A.M. Homes: "Jack"
Das Drama des Erwachsenwerdens
Erwachsenwerden ist nicht leicht, und die Pubertät
ist ein Zeitraum, in dem einem das sogar geradezu unmöglich vorkommen will. Da
ist es schon relativ vorteilhaft, wenn die häuslichen Umstände für das
soziale Umfeld vergleichsweise normal sind - das heißt, die
Eltern sind geschieden, man lebt bei der Mutter und der intakten Familie eines guten Freundes. So
stellt sich das Leben zumindest für den fünfzehnjährigen Jack dar, dessen größte
Probleme im Moment
Mathematik und der Führerschein zu sein scheinen. Und die
lautstarken Auseinandersetzungen jedes Mal, wenn sein Vater und seine Mutter
ausnahmsweise aufeinandertreffen.
Doch eines Tages nimmt sein Vater Jack auf einen
Ruderausflug mit, und mitten auf dem See gesteht er dem Jungen, dass er und
Jacks Mutter sich getrennt haben, weil er gemerkt hatte, dass er andere Männer
viel mehr schätzt als Frauen. So hat Jack "plötzlich" einen schwulen
Vater und weiß überhaupt nicht mehr, wo ihm der Kopf steht. Er ist
verwirrt, enttäuscht und vor allen Dingen wütend, denn schnell merkt er,
dass er anscheinend einer der Wenigen in der Familie und in der Nachbarschaft
war - zumindest unter den Erwachsenen - der nicht wusste,
was der Trennung seiner Eltern zugrundelag.
Auf einmal bekommen die Witze in den Pausen und in
der Burschengarderobe beim Sport einen bitteren Beigeschmack, und während
Jack
Schwierigkeiten hat, die Realität der Neigung seines Vaters zu akzeptieren, fällt
ihm doch zunehmend auf, wie intolerant die "guten" Menschen in seiner
Umgebung doch in vielerlei Hinsicht sind und wie schnell man in geistige
"Sippenhaft" genommen wird, wenn sich ein Familienmitglied nicht
"gesellschaftskonform" verhält.
Die Geschichte wird aus Jacks Perspektive erzählt.
Für Kinder und Jugendliche, die sich ihrer eigenen Sexualität
gerade erst bewusst werden, ist das Ganze wahrscheinlich noch irritierender als
für Menschen in einem anderen Lebensabschnitt. Insofern ist Jacks Umgang mit
dem Thema gut nachvollziehbar und letztendlich auch lobenswert zu nennen - nach einer gewissen
"Gewöhnungsphase".
Neben diesem Aspekt geht es in dem Buch auch um
Fragen der Scheidungsproblematik allgemein, was eine "ideale" Familie
ausmacht, und wie sich Sexualität bei Jugendlichen überhaupt entwickelt.
Dabei kommt gelegentlich ein wenig der Eindruck auf, die Autorin habe versucht,
die Probleme der Pubertät - zumindest in Grundzügen - vollständig
aufzuarbeiten, was das Buch gegen Ende ein wenig unfertig erscheinen lässt,
weil viele Themen nur an der Oberfläche gestreift werden. Aber für eine
erste Auseinadersetzung Jugendlicher mit derartigen Themen ist "Jack" ein annehmbares
Buch.
(K.-G. Beck-Ewerhardy; 11/2007)
A.M. Homes: "Jack"
Übersetzt von Hans-Georg Noack.
Kiepenheuer & Witsch, 2007. 250 Seiten.
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Ein weiteres Buch der Autorin:
"Dieses Buch wird Ihr Leben retten"
Gerühmt wird A.M. Homes' scharfer Blick für die Abgründe im Alltäglichen. Um
Abgründe geht es auch in diesem Buch: Richard Novak verliert den Boden unter
den Füßen, als er einen vermeintlichen Herzinfarkt erleidet und sein Haus in
den Hügeln von Los Angeles in einem Erdloch zu versinken droht. Eine hinreißende
schwarze Komödie, scharfsinnig, zeitdiagnostisch, zu Herzen gehend.
"Gefühle habe ich schon, nur keine Zeit dafür." Richard
Novak, reich geworden im Aktienhandel, geschieden, hat hart daran gearbeitet,
sein Leben unter Kontrolle zu haben. Seine Unabhängigkeit reicht so weit, dass
er mit kaum jemandem spricht, nur mit seiner Haushälterin und seiner Ernährungsberaterin
wechselt er regelmäßig ein paar Worte. Was macht so jemand, wenn er auf einmal
heftige Herzschmerzen bekommt, er in der Notaufnahme landet und sein Haus in
einem Erdloch zu versinken droht? Loslassen.
Auf dem Weg von der Klinik nach Hause beginnt Richards neues Leben. In einem
Geschäft trifft er auf Anhil, einen Einwanderer, der sein
Lebensglück in
seinem kleinen Laden verwirklicht. In der Gemüseabteilung eines Supermarktes
rettet er eine weinende Hausfrau, die die Nerven verliert, weil sie sich nicht für
die richtige Salatsorte entscheiden kann. Richard fängt an, die Welt an sich
heranzulassen und sich um andere Menschen zu kümmern, und ungeübt, wie er ist,
schießt er dabei zuweilen übers Ziel hinaus. Ein Roman über jemanden, der
sein Leben umkrempelt und dabei seiner Familie, vor allem seiner Ex-Frau und
seinem 17-jährigen Sohn Ben, wieder näherkommt.
"Dieses Buch wird Ihr Leben retten" ist ein hellsichtiger
zeitdiagnostischer Roman, verkleidet als schwarze Komödie. Ein Wolf im
Schafspelz sozusagen. (Kiepenheuer & Witsch)
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