Eva Demmerle: "Kaiser Karl I."

"Selig, die Frieden stiften ..."


Selig, die Frieden stiften, denn sie werden Söhne Gottes genannt werden, so lautet die siebente Seligpreisung im fünften Kapitel des Matthäusevangeliums. Sie gilt im besonderem Maße für Karl I., den letzten Kaiser und König der Habsburger Dynastie, der in seiner kurzen Regentschaft von 1916 bis 1918 nichts unversucht ließ, um das Morden auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkrieges zu beenden.

Zur Vita
Die einführenden Zeilen dieser Buchbesprechung entstammen nun nicht der Feder des Rezensenten, sondern wurden als wortwörtliches Zitat von der ersten Seite des vorliegenden Buches übernommen. Eva Demmerle gibt somit gleich zu Beginn ihrer Biografie der Person des erst kürzlich vom Papst selig gesprochenen letzten österreichischen Kaisers ein eindeutiges Bekenntnis zu dessen sittlicher Lauterkeit ab. Und bekennt sich solcherart zu einem Menschen, der eher Leid und Schmach hinnahm, als dass er einen einmal geleisteten Schwur brechen würde. Nämlich einen Schwur auf jene Sendung, die ihm sein Schicksal aufgetragen hatte. Das Schicksal eines Monarchen, der den ihm auferlegten Herrschaftsrang als Gebot und Verpflichtung zur Fürsorglichkeit gegenüber den ihm anvertrauten Schutzbefohlenen begriff. Als eine Lebensaufgabe und einen von Gott verfügten Dienst zum Wohle seiner Völkerschaften, aber keinesfalls zu deren Knechtung gedacht. Karl, so stellt Demmerle in diesem Zusammenhang klar, konnte daher auch niemals eine Abdankung aus Eigenem bewirken, da die Krone für ihn eine Verantwortung darstellte, die ihm von Gott übertragen worden sei. Im Moment seines Abtretens von der Bühne weltlicher Macht hatte er deswegen trotz heftigen Drängens seitens der neuen (republikanisch gesinnten) Machthaber nur auf jeden Anteil an den Staatsgeschäften verzichtet, nicht jedoch auf den Thron und die damit verbundene Herrscherwürde. Was Gott gegeben, kann nur Gott nehmen.

Der hohe Klerus von Rom setzte am 3. Oktober 2004 ein unmissverständliches Zeichen für die Wahrnehmung christlichen Anstands in allen Belangen weltlicher Herrschaft, indem er die in der österreichischen Bevölkerung und unter Historikern umstrittene Herrscherfigur Kaiser Karl I. von Österreich selig sprach und diesen somit zur Anbetung frei gab. Was wollte Rom bzw. konkret die "Heilige Kongregation für die Selig- und Heiligsprechungsprozesse" mit diesem unter gegenwärtigen Zeitgenossen vielfach Unverständnis provozierenden Seligsprechungsakt bewirken? Was ist die Ursache dafür? Auf welch fragwürdigen Umständen basiert die neuerdings betriebene Verklärung des einstigen Monarchen und Kriegsherren zur christlichen Kultfigur und gar zum Friedenskaiser, den ein spitzzüngiger Karl Kraus mit Bezug auf den von Karl angeordneten massiven Giftgaseinsatz an der Isonzofront seinerzeit noch sarkastisch als "Kaiser Karl den Chlorreichen" pries?
Jede Seligsprechung setzt nach römischem Regolamento ein wundertätiges Ereignis voraus, und wir wissen auch um das Wunder an einer krampfaderngeplagten Nonne, welcher ihre Gebete zu Kaiser Karl heilsam bekamen. So wird es zumindest berichtet. Wir wissen dies und argwöhnen ob der lächerlichen Vorstellung der wundersam gesundeten Frauenbeine. Skepsis scheint angebracht, doch in Rom glaubte man nach strenger Prüfung an den Wahrheitsgehalt dieser Erzählung und rechnete es dem aus himmlischen Gefilden wohltätig wirkenden Karl zum Verdienst an. Skepsis bleibt angebracht und man fragt sich: Wollte vielleicht gar nur der polnische Papst Karol Wojtyla den ehemaligen Regenten oder besser gesagt der Familie Habsburg sein besonderes Wohlwollen bekunden? Oder ein ideologisch motiviertes Signal pro die autokratische Monarchie von Gottes Gnaden und contra die republikanische Demokratie von Bürgers Gnaden setzen? Viele Leute machten sich im Zusammenhang mit dieser Seligsprechung ihre Gedanken und stellten sich irritiert ob der sonderbaren Ikonisierung eines weltlichen Herrschers und Kriegsherren zum quasi Heiligen in spe zweifelnde Fragen. Fragen, Fragen und wieder Fragen. Die Autorin ging nun diesen Fragen nach, sichtete historisches Material, soweit es ihr zugänglich gemacht wurde, und vertiefte sich mit emsiger Recherche in die Lebensgeschichte des Karl von Österreich.

Somit zu einer Kernthese des Buches, vermittels derer manifest wird, wie erstaunlich unzeitgemäß im Vatikan gedacht und gewertet wird. Die Hauptursache für die Seligsprechung des in seinen Ansichten eher modernen Monarchen war weniger in dessen religiösem und sozialem Verhalten begründet, sondern viel mehr in seiner Auffassung über das Herrschen "Aus Gottes Gnaden". Gott als Ur- und Beweggrund jeder Staatskunst, verkörpert in Gestalt eines gottesfürchtigen Monarchen. Erst wenn man das Leben dieses Menschen, seine Erziehung und sein Verhalten von Kindheit auf sieht, kann man nach Meinung der Autorin alles verstehen, was sich in weiterer Folge anbahnte und in fernen Tagen ergab - bis hin zur Seligsprechung in unseren Tagen. Erst nach einer eingehenden biografischen Betrachtung wird man sich dessen gewahr, was diesen Mann antrieb und ihm Orientierung in seinem Handeln verschaffte, man erahnt seinen vornehmen Charakter, um schließlich nach eingehendem Studium zu dem Schluss zu gelangen, jetzt kaum noch zweifelnd, dass dieser hochwohlgeborene Kaiserspross sein Leben stets und gewissenhaft nach den Regeln der christlichen Religion ausgerichtet hatte und daher auch völlig zu Recht selig gesprochen wurde. Diese Erkenntnis gebietet sich bei ernsthafter Befassung mit der Vita des Karl von Österreich und sollte als solche die uneingeschränkte Anerkennung durch jeden redlichen Kopf finden, egal wie auch immer er zur Familie Habsburg und zur römisch-katholischen Kirche und ihrer Praxis einer ritualisierten Heiligenverehrung stehen mag. Die umstrittene Seligsprechung des Habsburgers erfolgte demnach für Demmerle, eben bei Gewahrung christlicher Glaubens- und Lebensregeln, unzweifelhaft zu Recht, ist folglich also als rechtens zu akzeptieren und keineswegs als mutwillige Beugung einer Regel im Sinne geistiger Korrumpierung, ferner als ideologische Intrige oder auch nur als menschlicher Fehler zu verkennen, obgleich sie von Menschen, auch der Papst ist nur ein Mensch (bloß in seiner Amtswürde ist der Pontifex Maximus unfehlbar), ausgesprochen wurde.

Zum Nachweis der Korrektheit des römischen Entschlusses führt die Autorin des Habsburgers Lebensgeschichte bis ins Detail aus, von der Kindheit bis zu seinem relativ frühen und doch eher plötzlichen Tod. Ein Tod übrigens, der Demmerle als ein weiteres Indiz für die Begnadung des Karl von Österreich durch Gott gilt, hatte der abgedankte und ins Exil geflüchtete Kaiser doch schon Monate vor seinem Ableben im Dezember 1921 voraus geahnt, dass Gott ihn nun baldigst von seinem irdischen Amte abberufen würde. So meinte er zu seiner Frau Zita in einem bedrückenden Gespräch, dass "Der liebe Gott machen wird, was er will" und vertraute ihr weiter an, dass er seit längerer Zeit das Gefühl habe "Gott wünsche von ihm das Opfer seines Lebens zur Rettung seiner Völker". Obwohl es für ein Ableben zu diesem Zeitpunkt keinerlei Anzeichen gab, war die Kaiserin dennoch erschrocken und konnte nur hoffen und beten, dass dem letztlich nicht so sein würde.

Die innige mentale Verbundenheit Karl von Habsburgs mit seinem christlichen Glauben und seiner Kirche von Rom illustriert die Autorin anhand der Wiedergabe von Tagebuchaufzeichnungen, auch jener der Kaisergattin Zita, sowie mittels Auszügen aus öffentlichen Dokumenten. Die Zuneigung dürfte demnach beiderseitig gleichermaßen ausgeprägt und auf Gegenseitigkeit beruhend gewesen sein, denn obgleich Karl vorerst an kaum aussichtsreicher Stelle in der Thronfolge rangierte, wurde seine Person immer wieder von Papst Benedikt XV., aber auch durch andere hohe Kirchenfürsten, als möglicher und überdies erwünschter Kaiser von Österreich ins Gespräch gebracht. Karl war sozusagen der Kandidat der römischen Glaubensbürokratie für den Kaiserthron zu Wien. Seitens seines Onkels Kaiser Franz Joseph I. wurde Karl hingegen ursprünglich eher nur als standesgetreuer Dynastieerhalter gesehen, quasi auf eine biologische Funktion reduziert. Dies deswegen, da die Kinder des eigentlichen (und zur kaum verhohlenen Genugtuung mancher Familienmitglieder 1914 in Sarajevo ermordeten) Thronfolgers Franz Ferdinand, infolge der nicht standesgemäßen weil nur minder adeligen Mutter, Sophie von Hohenburg, die Gemahlin des Franz Ferdinand, als unwillkommene Bastarde einer ungehörigen Standesschande von der erblichen Thronfolge zu ihrem kaiserlichen Vater ausgeschlossen waren. Karls Bestimmung war es somit in erster Linie, kraft seiner Lenden den Anspruch der Habsburgerdynastie als biologische Elite höchsten und unübertrefflichen Rangs zu wahren. Die große Zahl seiner leiblichen Abkömmlinge legt ein beredtes Zeugnis davon ab, dass Karl auch diese Herausforderung mannhaft angenommen hat.

Für Demmerle ist Karl nun denn wirklich eine wahrlich tragische Figur. Ursprünglich schlecht, weil zu weit hinten für die Thronfolge gereiht, wurde der gottesfürchtige Habsburger dann doch noch, allerdings zu einem ebenso unpassenden wie unerfreulichen Zeitpunkt zum Kaiser berufen. Nämlich in einem zeitgeschichtlichen Augenblick, als das geerbte Reich bereits dem Zusammenbruch nahe war. Die Völkerschaften des Reichs drifteten auseinander. In dieser verzweifelten Lage bemühte sich der junge Kaiser um eine Verständigung mit den feindlichen Mächten des westlichen Europas. Demmerle würdigt den Kriegsherrn, welcher Karl wider Willen war, dann auch als Friedensfürsten im Geiste, der vom Anfang seiner Regentschaft an bestrebt ist; die Gräuel des Krieges, welche er durch oftmalige Besuche an der Front selbst miterleben muss, ehestens abzustellen. Seine Versuche, den Krieg rasch zu beenden, verblieben jedoch ergebnislos, obwohl er auch den kleinsten Hoffnungsschimmer - ohne Rücksicht auf die Gefährdung seiner Reputation als getreuer Verbündeter des deutschen Waffenbruders - nicht außer Acht ließ. Als einen der letzten Auswege bediente sich Karl bekanntlich sogar der Brüder seiner Frau, Sixtus und Xaver, welche im französischen Heer - also im Heer des Kriegsgegners - Dienst taten. Der Versuch Frieden zu stiften scheiterte an der Indiskretion der alliierten Gegenmächte, treuloser Vertrauensmänner und an dem Starrsinn unerbittlicher Kriegsbefürworter, welche in ihrer Nibelungentreue zum deutschen Waffenbruder lieber mit diesem untergehen wollten als nach einem Frieden zu greifen, der lediglich auf einen Ausgleich der Interessen abzielte, nicht jedoch den Sieg bedeuten konnte. Was dann unter dem skandalträchtigen Titel der "Sixtusaffäre" zur ruhmlosen Posse geriet, war nicht mehr und nicht weniger als die ebenso peinliche wie peinigende Demütigung von Karls Friedenswillen. Ein Desaster missratener Geheimdiplomatie, welches den Kaiser in seiner äußersten Scham bloßstellte, allerdings im historischen Rückblick erahnen lässt, wie sehr der junge Habsburger das unaufhörliche und längst schon industrialisierte Töten an den Fronten des Ersten Weltkrieges verabscheute - ja, wie sehr dieses mörderische Ringen seiner christlichen Auffassung von Ethik widersprach, wofür er letztlich mit gutem Recht selig zu sprechen war.

Die von Karl verfassten und von Demmerle dem interessierten Leser dargebrachten Tagebuchaufzeichnungen zeigen nicht nur sein Bemühen und die Lauterkeit seiner Bestrebungen, sondern beweisen gleichzeitig durch einen Vergleich dieser Aufzeichnungen mit den Aussagen seiner politischen Gegner, wie man in gesittungsloser Manier (und zum Abscheu jeden Restempfindens von Anstand) die Menschenmassen aufhetzen und ehrlich handelnde Personen in Misskredit bringen kann. Karl erging es so, davon ist Demmerle zutiefst überzeugt, weshalb sein Ruf bis in unsere Tage hinein nicht der beste und schon gar nicht der ihm angemessene ist, man ihn vielmehr weitestgehend (als Strafe für sein doppeltes Versagen als Kriegsherr und als Friedensstifter) aus dem kollektiven Andenken seiner ehemaligen Völker getilgt hat, anstatt ihm ob seiner sittlichen Größe jene Hochachtung angedeihen zu lassen, derer er wie nur wenige andere Herrscherfiguren würdig ist.
Karl war in seiner christlich geprägten Wesensart bei aller Lebenstragik optimistisch gestimmt, ein Mystiker der Heilserwartung und deswegen auch voll der Hoffnung, dass das Gute irgendwann zum Durchbruch kommen müsste, wollte man nur mit Eifer und Geduld immerzu und unbeirrt danach streben. Die Kraft hierin - trotz vieler Rückschläge - nicht schwach zu werden, gab ihm seine tiefe Verwurzelung in der christlichen Religiosität, sein Vertrauen in Gott und Kirche, ferner die Verbundenheit mit seiner Familie Habsburg, von deren göttlichem Sendungsauftrag er überzeugt war, woraus für ihn die Gewissheit erwuchs in seiner Funktion als Kaiser von Österreich-Ungarn einzig zum Wohlgedeihen seiner Völker zu leben und zu wirken. Und in diesem dienenden Selbstverständnis verfuhr Karl selbst dann noch, als das Habsburgerreich bereits nur noch Geschichte und er ein vereinsamter Regent im fernen Exil war - ohne Reich, Volk und Würde.

Dass Karl in Armut starb, im Gegensatz zu vielen Potentanten aus früherer aber auch unserer Zeit, und seine beherrschende Stellung nicht zur Plünderung öffentlicher Geldquellen missbrauchte, um beizeiten für ein späteres gutes Leben vorzusorgen, zeigt, dass Karl nie an seinen eigenen Vorteil dachte. Nach seinem Tod verblieb seine Gattin Zita mehr oder weniger mittellos und hatte als alleinerhaltende Witwe eines abgehalfterten Imperators acht kleine Kinder aufzuziehen. Karl lebte offenbar bis zu seinem Tod in einer Welt unbeugsamen Ehrgefühls, und so blieb es dem von hohem Throne in die Abgründe weltlicher Nichtigkeit abgestürzten Cäsaren von Gottes Gnaden bis zuletzt unfassbar, dass jene Personen, welchen er einst zu gewichtigen Ämtern verholfen hatte, wider derer frühere Treueschwüre, nun ihm gegenüber ein gar treuloses Verhalten an den Tag legten. Erkannt hatte er dies erst in der Not, als er Mühe hatte, seinen zur Kümmerlichkeit geschrumpften Haushalt zu alimentieren oder auch nur eine behelfsmäßige Bleibe zu requirieren. So starb Karl I. von Österreich in der Verbannung auf Madeira am 1. April 1922 im Zustand der Verelendung. Ein mitleidiger Einheimischer hatte dem vertriebenen Kaiser zuletzt die "Villa Quinta do Monte" oberhalb von Funchal zur Verfügung gestellt, ein Haus, welches als ein Sommerdomizil ohne richtige Beheizungsvorrichtung konzipiert war, gelegen auf einer zumeist nebeligen feuchten Anhöhe, was Karls sensiblen Gesundheit schädlich sein sollte. Seine letzten irdischen Äußerungen bestanden aus Stossgebeten, doch das letzte Wort "Jesus" verblieb nur mehr auf seinen Lippen. Mit Karl starb nicht nur der letzte Österreichische Kaiser, der, obwohl er nur kurz an der Regierung gewesen war, nach Meinung Demmerles dennoch der "Große" genannt werden sollte, sondern auch der letzte Regent der altehrwürdigen Dynastie "Der Habsburger".

Kritische Schlussbetrachtung
Als Kaiser Karl am 3. Oktober 2004 vom Papst selig gesprochen wurde, war dies nicht so wenigen Österreichern ein willkommener Anlass, Spott und Hohn über dem Haupte des verblichenen Monarchen auszuschütten und sich solcherart zum wiederholten Male in der Besudelung der eigenen Vorfahren und ihrer Taten mit heißem Eifer zu üben. Und dies tat man sodann mit einem Erfolg, dass selbst die christlichkonservativen Regierungsrepräsentanten des offiziellen Österreichs sich schlussendlich reserviert gegenüber dem vatikanischen Ritual gaben, dabei ging es bei dieser Würdigung einer heiligmäßigen Lebensführung doch keineswegs um eine strategische Verklärung der Familie Habsburg, was jeden republikanischen Argwohn rechtfertigen dürfte, sondern lediglich das eine herausragende Mitglied der alten Dynastie, welches einzig im pflichtgemäßen Dienste für Gott und seine Geschöpfe seinen Lebensgrund sah und dessen einziges Vergehen es letztlich war, zur Unzeit Kaiser zu werden, sollte zum christlichen Lob gepriesen sein.
Ja richtig, Karl I. war Kriegsherr in einem grausamen Krieg, doch zielte all sein Streben darauf ab, diese unselige Rolle so rasch wie möglich ablegen zu dürfen. Die Umstände waren ihm ein Ungemach, und nicht er war das Ungemach. Seine Kritiker sehen das anders. Mit besonderer Häme verweisen diese auf die 12. Isonzoschlacht im Jahre 1917, welche - zynisch sprach man von einem "Karfreitag-Wunder" - unter grober Missachtung der Haager Landkriegsordnung in ein grauenhaftes Massaker unter italienischen Soldaten ausartete, das in der Kriegsgeschichte nicht so leicht Seinesgleichen findet. 40.000 Italiener hatten in den Morgenstunden des 24. Oktober 1917 unter dem gnadenlosen Gefechtsfeuer der verbündeten Österreicher und Deutschen den Tod gefunden. Ein Massensterben, um nicht zu sagen ein Massenmorden, war vor sich gegangen, wie es sonst während des Ersten Weltkriegs anderswo in diesem Ausmaß kaum stattgefunden hatte, auch nicht an der berüchtigten Westfront vor Verdun oder in den Schlachten an der Maas. Und der Oberbefehlshaber der mit alles Leben vernichtendem Furor angreifenden Heeresverbände der Österreicher und Deutschen war Kaiser Karl gewesen. Höchstpersönlich hat er das Gemetzel angeordnet. Doch was hätte er tun können? Eine militärisch dringend notwendige Offensive seiner Generalität verweigern? War er denn frei in seinen Entscheidungen, oder nicht doch nur eine unfreie Figur in einem grausamen Geschehen, das dem Diktat der Militärs zu folgen hatte? War Österreich in diesem Moment denn noch ein Reich des Friedens, oder nicht doch eher schon eine Militärdiktatur, mit einem ohnmächtigen Kaiser obenauf, dessen christlich-ethische Grundsätze den Generälen gerade noch ein mitleidiges Grinsen abnötigte. Und mehr dann schon nicht. Ferner wirft man Karl zuweilen vor, er sei Zeit seines Lebens glühender Militarist gewesen und hätte immer und überall mit Leidenschaft für das "Sterben für Kaiser und Vaterland" geworben. Man verachtet und verurteilt Karl ob dieser seiner Eigenheiten, ob seines militaristischen Gehabens und seiner ganz selbstverständlichen Treue zur Habsburgerdynastie wegen, und vergisst dabei nur zu gerne, in welchem Geiste Karl sozialisiert wurde, dass er von Kindesbeinen an zum Militär erzogen wurde und natürlich seiner Stellung als Monarch und Landesvater notwendig verpflichtet war. Ein schlechter Kaiser wäre er gewesen, hätte er anders getan und vielleicht gar in selbstzerstörerischer Wut gegen Kaisertum und Vaterland polemisiert. Und was hätte es gefrommt, wäre er sich selbst schädlich geworden?

Einzig unglückliche Zeitumstände lassen diesen vorbildlichen Christen, welcher Karl nun einmal war, im Rückblick als Kriegstreiber und Zyniker erscheinen. Einem Menschen seine Lebensumstände zum Vorwurf zu machen, scheint jedoch ungerecht zu sein, denn tatsächlich sehnte sich Karl aus tiefster Empfindung nach Frieden. Die Wiederherstellung eines gerechten Friedens zwischen den sinnlos verfeindeten Völkern Europas war ihm ein brennender Herzenswunsch. Eva Demmerle führt mit ihrem Buch einen überzeugenden Nachweis hierfür und setzt hiermit zugleich einen energischen Akzent gegen den lieben Brauch, den letzten Habsburgerkaiser aus Gründen wüster Lust am niederträchtigen Ressentiment zu verunglimpfen. Gegen eine ernsthafte Kritik wäre nichts einzuwenden, doch müsste diese dann wohl zu dem - nur allzu vielen Lästerern - unliebsamen Ergebnis führen, dass der unglückliche Kriegskaiser Karl in Wahrheit und Gesinnung ein Gottesmann und Friedensfürst war. Und fürwahr ist diesem großen Herrscher, unserem "Karl dem Großen", als den ihn Eva Demmerle sieht, jenes als Untertitel zum Buchtitel firmierende Bibelwort gemäß, welches da lautet: "Selig, die Frieden stiften ..."

(Dr. Hans Schulz; 12/2004)


Eva Demmerle: "Kaiser Karl I."
Amalthea, 2004. 320 Seiten.
ISBN 3-8500-2521-7.
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Eva Demmerle, geboren 1967, studierte Wirtschaft, Geschichte, Politik und Katholische Theologie in Bonn. Nach dem Studium arbeitete sie in verschiedenen Funktionen im Europäischen Parlament in Brüssel; u.a. war sie dort auch Assistentin von Otto von Habsburg, dem sie als Pressesprecherin und Bürochefin zur Seite steht.

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Ludwig Winder wurde 1889 als Sohn eines Lehrers im südmährischen Schaffa geboren und starb 1946 in Baldock, England. Feuilletonredakteur u.A. bei der "Bohemia" in Prag. 1939 Flucht über Polen nach Großbritannien. Autor mehrerer Romane, darunter "Die nachgeholten Freuden" und "Der Kammerdiener". (Zsolnay)
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