Friedemann Bedürftig: "Schätze aus Kirchen und Klöstern Europas"


Sakrale Kunst anhand ausgewählter Kostbarkeiten verstehen lernen

Der Buchtitel lässt den Betrachter spontan an aufwändig gearbeitete Kelche und Monstranzen, kunstvoll geschnitzte und vergoldete Kreuze, Heiligengemälde und Altarbilder, kostbare Reliquiare und ähnliche Preziosen denken, wie man sie in manchem Domschatz findet.
Selbstverständlich werden etliche solche Beispiele sakraler Kunst im Buch vorgestellt, darunter so bekannte wie der Dreikönigsschrein aus Köln, der Tassilokelch aus Kremsmünster und die Michelangelo-Fresken in der Sixtinischen Kapelle. Der Autor definiert den Begriff "Schatz" jedoch viel umfassender und bezieht auch Teile kirchlicher und klösterlicher Gebäude und Anlagen mit ein, beispielsweise das faszinierende spätgotische Fächergewölbe ("Perpendicular Style") im Kreuzgang der Kathedrale von Gloucester, das rätselhaft-magische Schnitzwerk der Stabkirche im norwegischen Urnes oder den reichen gotischen Figurenschmuck des Hauptportals der Kathedrale von Amiens. Wer wollte bezweifeln, dass der Fischer-von-Erlach-Altar der Franziskanerkirche in Salzburg, der sich trotz seines Barockstils wunderbar in das gotische Gotteshaus einfügt, als Schatz zu werten ist - oder das "Westfälische Abendmahl", ein Kirchenfenster aus Soest vom Ende des 15. Jahrhunderts, das Jesus und die Apostel bei einem ausgesprochen deftigen letzten Abendmahl mit Spezialitäten der Region zeigt?
Und so enthält das Buch eine Sammlung von bekannten und oftmals auch weniger bekannten, aber außergewöhnlichen Höhepunkten sakraler Kunst und Architektur aus fast zwei Jahrtausenden, gegliedert nach Ländern.

Auf je einer Doppelseite findet der Leser und Betrachter ein qualitativ hochwertiges Foto des besprochenen Schatzes sowie eine Erläuterung des Kunstwerks oder Bauteils selbst und der dazugehörigen Geschichte, sei es eine (Heiligen-) Legende, ein historischer Abriss oder eine Beschreibung des kulturellen Kontexts. Selbstverständlich werden die betreffenden Kunst- und Baustile anhand der Kostbarkeiten erklärt, von denen viele zum UNESCO-Weltkulturerbe gehören.
Auf diese Weise erschließt sich dem Leser auch die Art und Weise, wie Frömmigkeit zu unterschiedlichen Zeiten und in verschiedenen Regionen Europas empfunden, gelebt, dargestellt und interpretiert wurde. Die subjektive Auswahl der vorgestellten Schätze ist bewusst so breit gefächert, dass praktisch aus jedem Bereich sakralen Kunst- und Architekturschaffens überzeugende Beispiele vorhanden sind. Daher erhält der Leser zahlreiche Anregungen und Hintergrundinformationen für eigene Entdeckungen abseits der im Buch erwähnten, und das macht das Buch zu einer Leseerfahrung, die (entsprechende Interessen und Reise- und Unternehmungslust des Lesers vorausgesetzt) noch lange nachwirken kann.
Der Stil der Texte ist bei aller gebotenen Sachlichkeit angenehm und unterhaltsam, also ohne eine Spur von Trockenheit. Ein gründliches Register erleichtert das Nachschlagen. Die Abbildungen zeichnen sich, wie erwähnt, durch Qualität aus, und die übersichtliche und ansprechende Aufmachung bietet Lesekomfort.
Einen Kunstführer im klassischen Sinne erwerben Sie mit diesem Buch nicht, wohl aber eine Art Wegweiser zu einem tieferen Verständnis für sakrale Kunst, das auch das historische und kulturelle Umfeld der Entstehung von Kunstwerken, Kirchenbauten und Klöstern, inklusive regionaler Besonderheiten, einschließt.

(Regina Károlyi; 07/2006)


Friedemann Bedürftig: "Schätze aus Kirchen und Klöstern Europas"
Komet, 2006. 256 Seiten.
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