Vatikan / Deutsche Bischofskonferenz: "Katechismus der Katholischen Kirche"

Kompendium


Die herrschende Lehre der Kirche zu Rom, ein Lehrgebäude von gewaltigen Dimensionen, letztgültig ausgedeutet im Katechismus, der nun, zum Buchformat gerafft, als handlicher Weggefährte in Erscheinung tritt. So lässt sich das Kompendium in aller Eile charakterisieren. Eine kurz und bündig gehaltene Gesamtschau aller wesentlichen und grundlegenden Elemente des katholischen Glaubens ist es schlussendlich geworden, geboren und gewillt aus einem gleichermaßen der Seelsorge obwaltenden als wie missionarischem Eifer verpflichteten Bestreben zur Glaubensstabilisierung und Neuevangelisierung der Menschheit in Zeiten fortschreitender Säkularisierung mit Tendenzen zum Neuheidentum.

Wer wagte es zu bezweifeln? Ein übermäßig affirmativer Widerhall mag dem Kompendium zum Katechismus der Katholischen Kirche, in Zeiten medialer Allgegenwart scharfer Kirchenkritiker á la Drewermann, Ranke-Heinemann & Co ganz gewiss nicht beschieden sein. Das Lehramt der Kirche ist schlicht und einfach nicht besonders populär; reizt allemal zu Widerspruch und nur selten zu Zuspruch. Anbiederung an die wechselnden Moden des Zeitgeists ist nicht der hohen Kleriker lieber Brauch, deren Letztbezug bekanntlich mehr von überzeitlichem denn von beiläufigem Wahrheitsgehalt ist. Und auch der Rezensent, obgleich gegenüber allem Unzeitgemäßen besonders warmherzig und folglich offen gestimmt, wollte anfangs seine Reserviertheit gegenüber den dargebrachten Inhalten beim besten Willen nicht ablegen können. Gar manches irritierte seinen sich aufgeklärt wähnenden Verstand, und wie sollte sich auch ein durch die Moderne geprägtes Bewusstsein mit Glaubenswahrheiten versöhnen, die immer wieder mit der bloßen Vernunft zu brechen scheinen, faktisch Unmögliches behaupten, um damit in Mysterien abzugleiten, wozu Glaubensgehorsam als zentrale Tugend eingefordert wird? Kurzum: Wer unbedarft nach dem Katechismus greift, findet sich umgehend mit Glaubenszumutungen konfrontiert, ob welcher sich jedes üblich hin eingeübte Kritikvermögen empört.

"Groß bist du, Herr, und überaus lobwürdig ... Du hast uns auf dich hin geschaffen, und ruhelos ist unser Herz, bis es ruhet in dir" (hl. Augustinus).

Der Katechismus erzählt von überirdischen Sphären, liest sich streckenweise als Überweltspoesie, und lässt dabei nicht auch nur den leisesten Zweifel an der dargebrachten Mythologie aufkeimen. Wobei es jetzt schon fast eine Respektlosigkeit ist, in diesem Zusammenhang von Mythologie zu sprechen. Es geht sehr wohl um Wahrheiten, deren Anspruch es ist, das schlechthin Wahre und Schöne in letztgültiger Vollkommenheit zu repräsentieren. Wir befinden uns in der Welt des Religiösen, und die Sprache, die man hier spricht, bedient sich in Form und Grammatik des Wortlauts der Dogmatik. Also eines Systems von Glaubenssätzen, welches von Lästerern gelegentlich als "geistige Starrheit" diffamiert wird. Es ist; und nicht: Es mag sein. Gemeinsam durchwandern wir eine Schule der Mysterien, womit Unbegreiflichkeiten aller Art, doch von zentraler Bedeutung für das Glaubensgut, bezeichnet sind. In diesem Sinne präsentiert sich die Vorstellung des christlichen Gottes in Person, gezeichnet
vermittels des Dogmas der Heiligsten Dreifaltigkeit (Trinitätsdogma). Das Mysterium der Heiligsten Dreifaltigkeit - Vater, Sohn und Heiliger Geist - macht als Vorstellung eines einzigen Gottes in drei Personen allerdings gehörig stutzig, obgleich, bedenkt man die Rolle Jesu Christi nicht nur als religiös schöpferisches Genie, sondern als Erlöser, der hinweg nimmt die Sünde der Welt, Gott unmöglich in andersartiger personaler Gestalt gedacht werden kann. Mit anderen Worten: Es hat eine gewisse Logik für sich. Also diese drei Personen nun, sie sind unzertrennlich in ihrem einen Wesen und unzertrennlich in ihrem Tun, erklärt der Katechismus, doch in dem einen göttlichen Tun wirkt jede Person so, wie es ihrer Eigenart in der Dreifaltigkeit entspricht. Jesus Christus ist hierin untrennbar wahrer Gott und wahrer Mensch in der Einheit seiner göttlichen Person. Welch tollkühne Vorstellung absoluter Widersprüchlichkeit! Und doch nicht abwegig; sowie ohne Alternative. Gott "Vater" zeugt ihn - seinen Sohn - von Ewigkeit her in seinem Inneren, der Mensch wurde, um uns Sünder mit Gott zu versöhnen und an seiner göttlichen Natur Anteil haben zu lassen. Denn der Mensch ist mit der Erbsünde belastet, die als angeborener Zustand des Mangels an ursprünglicher Heiligkeit und Gerechtigkeit zu erachten ist. Wiederum ein Mysterium, denn diese Sünde ist angeboren und nicht Folge höchstpersönlichen Fehlverhaltens. Ursprung der Erbsünde sind, so der Katechismus, Adam und Eva, die im Ungehorsam sein wollten "wie Gott" (Gen 3, 5) und damit sogleich für sich und für alle ihre Nachkommen die ursprüngliche Gnade der Heiligkeit und Gerechtigkeit verloren. Wenn an anderer Stelle des Katechismus dann auch noch wie selbstverständlich bemerkt wird, dass es freilich Gott war, der im Anfang Himmel und Erde schuf, aus dem Nichts ("ex nihilo"), ganz so wie es in der Genesis (Gen 1, 1) beschrieben wird, bäumt sich der moderne Intellekt verzweifelt gegen diese - so erkannte bzw. verkannte - Anmaßung religiöser Wahrheitsverfügung auf. Dies alles widerspruchslos und in demütigem Glaubensgehorsam als Wahrheit zu übernehmen, scheint gleichbedeutend mit intellektuellem Suizid. Doch an der kirchlichen Schöpfungslehre dürfe es keinen wie immer gearteten Zweifel geben, beharrt der Katechismus auf seiner Sichtweise, denn mit der Schöpfung ist der Anfang der Heilsgeschichte gesetzt, die in Christus gipfelt. Ohne Genesis kann es weder eine Heilsgeschichte noch Christus geben. Man erahnt jetzt die Brisanz, welche in immer wieder auflodernden Disputen zur - dann wohl als gottlos zu erkennenden - Evolutionstheorie enthalten ist. Es geht dabei ums Ganze und nicht bloß um einen zufälligen Aspekt, der zum Detail entzweit, ansonsten aber nicht weiter aufregt. Und, daran anschließend, wozu ist die Welt erschaffen worden? Fürwahr nicht grundlos, so die Erklärung, sondern mit Bezug auf ihren Schöpfer und Sinnstifter. Die Welt wurde zur Ehre Gottes erschaffen, der seine Güte, Wahrheit und Schönheit zeigen und mitteilen wollte. Also aus selbstsüchtigem Motiv? Und wozu hat Gott den Menschen erschafften? Der Mensch ist erschaffen, um Gott zu erkennen, ihm zu dienen und ihn zu lieben, et cetera. So und nicht anders ist des Menschen Bestimmung. Handelt er jedoch seiner Bestimmung zuwider, so erwartet ihn die Hölle, die in der ewigen Verdammnis jener besteht, die aus freiem Entschluss in Todsünde sterben. Die schlimmste Qual der Hölle besteht im ewigen Getrenntsein von Gott. Einzig in Gott kann ja der Mensch Leben und Glück finden, weiß der Katechismus zu berichten. Dafür ist der Mensch geschaffen, und das ist seine Sehnsucht.

Die Vernunft der Aufklärung, oft mehr zum aufbrausenden Zorn denn zum bedächtigen Innehalten geneigt, muss sich bei Inhalten solcher Art beleidigt fühlen und sucht vergeblich nach Anknüpfungspunkten an eine Welt, die ihr fremder und ferner nicht mehr sein könnte. Wenn dann gar noch in dialogischer Beantwortung der Frage, wie wir Irdischen den Seelen im Purgatorium (Fegefeuer) helfen können, nebst Fürbitten und eucharistischen Opfern, die Darbringung von Almosen, Ablässen und Bußwerken angeführt wird, fühlt sich der zeitgenössische Leser wie im Reflex zur Protesthaltung angestachelt. Wie war das noch schnell mit dem Ablasshandel, gegen den Martin Luther zu Felde zog? Dazu vertrauensvoll und uneingeschränkt "Amen", also "Ja" sagen, scheint ein Ding der Unmöglichkeit zu sein. Und doch wird sich das Fazit zur Buchbesprechung letztlich versöhnlich geben, denn was sich bei oberflächlicher Betrachtung wie christlicher Fundamentalismus anmutet, ist schlussendlich mehr als es scheint und eine intellektuelle Herausforderung, die es gebietet, nicht gleich in kopfschüttelnde Verständnislosigkeit auszuflüchten, sondern mit tugendlicher Geduldsamkeit nach Wegen des Begreifens von vorerst Unbegreiflichem zu suchen.

Bei einem Katechismus handelt es sich um ein Lehrbuch, einen Leitfaden zur Katechese, was soviel wie religiöse Unterweisung, Religionsunterricht bedeutet. Es ist also eine Unterweisung zum rechten Leben und zum rechten Verständnis. Die Heiligung des Lebens ist das Ziel. Da nun der eigentliche Katechismus der katholischen Kirche zwangsläufig etwas unhandlich und ausufernd geraten war, lag es nahe, bei Zeiten eine Kurz- und Zusammenfassung davon, in Gestalt eines Kompendiums, in Auftrag zu geben. Wegen seiner letztendlichen Kürze, Klarheit und Vollständigkeit soll dieses Kompendium eine Hilfe und Anregung für alle Menschen sein, die inmitten einer zerstreuten Welt mit vielfältigen Botschaften den Weg des Lebens kennen lernen möchten: die Wahrheit, die Gott der Kirche seines Sohnes anvertraut hat. Mit diesen Worten verfügt es Papst Benedictus PP XVI. in seiner MOTU PROPRIO zur Approbation und Veröffentlichung des Kompendiums des Katechismus der Katholischen Kirche. Gegeben am 28. Juni 2005, dem Vorabend des Hochfestes der heiligen Petrus und Paulus, im ersten Jahr seines Pontifikates. Die Einleitung zum Kompendium ist übrigens verfasst von Joseph Kardinal Ratzinger, zu jener Zeit Präsident der mit der Ausfertigung befassten Spezialkommission. Datiert mit 20. März 2005, Palmsonntag. Hierin bekennt sich Ratzinger zur dialogischen Form von Frage und Antwort, die eine alte literarische Gattung der Katechese wieder aufgreift und wendet sich in Zuge der Widmung des Schriftwerkes ausdrücklich an jene, die zwar nicht gläubig sind, aber nach Wahrheit und Gerechtigkeit dürsten. Ist es jetzt missionarischer Eifer oder nicht, das Kompendium zum Katechismus der Katholischen Kirche will allen Menschen ein Wegweiser zur Erlangung ihres Seelenheils sein; also auch Atheisten und Agnostikern, die - in Hinblick auf das erste Gebot
"Ich bin der Herr, dein Gott" - als Gottesleugner zweifellos in schwerer Sünde leben. Denn das größte Verlangen des Menschen besteht darin, Gott zu schauen. So mutmaßt bzw. weiß es das Autorenkollektiv zum Katechismus. Das ist der Aufschrei seines [des Menschen] ganzen Wesens: "Ich will Gott schauen!"

Ausgehend von der Schöpfung, das heißt von der Welt und von der menschlichen Person, kann der Mensch mit der bloßen Vernunft Gott gewiss als Ursprung und Ziel aller Dinge und als höchstes Gut, als Wahrheit und als unendliche Schönheit erkennen. Doch darüber hinaus ist das bloße Licht der Vernunft ungenügend, um von allein ins Innerste des göttlichen Mysteriums einzutreten. Und was wäre Er für ein Gott, dessen unendliche Vollkommenheit abschließend in Worte und Bilder fassbar ist? Das unendliche Mysterium Gottes scheint in seiner Plausibilität durchaus ein Vernunftgebot zu sein. Gott und seine dem Menschen gegebenen Verheißungen sind notwendig unerschöpflich; ergo denklogisch unbegreiflich.
Sein, Moses offenbarter, geheimnisvoller Name lautet denn dann auch: "Ich bin der Ich-bin (JHWH)." Eine vollendete Logik des Glaubens.

Der große Theologe Romano Guardini betonte dahingehend in seinem Buch "Der Herr" in Auferstehung und Verklärung die unumgängliche Notwendigkeit, den christlichen Überschritt aus der Welt in Gott - der Überschritt der Erlösung - glauben zu müssen: gegen die beständigen Einwände der eigenen Unzulänglichkeit; gegen die Einwände der Welt, die sich auch hier in sich selbst einschließt und den Glauben bestreitet. Denn wenn es den Christen gibt, hat sie Unrecht. Die sich in sich selbst behauptende Welt kann nicht dulden, dass es den Christen gebe, weil sie nicht dulden kann, dass es Christus gibt. Die Möglichkeit des Christseins muss geglaubt werden wider die Welt, und darin, dass dieser Glaube wirklich vollzogen und aufrecht erhalten wird, ist die Welt schon "überwunden".

"Wenn Christus nicht auferstanden ist, ist euer Glaube eitel ... dann sind wir die armseligsten aller Menschen!" (Paulus; 1 Kor 15, 17-19)

Dies ist nun freilich nicht die hemdsärmelige Logik alltäglicher Weltanschauung, welche, bar jeglicher Acht auf tückische Mechanismen gesellschaftlicher Konstruktion von Wirklichkeit, alles nimmt wie es unmittelbar erfahrbar ist, dabei kräftig verallgemeinert und nicht Erfahrbares voreilig als unsinnig ausschließt. Der Christ steht für Guardini in grundsätzlicher Opposition wider diese simple Erfahrungswelt; jedoch ohne ihr dabei abtrünnig zu werden. Er ist dem irdischen Dasein ein Ausschließungsgrund; und fordert nicht nur eine partielle Hingabe des rationalen Verstandes, sondern eine totale Hingabe der ganzen Person an einen Begriff von Wahrheit, der bei herkömmlicher Sichtweise augenscheinlich unwahr ist. Aus dieser Perspektive betrachtet gewinnt die christliche Weltanschauung vor dem unerbittlichen Blick des zeitgenössischen Rationalisten an Substanz. Nicht Wirklichkeit als Einzigartigkeit, sondern einzigartige Wirklichkeiten zu der einen großen Wahrheit sind im Spiel. Der Katechismus verdichtet sich zum Wirklichkeitsbegriff mit Wahrheitsanspruch, geboren aus dem Willen zum sinnstiftenden Bekenntnis an einen dreifaltigen Gott, der "Er-ist", ohne Ursprung und ohne Ende. Deswegen der Lebenswirklichkeit zu entsagen, ist nicht geboten, denn, nochmals Guardini in Auferstehung und Verklärung, es sei davor gewarnt, bei der Auslegung von Glaubenswahrheiten von wirklicher Menschenpsychologie auszugehen, oder dogmatisch das Über-Menschliche zu behaupten, es aber nicht sichtbar zu machen. Und ermahnt in diesem Zusammenhang zur Vorsicht gegenüber einem Christentum, das er als "dünne Ethik und Frömmigkeit" erkennt. Um sodann in seinem Glaubensappell fortzufahren: "Wir erkennen, dass die Christusgestalt nicht gekommen ist, um uns neue Erkenntnisse und Erfahrungen innerhalb der Welt zu bringen, sondern uns vom Bann der Welt zu befreien. Wir hören ihre Forderung und gehorchen ihr. Wir nehmen die Maßstäbe, von denen aus über Christus gedacht werden muss, von Ihm selbst entgegen. Wir sind bereit, zu lernen, dass Er nicht mit edleren oder innerlicheren Werten und Kräften die Welt weiterführt, sondern dass mit Ihm das neue Dasein beginnt. Wir vollziehen jene Achsendrehung, die eben 'Glauben' heißt und nach welcher nicht von der Welt her über Christus nachgedacht wird, sondern von Ihm her über alles sonst. Dann sagen wir nicht mehr: In der Welt gibt es kein Lebendigwerden eines Gestorbenen, also ist die Auferstehungsbotschaft ein Mythos - sondern: Christus ist auferstanden, also ist die Auferstehung möglich und seine Auferstehung die Grundlage der wahren Welt."

Ich erachte Guardinis Erläuterungen für unumgänglich, um zum rechten Verständnis des Katechismus zu gelangen, da ansonsten die Aufnahme des notwendig apodiktisch gehaltenen Textes, ob der darin manifest werdenden Glaubenszumutung, zu einer keineswegs wünschenswerten Reaktion voreiliger Abwendung oder dünnen Frömmigkeit führen kann.

Wer nun an Regel- und Glaubensinhalten der katholischen Kirche völlig desinteressiert ist, sollte deswegen nicht meinen, deren Katechismus sei nicht eine Lektüre von allgemeinem Interesse, sondern lediglich spezifische Fachliteratur für einen zu religiöser Inbrunst geneigten eng umrissenen Personenkreis. Dem ist keineswegs so. Der Katholizismus war geschichtlich von überaus prägender Wirkkraft für die abendländische Kultur, und so findet sich im Katechismus eine ganze Menge von Begrifflichkeiten, deren Erklärung erst ein Verständnis der eigenen Sinn- und Begriffswelt ermöglicht. Ödön von Horváth nannte eines seiner bekanntesten Theaterstücke "Glaube, Liebe, Hoffnung", womit er sich eine Wortfolge entlehnte, die im Wesentlichen den Bezug des gläubigen Christen zu Gott beschreibt und im Katechismus als die drei göttlichen Tugenden zur erläuternden Darstellung kommen. Der Glaube hält widerspruchsfrei an Gott fest, verwirft Glaubenszweifel, Häresie und Schisma, die Liebe liebt Gott über alles (und mit ihm und durch ihn seine Schöpfung), meidet Lauheit, Überdruss oder geistige Trägheit, sowie den Hass gegen Gott, der dem Stolz entspringt, die Hoffnung erwartet voll Vertrauen die beseligende Schau Gottes und seine Hilfe, und sie meidet Verzweiflung und Vermessenheit.

Die sakramentale Heilsordnung, Weihen, Zölibat, die Adelung der Sexualität in der Tugend der Keuschheit, Buße und Versöhnung, Gnade und Rechtfertigung, die Sittenordnung und das sittliche Gesetz, der Zweck prachtvoller Sakralbauten, das Leben im Heiligen Geist, der Begriff des gerechten Kriegs und die Frage allfälliger Bestrafung von Verbrechern mit dem Tode, das mit sträflicher Knappheit ausgeführte Verhalten des Menschen gegenüber den Tieren, welche als Geschöpfe Gottes allenfalls wohlwollend und keinesfalls quälerisch zu behandeln sind, der Dekalog der zehn Gebote und die andächtige Haltung im Gebet, sowie Sinn- und Zweck für den Gläubigen, des Weiteren die Kirche im Plane Gottes, als Volk Gottes, Leib Christi, Tempel des Heiligen Geistes, all dies und noch viel mehr ist im Katechismus ausgeführt. Alles davon erhält seine praktische Relevanz über die soziale Tatsache, dass diese Inhalte tiefer in unseren kollektiven Charakter eingemeißelt sind, als wir es wahrhaben möchten. So ist beispielsweise mit Fug und Recht davon auszugehen, dass die prinzipielle
Unterscheidung zwischen lässlicher Sünde und Todsünde nach christlicher Auffassung auf unser allgemeines Schuldempfinden durchschlägt. In wechselnder Gestalt der letzteren der beiden Sündenarten, die Todsünde, erkennen wir in der weltlichen Sitten- und Rechtsordnung regelmäßig jenes Verbrechen, welches nicht nur eine schwer wiegende Materie voraussetzt, sondern ebenso die volle Erkenntnis oder die volle Zustimmung; den Vorsatz zur Tatbegehung. Die Bedeutung des Kirchenrechts für die Herausbildung der modernen Jurisprudenz soll an dieser Stelle nur bemerkt sein. Und die Sünde wird erst in ihrer Wiederholung so richtig sündig; in ihrer nachhaltigen Begehung wird sie zum Laster. Die Laster, das Gegenteil der Tugenden, sind verkehrte Gewohnheiten, die das Gewissen verdunkeln und zum Bösen geneigt machen. Die Laster können - so erläutert es das Kompendium - mit den sieben so genannten Hauptsünden in Verbindung gebracht werden. Hauptsünden sind: Stolz, Habsucht, Neid, Zorn, Unkeuschheit, Unmäßigkeit, Trägheit oder Überdruss. Niemandem mag es schädlich bekommen, sein Gewissen an den Kriterien lasterhafter Hauptsünden zu messen. Das Beichtsakrament der Buße und der Versöhnung erweist sich in diesem Lichte betrachtet als praktischer Gewinn für das Leben.

Der harten Bandagen ermangelt es dem kirchenväterlichen Text beileibe nicht. Die Erläuterungen zu den Hauptsünden gegen die Keuschheit provozieren das moderne Gewissen, denn sie nennen in einem Zug: Ehebruch, Selbstbefriedigung, Unzucht, Pornografie, Prostitution, Vergewaltigung und homosexuelle Handlungen. Diese Sünden sind Ausdruck des Lasters der Unkeuschheit. Und wenn Selbstbefriedigung, Ehebruch oder homosexuelle Handlungen in einer Wortfolge mit Pornografie und Vergewaltigung gebracht werden, so ist das aus aufgeklärter Sicht unakzeptabel, weil unsachlich und diskriminierend. Ebenso die Wertung der Empfängnisverhütung als unsittlich. Es ist nicht zu verschweigen: So einiges missfällt. Andererseits gefällt zum Beispiel die weite und konsequente Auslegung des siebten Gebots: "Du sollst nicht stehlen", womit nämlich nicht nur die widerrechtliche Aneignung fremden Gutes gegen den vernünftigen Willen des rechtmäßigen Besitzers gemeint ist, sondern ebenso die Zahlung ungerechter Löhne, die Spekulation mit dem Wert von Gütern, um daraus zum Schaden Anderer Gewinn zu ziehen. Das siebte Gebot verbietet außerdem, so die Autoren, Steuerhinterziehung und Betrug im Handel sowie mutwillige Beschädigung privaten oder öffentlichen Eigentums. All dieses ist sündig gehandelt. Von diesem siebten Gebot leitet sich übrigens auch die Soziallehre der Kirche ab, welche totalitären Formen des "Sozialismus" ebenso abhold ist, wie dem absoluten Vorrang der Marktgesetze über die menschliche Arbeit in der Praxis des Kapitalismus. Das Privateigentum solle die Freiheit und die Würde der Einzelperson gewährleisten, davon abgesehen aber ein Vermögen zum karitativen Zweck sein.

So viel zur sozialen Frage. Doch das Leben ist nicht nur Mühsal und soziales Miteinander von Ungleichen unter Lebensverhältnissen der Ungleichheit. Zuweilen steht der Genuss von Kunstschönem an. Wobei es sich traditionell um ein bedeutsames kirchliches Thema handelt, zumal die Kirche nicht nur immer schon ein gewichtiger Mäzen der Künstler war und unzählige Kunstschätze ihr Eigen nennt, sondern über Jahrhunderte lang der Kunst auch - nicht selten in autokratischer Manier - ihren Stempel aufdrückte, was der Sache - im Widerspruch zum anarchischen Freiheitsbegriff vieler Kunsttheoretiker - bis in unsere Tage hinein eine gewisse Brisanz verleiht. Wie auch immer betrachtet, Kunst ist jedenfalls ein kirchliches Thema, und so zeigt man sich auch im Katechismus den schönen Künsten auf eigentümliche Weise zugeneigt. Ausgehend vom achten Gebot: "Du sollst nicht falsch gegen deinen Nächsten aussagen" leitet sich eine im Ansatz ausformulierte Ästhetik sakraler Kunst ab, denn im achten Gebot geht es um Wahrhaftigkeit und Wahrheit. Und da Wahrheit von sich aus schön ist, bringt sie den Glanz geistiger Schönheit mit sich, deren eine Ausdrucksform das Kunstwerk ist. In der sakralen Kunst gelangt die erhabene Schönheit der Wahrheit und der Liebe Gottes zur wohlgefälligen Erahnung, Verherrlichung und Anbetung. Ganz anders freilich der Bezug, wenn das jeweilige Kunstschaffen als gotteslästerlich gedeutet werden muss. Wo Glaubensempfindlichkeit zugegen ist, ist Unduldsamkeit oft nicht allzu weit. Eine exklusive Kunsttheorie in Hinblick auf erwünschte und unerwünschte Kunst wurde für Zwecke des Kompendiums allerdings nicht extra ausgearbeitet. Man kann sich jedoch denken, dass beispielsweise Kunst zur Verherrlichung von Praktiken unkeuschen Lebens bei Kirchenleuten nur wenig Wohlgefallen und schon gar keine inhaltliche Akzeptanz finden wird.

"Ich glaube, um zu verstehen, und ich verstehe, um zu glauben" (hl. Augustinus).

Manches mag nun also ergrimmen, Anderes erfreuen, aufreizen oder anregen, der Katechismus - so viel ist nach der Lektüre klar - ist mitunter unbequem, entzweit und vereint die Gemüter, doch bringt er insbesondere letztgültige Klärung zu Punkten, welcher der Klärung bedürfen. Welche Merkmale hat der Glaube, und was bedeutet es für den Menschen, als Katholik an Gott zu glauben? Auf diese Fragen hinreichend erschöpfende Antworten zu finden, Orientierung zu geben, Positionierung zu ermöglichen, ist Sinn und Zweck eines Katechismus. Und wie immer man jetzt zu Glaubensfragen im Einzelnen und Allgemeinen persönlich stehen mag, der Bedeutungsgehalt katholischer Elementarbegriffe und Grundregeln übersteigt nicht nur den bloßen Glaubensbereich, sondern ist schlechthin Kultur, deswegen nicht einfach als Frage von Religion und Frömmigkeit abzutun. Der Prozess der Zivilisation ist letztlich ohne Herausbildung und Entfaltung von Religion undenkbar und der Katholizismus in diesem Kontext von unüberbietbarer Bedeutung. Das Kompendium zum Katechismus der Katholischen Kirche will also nicht nur den Gläubigen zur selig machenden Anschauung Gottes geleiten, sondern ist darüber hinaus Grundriss und Skizze zum begrifflichen Verständnis der abendländischen Zivilisation, die im Kern auf ein Bekenntnis zu einem dreifaltigen Gott zurückzuführen ist. Am Katechismus der katholischen Kirche teilhaben gebietet sich demgemäß weniger als Aufgabe und Herausforderung zur ideellen als wie praktischen Verfeinerung persönlicher Religiosität, denn als Angelegenheit der Verbundenheit mit den kulturellen Wurzeln eigener Herkunft. Wer bin ich? Woher komme ich? Wo gehe ich hin? Was soll ich tun? Auf diese existenziellen Fragen in vollkommener Selbstbestimmung - wie Sartre es noch vermeinte - Antworten finden zu können, ist nicht nur als versuchte Vergötzung des Menschen anmaßend und - im Lichte des ersten Gebots "Du sollst keine anderen Götter neben mir haben" (Ex 20, 2) - sündig, sondern begründet sich als praktizierter Atheismus, nach Meinung der Buchautoren, auf einer falschen Auffassung von der menschlichen Autonomie.

"Außerhalb der Kirche kein Heil"? Oder zumindest kein abgerundeter Selbstbegriff, denn in einem gewissen, eher weit gedachten Sinn sind die meisten von uns infolge ihrer Sozialisierungsgeschichte Christen. Der Katechismus der Katholischen Kirche möge sodann für jeden und jede ein Buch der Selbsterkenntnis sein. Oder, in den Worten von Benedictus PP XVI, eine Art Vademecum, das den Menschen - ob sie gläubig sind oder nicht - ermöglicht, in einer Gesamtschau das ganze Panorama des katholischen Glaubens zu überblicken.

(Harald Schulz; 09/2005)


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