Ilse M. Seifried (Hrsg.): "Das Labyrinth oder Die Kunst zu wandeln"


"Wenn wir wüssten, dass die Welt ein Labyrinth ist, dann wüssten wir, dass es ein Zentrum gibt. Egal ob dort etwas Schreckliches wie der Minotaurus oder etwas Göttliches wohnt. Aber es gäbe ein Zentrum. Wenn wir hingegen annehmen, dass die Welt Chaos sei, dann wären wir wirklich verloren." (Jorge Luis Borges)

Dieses für mich sehr spirituelle Buch beginnt mit der Geschichte des Labyrinths. Eine Auseinandersetzung über Ursprung und Bedeutung und eine klare Abgrenzung zwischen Labyrinth und Irrgarten, denn nur im Irrgarten kann man sich verirren, im Labyrinth hingegen gelangt man in dessen Zentrum. Die Bedeutung des Labyrinths in verschiedenen Kulturen wird dem Leser nahegebracht, und auch Labyrinthe in anderen Kontinenten werden vorgestellt.

Dieses Buch ermöglicht eine Begegnung mit dem Labyrinth auf unterschiedlichsten Ebenen. Überlegungen aus der Sicht der Philosophie haben ebenso ihre Berechtigung wie ein Zugang aus therapeutischer Sicht. Es finden Betrachtungsweisen aus feministischen Gesichtspunkten gleichermaßen Eingang wie Blickpunkte seitens der Bildenden Kunst, aber auch sehr persönliche Erfahrungen machen dieses Buch zu einem echten Lesegenuss.

Doch immer wieder erinnert uns die Herausgeberin Ilse M. Seifried, dass das Labyrinth nicht vom Schreibtisch aus zu erfahren ist. Sie und die Verfasser der verschiedenen Abschnitte beschwören den Leser geradezu, ein Labyrinth zu erkunden, dieses ins-Innere-zu-Streben selbst mitzuerleben. Sich diesem Weg auszusetzen, einem Weg, den wir mangels Überblicks nicht unter Kontrolle haben können. Sich einzulassen und auf die Suche nach einem Geheimnis begeben, darauf vertrauen, dass dieser Weg ins Zentrum führen wird. Die Kunst des Wandelns - des langsamen Erkundschaftens - am eigenen Leib zu erfahren und so vielleicht auch neue Anregungen zu finden, um sich selbst ein Stück zu wandeln.

Es gibt die unterschiedlichsten Labyrinthformen. Sie können rund, eckig, streng symmetrisch sein oder eine Vielzahl anderer Formen aufweisen, doch hat jedes Labyrinth seinen eigenen Charakter. Die wundervollen Fotografien in diesem Band ermöglichen uns sehr viele unterschiedliche Labyrintharten zu bewundern, ihrer Faszination zu erliegen und die Sehnsucht in uns nach dem Begehen eines solchen zu entfachen. Wenn uns die Hektik unserer Zivilisation oft kraftlos macht, so verspricht das bewusste Durchwandern eines Labyrinths mit seiner Beschaulichkeit und Ruhe sicher Abhilfe und das Tanken neuer Energie.

Die Herausgeberin Ilse M. Seifried wurde 1956 in Wien geboren. Sie ist Sonderschullehrerin. Seit Jahren gilt ihr Hauptengagement dem Labyrinth und seiner Wirkkraft. Sie veranstaltet dazu auch Seminare und gestaltet Ausstellungen.

Ich kann diesen tollen Band wirklich nur jedem empfehlen und möchte mit einem sehr persönlichen Ratschlag von Robert Ferré, den ich mir bei nächster Gelegenheit zu Herzen nehmen werde, enden:

Über Labyrinthe zu lesen ist eine nette Freizeitbeschäftigung, aber das Labyrinth bietet viel mehr. Es gibt großzügig und verlangt sehr wenig, nur, dass Sie ihre Sorgen an seinem Eingang zurücklassen und es begehen - einfach, ehrlich, achtsam, offen für alles, was es Ihnen enthüllen möge, und bereit, ihm zu folgen, wohin es Sie führt.

(margarete; 11/2002)


Ilse M. Seifried (Hrsg.): "Das Labyrinth oder Die Kunst zu wandeln"
Haymon Verlag, 2002. 208 Seiten mit 130 zum Großteil farbigen Fotos.
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