Der Vampir

In Deutschland wird der vampir zum ersten Mal im Jahre 1732 erwähnt, und der Autor, von dem wir nur die Initialen kennen, stellt sich die Frage nach der Bedeutung des Wortes. In England gerät vampyre in den Wortschatz über den 1745 veröffentlichten, aber 1734 verfassten Reisebericht The Travels of three English gentlemen from Venice to Hamburg. Unter Bezug auf den Provisor Johann Heinrich Zopf, erwähnt der Erzähler Fälle von Vampirismus in Serbien, im Banat, in Russland, Polen und in Litauen und schreibt: "Bei diesen Vampiren nimmt man an, sie seien die toten Körper verstorbener Personen, verließen, von bösen Geistern beseelt, nächtens ihre Grabstätten und saugten das Blut so mancher Lebender aus, was ihnen den Tod bringe."

   Hexen und Hexer sind prädestiniert, zu Vampiren zu werden, glücklicherweise aber kann man sie, wenn man sie aus ihrem Grab holt, an bestimmten Zeichen erkennen - an einem Feuermal auf dem Fuß, an einer Schere im Rücken, an ihren langen Zähnen, an einem über die anderen Zähne hinausgewachsenen Zahn oder an einer doppelten Zahnreihe. Andere vermutliche Vampire erkennt man an ihrer gespaltenen Lippe oder weil ihnen die Nase fehlt.
   Ein anderes, unfehlbares Mittel der Identifizierung ist die Nacktheit des ausgegraben Leichnams. Im Jahre 1572 öffnete man das Grab einer Frau im polnischen Rhezur, und man stellte fest, dass sie nackt war und ihre Kleider verschlungen hatte.
Nun noch ein Detail, das im 18. Jahrhundert viel Tinte hat fließen lassen und auf das amtliche Berichte nur in Andeutungen eingehen - aus Gründen, die sich von selbst verstehen: Wenn es sich um den toten Körper eines männlichen Vampirs handelt, ist sein Penis im Zustand der Erektion - eine Einzelheit, welche die Romanschriftsteller - aus Gründen der Schicklichkeit - niemals wagten aufzugreifen. Gleichwohl, Gelehrte wie Michael Ranft vertiefen sich in diese Frage und ergehen sich in medizinischen und fysikalischen Erklärungen: "Der Penis, von schwammartiger Beschaffenheit, kann sich am Leichnam spontan aufrichten, wenn eine Flüssigkeit oder auch ein Atemhauch in die Baucharterie eindringt." Dieser erigierte Penis ist, ganz natürlich, der Beweis, dass diese außerhalb der Gesellschaft stehenden Toten sexuelle Regungen verspüren, die sie dazu treiben, über Frauen herzufallen; (...).
Ein letztes Detail lässt keine weiteren Zweifel aufkommen: Bart, Haupthaare, Nägel wachsen nach, was man einst als sicheres Zeichen für vegetatives Leben im Leichnam deutete. Bisweilen behauptet man, die Handteller des Vampirs seien mit Haaren bedeckt - ein Mittel, die Andersartigkeit des Vampirs zu unterstreichen.
   Dank Le Fanu (Sheridan Le Fanu, 1814 - 1873; schuf in seinem1872 erschienenen Roman einen weiblichen Vampir namens Carmilla; Anm.) hat der moderne Mythos ein neues Element eingeführt: eine besondere Beschaffenheit der Zähne. Als der Hausierer die Heldin der Erzählung mit Carmilla am Fenster des Schlosses erblickt, fallen ihm ihre Zähne auf, und er erklärt: "Eure edle Freundin, das junge Fräulein zu Eurer Rechten, hat die schärfsten Zähne, die es gibt, lang, schmal, spitz wie ein Schusterpfriem, wie eine Nadel." In Bram Stokers Roman beschreibt Jonathan Harker den Grafen Dracula: "Der Graf (...) wich zurück mit einem Lächeln, das mir als böses Vorzeichen erschien und das mich noch besser seine vorstehenden Zähne erkennen ließ", und die drei weiblichen Vampire, die ihn im Sessel schlafend überraschen, haben "Zähne von einem blendenden Weiß, die wie Perlen leuchteten zwischen ihren roten und sinnlichen Lippen."


Aus:
"Die Geschichte der Vampire. Metamorphose eines Mythos."
von Claude Lecouteux.