Róbert Hász: "Für alle Ewigkeit"
Spannender, stimmungsvoller Roman in
der Tradition Gracqs und Buzzatis
Aus welch seltsamem Grund vegetiert eine kleine Truppe von Soldaten auf einem
vorgeschobenen Außenposten unter der abschirmenden Käseglocke eines scheinbar
suggestiv wirkenden Befehls sinnverloren vor sich hin? Abgeschottet von der
Außenwelt, in einem geschlossenen System traumhaften Gefangenseins, ähnlich
wie die Männer an der "Syrtenfront" in Julien Gracqs Roman "Das Ufer der Syrten"
oder wie die Bewohner von Pateras Traumreich in Alfred Kubins "Die andere Seite".
Auch Buzzatis
Roman "Die Tatarenwüste" bzw. "Die Festung" geht in diese Richtung.
"Für alle
Ewigkeit" von Róbert Hász weist deutliche Parallelen zu den genannten Werken auf
und ist doch alles Andere als ein bloßer Abklatsch oder gar ein Plagiat. Róbert
Hász kann schon Originalität für sich beanspruchen, Originalität in der Diktion
wie auch Originalität im Inhaltlichen.
Existenzielle Fragen zum Sinn des
menschlichen Daseins, man könnte auch sagen, für alle Ewigkeit gültige Fragen,
werden hier vom Autor aufgeworfen. Aber man muss sich zunächst zum Fragen
durchringen, muss überhaupt erst die richtigen Fragen stellen, denn in der
richtigen Fragestellung liegt bereits der Keim der Antwort verborgen. "Die Frage
ist wichtiger als die Antwort" belehrt uns denn auch Róbert Hász. Sein
Protagonist, ein junger Leutnant, Leutnant Livius, der neu zur verschlafenen
Garnison hinzustößt, sucht in der administrierten Leere des vergessenen
Stützpunktes nach etwas Begreifbarem, nach einem greifbaren Anhaltspunkt, einem
verborgenen Sinn. Er gibt sich nicht mit simplen und bequemen Antworten
zufrieden wie seine Kameraden, die schon länger dort dienen und in einem
merkwürdigen Schlendrian dahin leben, als ständen sie unter Drogen oder als
duckten sie sich unter die Knute eines fremden Willens.
Auch eine mehr
oder weniger offene Satire auf das Militär und seine Strukturen ist dieses Buch.
Es schildert dezent, ohne große Übertreibungen in 08/15-Manier, und doch
eindrucksvoll die sinnlos erscheinenden Bemühungen von Mannschaften und
Offizieren, die Leere ihres soldatischen Daseins zu verwalten, die Zeit
totzuschlagen oder nur mit sinnlosem Warten zu verbringen. Zu warten und doch zu
hoffen, dass das, worauf man als Soldat eben so wartet, nicht eintritt. Zugleich
ist es auch eine Satire auf die Zustände im zerfallenden Vielvölkerstaat
Jugoslawien, vor dessen historischem Hintergrund die ganze Geschichte erzählt
wird. Aber auch hier gilt: Das Satirische geht dezent verschleiert, kommt auf
leisen Sohlen aber hohem Niveau daher und stampft nicht mit titanic’schem
Klumpfuß durch die Niederungen der Klamotte. Es braucht schon ein gewisses
Gespür beim Leser, das Groteske, das Satirische einzelner Szenen und Dialoge
richtig zu erfassen, weil es sich offenbar um den ganz normalen Wahnsinn
handelt, der einem so vertraut erscheint und von daher nur noch schwer als
Wahnsinn eingestuft werden kann. Man fragt eben nicht weiter nach. Und noch
etwas ist dieses Buch, eine eigenwillige, zynische und im wahrsten Sinne des
Wortes versteckte Hommage an den jugoslawischen Staatsgründer, der aber hier
auch stellvertretend für andere Alleinherrscher oder Diktatoren steht.
Parallel zu den Ereignissen oder auch Nicht-Ereignissen
auf der militärischen Festung erzählt Róbert Hász die Geschichte einer
Jugendliebe, der Liebe zwischen Leutnant Livius und Antonia, einer Liebe von
asketischer Noblesse, möchte man fast sagen, zart wie ein Traum. Mit
sympathischer Nonchalance beschreibt Hász diese Beziehung zwischen seinem
Protagonisten und der um zwei Jahre jüngeren Antonia. Alles beginnt in einem
Garten, in einer Weinlaube,
einem paradiesischen Rückzugsort für Livius’ Tagträume, abgeschottet von den
Wirrnissen der Wirklichkeit. Der Garten befindet sich ganz am Ende der Straße,
da wo das Dorf aufhört und die Wildnis beginnt. Parallelen zur vergessenen
Garnison tun sich auf. Beide Orte, man könnte auch sagen Traumreiche, scheinen
gesättigt von Vergangenheit, selbst die Zeit scheint
eingefroren.
Nebelhaft gleiten die Träume des Leutnants von einer Welt in
die andere hinüber. Nahtlos wechselt der Erzähler die beiden Ebenen des
Geschehens, spricht auch des öfteren von Parallelwelten oder von der anderen
Seite des Spiegels: " ... und als er sich im Spiegel an der Wand gegenüber
erblickte, beschlich ihn ein Gefühl, als wäre er das Spiegelbild, er, der hier
auf dieser Seite der Theke saß, als wäre die wirkliche Welt da drüben, jenseits
des Spiegels, und als sähe er jetzt seinem eigentlichen Ich ins Gesicht." Neben
dem Spiegel als Symbol beziehungsweise Projektionsmedium für das Unbewusste
spielen auch noch das Wasser und das unterhalb der Festung gelegene Bergwerk
eine Rolle. Das Wasser, das sich unkontrolliert und bedrohlich Bahn bricht im
Stollen unter der Festung. Dies alles könnte man deuten als die Symbolik
unbewusster Vorgänge.
Um noch einmal auf das zentrale Problem des Fragens
zurückzukommen, es geht dem Autor auch wohl darum, die Verantwortlichkeit des
Menschen in den Brennpunkt zu rücken; um die Courage, auch schwierige, unbequeme
Fragen zu stellen, die ein jeder sich selbst beantworten muss. Es gibt eben
keine Wüsten mehr, in die man fliehen, in die man sich davonstehlen kann wie ein
Einsiedler, um sich seiner Verantwortung zu entziehen, um die Augen vor
unbequemen Wahrheiten oder Dingen zu verschließen. "Das war es, wovor Livius
graute. Er musste entscheiden."
Auch der Schluss des Buches ist absolut überzeugend, kommt mit einer blitzsauberen
Pointe daher. Zwar finden sich Hinweise auf das überraschende Ende schon gelegentlich
im Text, aber es bräuchte wohl die Beobachtungsgabe eines Sherlock Holmes, um
frühzeitig hinter das Geheimnis zu kommen.
Als Fazit wäre zu sagen: Ein rundum gelungenes Buch,
spannend und unterhaltsam, hintersinnig und zudem frei von überflüssigem
Wortballast.
(Werner Fletcher; 02/2006)
Róbert Hász: "Für alle Ewigkeit"
(Originaltitel "Végvár, Tiszatáj")
Aus dem Ungarischen von Christina Kunze.
Klett-Cotta, 2006. 288 Seiten.
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Róbert Hász wurde 1964 in der Voivodina
im ehemaligen Jugoslawien geboren. 1991 floh er nach Ungarn. Heute lebt er als
Autor und Lektor in Szeged. Sein erster Roman "Der Garten des Diogenes" erschien
1997 und wurde ins Französische und Deutsche übersetzt:
"Der Garten
des Diogenes"
Ein junger Fremder zieht mit seiner Frau Anna und der
kleinen Tochter in ein Neubauviertel am Rande einer ungarischen Kleinstadt, wo
sie nach der Flucht vor dem Krieg ein neues Leben beginnen wollen. Auf einem
Spaziergang entdeckt er eine Fabrikruine, in der drei Clochards Unterschlupf
gefunden haben. In Gegenwart der drei philosophischen Aussteiger fühlt er sich
aufgehoben, wirklicher als in seinem entwurzelten Alltagsdasein. Um Geld zu
verdienen, übernimmt er die Abschrift von Briefen Samuel Kramers, eines
fahrenden Studenten aus dem 17. Jahrhundert. Er entdeckt seltsame Bezüge zu
seinem eigenen Leben. Eines Tages macht er eine erschreckende Entdeckung
...
Inspiriert von Jules Verne und Umberto Eco,
erzählt Róbert Hász, wie ein Mensch aus seinem Leben verschwindet. Sein Buch
ist ein so märchenhafter wie melancholischer Versuch, die Verlorenheit einer
unsicheren Flüchtlingsexistenz in den Traum von einer besseren Welt hineinzuretten.
(Rowohlt)
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"Der Herrscher der Seelen" zur Rezension ...
Leseprobe:
Die
Weinlaube hatte einen märchenhaften Zauber an sich gehabt, Livius verstand es
nicht recht, doch er hatte damals auch nicht gründlich darüber nachgedacht. Er
hatte einfach nur hingenommen, daß es auf der Welt ein enges, kleines,
eingezäuntes Paradies gab, in dem er sich wohl fühlte. Wenn er jetzt daran
zurückdachte, mußte er zugeben, daß es in Wirklichkeit der ungepflegteste Garten
war, den er je gesehen hatte. Freilich konnte er sich nur schwer vorstellen, daß
Papa Fabrió mit der Astschere in der Hand die überflüssigen Zweige der Obstbäume
schnitt oder mit der Hacke zwischen den Weinstöcken herumscharrte. Schon bei dem
Gedanken mußte er lächeln.
- Sollen sie doch wachsen, erwiderte er einmal
auf Livius’ beiläufige Bemerkung, daß die Weinranken bereits unauflösbar
ineinander verschlungen seien.
Nicht, als hätte Livius dies übermäßig
gestört. Vielleicht rührte gerade daher der Zauber des Gartens, den Fabrió nicht
brechen wollte, vielleicht überließ er den Garten nicht aus Faulheit und
Unachtsamkeit der ungezügelten Gier der Natur, vielleicht flüchtete er ebenso in
diese unberührte Wildnis wie Livius selbst. Als wäre sie nur für ihn geschaffen,
als letzter Zufluchtsort. Er konnte sich die Gerüche der Jahreszeiten in
Erinnerung rufen, hinter geschlossenen Lidern sah er die Farbwechsel des Gartens
im Sommer und im Herbst, die sich einrollenden, absterbenden gelben Blätter, wie
im Winter die Schneebüschel auf den schwarzen Ästen der Kirschbäume saßen, in
jedem Jahr genau gleich. Dieselben Schneeflocken fielen auf dieselben Äste.
Vielleicht versuchte der Garten mit dem jahreszeitlichen Gestaltwandel nur,
seine Zeitlosigkeit zu verbergen. Livius glaubte gern, daß es nicht diese Welt
war, in der die Wurzeln dieses Gartens steckten. Ließ er doch den Alltag in
weite Ferne rücken, sorglos friedlich im Gegensatz zur wirren Wirklichkeit. Er
konnte berauschen, in Tagträume wiegen. Livius war zuerst Antónia zuliebe in den
Garten gekommen, auch dies bot ihm Gelegenheit, mit ihr zusammenzusein. Später
ging er vor allem, um Maria-Luisa eine Zeitlang zu entkommen.
In das weiträumige Wohnzimmer stahl sich nur selten Licht. Die schweren, dunkelgrünen
Brokatvorhänge waren meist zugezogen. Die verträumten Möbel, der geschnitzte
Eichenschrank, die schmalen Vitrinen, an den Wänden die Bücherregale mit den
Glastüren und am Ende des Zimmers das schwarze Klavier
standen in ewigem Halbdunkel. Vor dem polierten Schrank, innerhalb der weißen
Ränder des bordeauxroten Persers, auf dem Blumenmuster des Teppichs räkelten
sich die bauchigen Lehnstühle mit dem blaßrosa Muster, und in der Mitte des
Zimmers, nicht zu weit von den Sesseln entfernt, doch auch nicht zu nah bei
ihnen, stand das Teetischchen, dessen Füße so graziös auf den rauhen Teppich
niederliefen, daß der ganze Tisch auf Zehenspitzen zu stehen schien. Livius
mochte ohnehin keinen Tee, doch im Sommer, wenn draußen die Luft in der Augusthitze
vibrierte, widerte er ihn geradezu an. Seinen Ekel unterdrückend hob er die
Porzellantasse zum Mund, spielte das wohlerzogene Herrenkind, womit er sich,
um die Wahrheit zu sagen, sogar selbst imponierte, während er hoffte, daß die
vier Flaschen vorgekühltes Bier, die er vor dem Haus auf dem Fahrrad gelassen
hatte, nicht zu warm würden. Doch die Zeremonie mußte immer genau so ablaufen.
Dies hatte letztlich den Vorteil, daß er gegen Überraschungen gefeit war. Er
wechselte mit Maria-Luisa vorgefertigte, erprobte Sätze über Universität und
Familie, über Literatur, Inflation und Preise, im Konversationston, aber dennoch
mit monotoner, lebloser Stimme, die Livius sagte, daß es zwischen ihnen niemals
vertrauter, natürlicher würde. Manchmal bekam er die sich ins Unendliche erstreckende
Familiengeschichte
zu hören, in deren Vortrag sich Maria-Luisa mit Vorliebe vertiefte. Als erzählte
sie nicht ihm, sondern dem Regisseur eines zukünftigen Filmes von den einstmals
vornehmen Ahnen, deren Geschichte sich im Nebel verlor; zuweilen so detailliert,
als plane sie schon die Einstellungen der einzelnen Szenen. Antónia hielt sich
bei solchen Gelegenheiten im Hintergrund, sie lächelte vielleicht still über
Livius’ Leiden und dachte:
- Du hast
es so gewollt, jetzt mußt du die Konsequenzen tragen. Und während der ganzen
Zeit mußte er unauffällig Cecils kühlen, herablassenden Blick meiden.
-
Ich gehe, pflegte er nach einer Zeit zu sagen, mit kaum verhohlener Ungeduld in
der Stimme, während er vom Teetisch aufstand, mit lässigen Schritten zur Tür
ging und die drei Frauen allein ließ. Ich sehe nach Fabrió ...