Bodil Malmsten: "Der Preis des Wassers in Finistère"


Mit Bodil Malmsten präsentiert der Wiener Deuticke im Zsolnay Verlag zum ersten Mal eine schwedische Schriftstellerin auf Deutsch, die in ihrem Heimatland keine Unbekannte ist. Etliche Erfolgstitel hat sie dort veröffentlicht und sich auch als Journalistin sowie insbesondere als Übersetzerin des Werks von Thomas Bernhard ins Schwedische einen Namen gemacht.

"Der Preis des Wassers in Finstère" ist in Schweden 2001 erschienen und Bodil Malmstens erste Veröffentlichung nach einer für sie und ihr Leben sehr bedeutenden Entscheidung. Bodil Malmsten verließ im Jahr 2000 ihr "ehemaliges Heimatland", wie sie es im Buch nennt, und zog in die französische Provinz Finistère, den westlichen Zipfel Frankreichs, in die Bretagne.

"Ich wohne in Finistère, weil ich hierher gezogen bin. Das ist kein Zufall, für eine erfahrene Frau gibt es keine Zufälle. Wer mit offenen Augen schläft, findet. Ein paar Monate, länger dauerte es nicht. Ich verließ das Land, in dem ich fünfundfünfzig Jahre lebte, es war an der Zeit. Von Freiheit wie berauscht fuhr ich, suchte nicht, aber fand Finistère. Nicht weit entfernt von Brest wurde es warm und immer wärmer, und dann dauerte es nicht mehr lange, und ich stand vor dem Stück Paradies, das mir gehört. So wie es für jeden Menschen einen Partner gibt, hat jeder seinen Platz. Man muss unter all den Milliarden, die zu einen anderen gehören, seinen nur finden, man muss hellwach sein, muss auswählen. Mein Platz ist dort, wo die Landmasse Europas endet, fin de terres, finis terrae - Finistère."

Genauere Hintergründe erfahren wir nicht, die Ich-Erzählerin deutet allerdings mehrfach an, dass sie es in ihrem Land einfach nicht mehr ausgehalten habe. Aber sie ist auch angeödet  von der Politik anderer Länder und Regierungen und entrüstet sich:
"Die Heuchelei der Regierenden, das ist Gewalt, eine Gewalt, die besonders denen in die Augen sticht, die auf Rabattcoupons angewiesen sind und ihren Kindern nur dann Eis kaufen können, wenn es das im Sonderangebot gibt. Diese Hetze, der Kinder und Alte ausgesetzt sind, das ist Gewalt."

Sie geht, lässt alles zurück, hat keine besonderen Pläne, auch keine schriftstellerischen. Sie sucht Ruhe, will zu sich kommen, ihr Leben überdenken. Sie findet am westlichsten Zipfel Europas ein Haus mit einem großen Garten, das sie kauft. Sofort fängt sie an, sich in ihrem Garten eine Welt zu schaffen, in der Leben wachsen kann und nicht vernichtet oder bedroht wird. Hier in ihrem langsam Gestalt annehmenden Garten findet sie einen Ort, wo sie zu sich selbst zurückkehren kann. Schwer arbeitend, hackend, grabend, pflanzend und vor allen Dingen wässernd, denkt sie über viele Dinge nach. Immer wieder jedoch bleibt sie in ihren Gedanken ihrer alten Heimat verhaftet, dem, was dort ihrer Meinung nach in den letzten Jahren politisch und gesellschaftlich falsch gelaufen ist. Das immer weiter fortschreitende Unrecht und die zunehmende Gewalt in der Welt tun ihr an Körper und Seele weh. Und sie formuliert so etwas wie ein Schuldbekenntnis ihrer Generation: sie haben es kommen sehen, sie haben es zugelassen und der Entwicklung keinen wirklichen Widerstand entgegengesetzt. Und auch jetzt kann sie nichts anderes tun, als fortgehen und in ihrem Garten eine Möglichkeit finden, mit dem Lebendigen in Kontakt zu kommen. Doch immer wieder hört sie die unausgesprochenen Vorwürfe der jüngeren Generation: warum habt ihr nichts getan?

Sie freundet sich mit Monsieur Le R an; auch er ist von anderswo in die Bretagne gezogen; auch er sucht in seinem Garten Erfüllung. Sie treffen sich immer öfter, reden über ihre botanischen Versuche und Pläne und kommen sich so nahe, dass man denkt, daraus könnte mehr werden. Sie verstehen sich gut, und die Ich-Erzählerin fühlt sich zu ihrem Gesprächspartner hingezogen. Bis sie ihn eines Tages fragt, warum er denn nach Finistère gezogen sei.
"'Der Grund war', erklärt Monsieur Le R,  'in meiner alten Heimatstadt gibt es mehr Neger als in ganz Afrika. Araber. Albaner. Afghanen. Türken und Kurden, Restrussen und Restjugoslawen. Die ganze Landkarte ist dorthin umgezogen. Schlafen tagsüber und holen sich Sozialhilfe. Man kann nicht mehr über die Straße gehen, ohne eine Machete in den Rücken zu bekommen.'"

Vor solch geballtem und mit einer ebenso absoluten wie selbstgerechten Gewissheit daherkommendem Rassismus ergreift sie erschüttert die Flucht. Sie sieht Monsieur Le R nie wieder.

Umso mehr Kontakt hat sie mit einer Frau, die sie Madame C nennt, einer einheimischen Frau mit Stil, die jedes Mal, wenn sie (rein zufällig?) an dem Haus der Schwedin vorbeikommt, anhält und ein Schwätzchen hält. Zunächst geht das nur sehr langsam vonstatten, zu rudimentär sind noch die französischen Sprachkenntnisse der Neubürgerin. Doch das ändert sich, erst recht, als nach etwa einem Jahr die Schriftstellerin in ihrer Begeisterung über die Landschaft, die Leute und besonders ihren Garten zu Madame C sagt, über Finistère könnte sie glatt ein Buch schreiben. Madame C, die sowieso die ganze Zeit nicht recht verstehen konnte, wieso sich eine Schriftstellerin ein ganzes Jahr letztlich nur um ihren Garten kümmern kann, greift diese Idee sofort auf, nimmt sie für bare Münze, und ab diesem Zeitpunkt vergeht kein Tag, an dem sie gegenüber der Ich-Erzählerin nicht auf dieses Buchprojekt zu sprechen kommt.
Parallel dazu wartet ihr schwedischer Verlag offenbar auch auf ein neues Werk, und so gerät sie unter immer größeren Druck.
Davon handelt dieses Buch auch.
Während sie die bislang beschriebene Geschichte entfaltet, ihre Zeit des Anfangs, die Fortschritte und Rückschläge in ihrem Garten, ihre Freundschaft mit Monsieur Le R, Madame C und anderen Einheimischen schildert, setzt sie sich mit diesem Buch auseinander, das einfach nicht geschrieben werden will. Irgendetwas hemmt sie. Madame C kommt nun mehrfach täglich, wie um zu kontrollieren, ob sie wirklich konsequent an dem neuen Buch arbeitet. Seit sie einige Monate zuvor eine horrende Wasserrechnung bekommen hat, (der Garten brauchte viel Wasser), steht auch der Titel fest: "Der Preis des Wassers in Finistère", was nun Madame C wiederum gar nicht gefallen will. Sie hätte es gern etwas poetischer.

Und so wird der Leser in einen schwierigen Prozess der Schreibversuche und des Beschreibens, warum das Schreiben nicht klappt, verwickelt.

Schlussendlich kommt der Durchbruch, nachdem sie einen englischen Artikel eines Literaturwissenschaftlers gelesen hat, der behauptet, eine Ich-Erzählung könne nur und ausschließlich im Imperfekt erzählt werden. Sie sieht sich um ihre ganze gegenwärtige Erfahrung betrogen und beginnt das Buch, das man die ganze Zeit schon gelesen hat ...

"Der Preis des Wassers in Finistère" ist ein Buch einer Frau auf der Suche nach Gemeinschaft, ein Buch einer Schriftstellerin auf der Suche nach einer neuen, nach ihrer Form und ein Buch über die Freude und den Schmerz an der Welt und am Prozess des Schreibens.
Von dieser Autorin möchte man gern noch mehr zu lesen bekommen.

(Winfried Stanzick; 02/2007)


Bodil Malmsten: "Der Preis des Wassers in Finistère"
Aus dem Schwedischen von Sigrid Engeler.
Deuticke, 2007. 207 Seiten.
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Bodil Malmsten, geboren 1944 in Jämtland/Schweden, Studium an der Akademie der Künste in Stockholm. Seit 1977 freie Autorin, arbeitet u.a. für Zeitungen, Funk und Fernsehen. Ehrendoktor der Mittuniversität Schweden, zahlreiche Literaturpreise.