bloß, sie habe ihm nie eines gegeben. (...)

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