Wenedikt Jerofejew: "Reise nach Petuschki"

Gesprochen von Harry Rowohlt, Robert Gernhardt, Josef Bilous
(Hörbuchrezension)


Harry Rowohlt, Robert Gernhardt und Josef Bilous laden zu einer humorvoll-grotesken Reise ein

Bewaffnet mit reichlich hochprozentigem Proviant, steigt Wenitschka, gewissermaßen das Alter Ego des Autors, morgens am Kursker Bahnhof in den Zug nach Petuschki. In Petuschki erwarten ihn wie jeden Freitag seine Geliebte und der gemeinsame kleine Sohn.

Die bunt gemischte Schar von Mitreisenden hat eine ähnliche Affinität zur Ernährung auf flüssiger Basis wie Wenitschka, weshalb die Menschen in seinem Abteil bald recht enthemmt zu kommunizieren beginnen, und je weiter sich der Zug von Moskau entfernt, desto wunderlicher werden die Themen und surrealer die Erlebnisse, Raum und Zeit lösen sich zunehmend auf. Da verwundert es eigentlich nicht, dass Petuschki sich der Annäherung durch den Reisenden konsequent entzieht.

Jerofejews Buch, das irgendwo zwischen Satire und Groteske anzusiedeln ist, gehört sicher zu den besten Werken der modernen russischen Literatur. Der Autor überlässt es dem Leser, ob dieser Wenitschkas Odyssee lediglich als komisch oder als handfeste Kultur- und Gesellschaftskritik ansehen möchte. Ein Hörbuch auf der Basis dieses Romans wird zwangsläufig ein Stück Interpretation enthalten, und man darf natürlich neugierig sein, wie die drei hochkarätigen Persönlichkeiten aus dem Literaturbetrieb, die das Buch vorlesen, mit dem Stoff umgehen.

Harry Rowohlt, Robert Gernhardt und Josef Bilous wechseln sich kapitelweise mit dem Vortrag ab. Da die Kapitel relativ kurz sind - sie umfassen während der Reise meistens den Abschnitt zwischen zwei der schier zahllosen Bahnstationen -, kommt es folglich auch rasch zum Wechsel zwischen den Charakterstimmen. Schon aus diesem Grund wirkt die Aufnahme auf den Hörer nie eintönig; manchen, an typische Hörbücher mit einem Sprecher oder unter den Sprechern aufgeteilten Rollen gewöhnten Hörer mag dies freilich irritieren.

Jeder der drei Sprecher präsentiert das Buch auf seine Weise: Harry Rowohlt mit seinem klangvollen Bass überwiegend scheinbar trocken und nüchtern (man verzeihe der Rezensentin die Verwendung dieser Adjektive in Verbindung mit einer Reise in einem von Wodkadünsten geschwängerten Zugabteil), Robert Gernhardt, indem er launig das Humorige und Groteske unterstreicht, und der Schauspieler Josef Bilous glänzt, indem er den Personen in ihren Dialogen eigene Stimmen, bisweilen auch Dialekte zuweist.

Das Vergnügen, das die Sprecher beim Vorlesen empfinden, ist nicht zu überhören - nicht nur an den Stellen, an denen sie sich offensichtlich zurückhalten müssen, um nicht in Gelächter auszubrechen. In der Tat macht Jerofejews manchmal schneidender, manchmal feiner, oft polteriger Humor konsequentes Vorlesen nicht gerade leicht, zumal es sich um eine Lesung vor (natürlich immer wieder lachendem) Publikum und nicht um eine sterile Studioaufnahme handelt.

Ein ausgesprochen russisches Flair mit russischem Akzent im Wortsinn wird hier nicht geschaffen, die Vorleser bleiben eher im Hintergrund und lassen vor allem die Geschichte, diese grotesk überzeichnete Darstellung der russisch-sowjetischen Gesellschaft der 60er-Jahre, für sich selbst sprechen, anstatt ihr ihre jeweilige Persönlichkeit überzustülpen. Wer Hörbücher gegenüber Druckausgaben bevorzugt, wird an dieser Version von Jerofejews "Reise nach Petuschki" sicher Freude haben, außer, er oder sie erwartet, wie erwähnt, eine einzelne Stimme oder aber eine Rollenverteilung unter den Sprechern.

Das Hörbuch ist apart aufgemacht und eignet sich auch deshalb gut als Geschenk für Freunde russischer Literatur und "Fans" der drei Sprecher.

(Regina Károlyi; 09/2007)


Wenedikt Jerofejew: "Reise nach Petuschki"
Gesprochen von Harry Rowohlt, Robert Gernhardt, Josef Bilous.

Random House Audio, 2007. 4 CDs; Laufzeit 280 Minuten.
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Wenedikt Jerofejew, geboren am 24. Oktober 1938 in Kiowsk bei Murmansk, studierte in Moskau und Wladimir Geschichte und Literatur bis er von der Universität flog und sich fortan als Heizer, Wärter, in der Pfandflaschenannahme, als Milizionär, Straßenarbeiter und Monteur beim Fernmeldewesen durchs Leben schlug. Sein Meisterwerk "Die Reise nach Petuschki" entstand im Herbst 1969. Jerofejew starb am 11. Mai 1990 in Moskau. Venedikt Eerofeev

Ein Buchtipp:

"Moskau - Petuški. Ein Poem"

Aus dem Russischen von Peter Urban.
Die Reise nach Petuschki wird zu Moskau - Petuški: Peter Urbans grandiose Neuübersetzung bringt den ganzen Reichtum dieses Klassikers zum Vorschein
Die aberwitzige Reisebeschreibung einer feuchtfröhlichen Zugfahrt gehört schon heute zu den modernen Klassikern der russischen Literatur und ist seit Jahrzehnten ein Dauerbrenner, höchste Zeit also, dieses Poem mit all seinen Untiefen und Höhenflügen von Peter Urban neu übertragen zu lassen.
Sein Köfferchen voller Schnaps fest ans Herz gedrückt, besteigt der Moskauer Venedikt Venicka, der den Kreml noch nie gesehen hat, weil er im Suff immer wieder daran vorbeigefahren ist, am Kursker Bahnhof den Vorortzug nach Petuški. In Petuški, wo die Vögel nicht aufhören zu singen, wo sommers wie winters der Jasmin nicht verblüht, will er seine rothaarige Geliebte und den gemeinsamen Sohn besuchen. Die Reise gerät allerdings aus der Bahn und wird zu einer einzigen Sauftour: Venicka trinkt, die Mitreisenden trinken, und sogar der Oberschaffner trinkt mit. Von Station zu Station und von Flasche zu Flasche werden Venickas Monologe und sein Gedankenaustausch mit den Reisegefährten absurder. Venickas Schicksal aber ist schon längst besiegelt: "Nach Petuški", meint die Sphinx mit blutsaugerischem Lachen, "kommt überhaupt keiner ..."
Peter Urban, der sich u.a. als Übersetzer der Werke von Puškin, Turgenev und Cechov einen großen Namen gemacht hat, hat dieses "Poem für Eingeweihte" aus dem Russischen neu übersetzt und mit einem ausführlichen Anmerkungsapparat versehen. (Kein & Aber)
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