Karl-Heinz Göttert: "Anschlag auf den Telegraphen"
Ein Mord, viele mögliche Motive ...
Es ist der Herbst des Jahres 1847. 
Nachrichten zwischen Köln und Berlin werden, ist Eile geboten, häufig mit dem 
Telegraphen versandt. Dabei handelt es sich noch um ein optisches System, das 
nach Art der Flaggensignale auf See über bewegliche Arme an Sendemasten nach 
einem spezifischen Codeschlüssel Nachrichten von einem Mast zum nächsten sendet, 
was dafür sorgt, dass das System nur bei Tage und nur bei guter Sicht verwendet 
werden kann. Dieses deutsche System ist fest in preußischer Hand und wird mit 
Mannschaften betrieben, die militärischem Oberbefehl unterstehen.
Im 
Signalturm von Flittard kommt der Telegraphenwärter Adam Schilling gewaltsam zu 
Tode. Die Tat selbst sowie die Tatumstände werden von der Obrigkeit unter den 
Teppich gekehrt um nicht den Eindruck aufkommen zu lassen, das neue 
Kommunikationssystem könne eventuell anfällig für Sabotage sein.
Nur der von 
der Universität Bonn zurückgekehrte Werner Schilling, der gehbehinderte Sohn des 
Getöteten, interessiert sich für die genauen Umstände des Ablebens seines 
Vaters. Er ist ein eher weltfremder Philologe, der sich nun gezwungen sieht, 
sich mit den politischen und gesellschaftlichen Realitäten der Jahre 1847/1848 
auseinander zu setzen.
  Damals wollten zahlreiche Rheinländer, wie auch viele andere deutsche Länder, 
  die preußische Kontrolle aus 
  dem fernen Berlin abschütteln, nachdem sie die Preußen zuvor schon von den 
  Franzosen befreit hatten.
  
  Im Zuge seiner Ermittlungen im Kreis des Telegraphen und durch seine Arbeit 
  bei der "Kölnischen Zeitung" werden Werner, und damit auch dem Leser, die technologischen 
  und sozialen Entwicklungen in Europa in ihren Zusammenhängen verdeutlicht. Der 
  optische Telegraph hat die Kurierreiter arbeitslos gemacht, die zunehmende Industrialisierung 
  sorgt dafür, dass der Bedarf an Fachhandwerkern abnimmt, der ehemalige Chefredakteur 
  des verbotenen "Kölner Anzeigers", ein gewisser 
Karl Marx aus Trier, geht nach 
  London, die Eisenbahnen nutzen ihre Monopolstellung gegen die Industrie aus, 
  bevor sie schließlich unter staatliche Aufsicht gestellt werden, und die aufkommende 
  Dampfschifffahrt gefährdet viele Handelsunternehmen, die über eine stehende 
  Flotte unter Segeln verfügen.
  In seinem privaten Umfeld bemerkt Werner 
Schilling außerdem, wie die Frauen immer mehr an Einfluss gewinnen, (so sollen 
sie nicht mehr gezüchtigt werden dürfen), und versuchen, in bislang reine 
Männerdomänen einzubrechen.
Dass der Telegraph die Welt dabei erstaunlich 
"verkleinert", wird Werner endgültig klar, als sich die Französische 
Februarrevolution direkt auf die deutschen Verhältnisse auswirkt, und auf den 
Karneval, der seinerseits Auswirkungen auf die Lokalpolitik hat.
Neben so 
klingenden typisch kölschen Namen wie Camphausen, DuMont, Lengsche und anderen, 
tritt hier aus Berlin noch ein weiterer bekannter Name in den Vordergrund, 
nämlich jener eines ehemaligen Soldaten, der sich der Förderung und 
Weiterentwicklung der elektrischen Telegraphie verschrieben hat: ein gewisser 
Herr Siemens.
In diesem Umfeld gibt es verschiedene Motive für den Angriff 
auf eine Telegraphenstation: Fortschrittsangst oder das Gefühl, dass die 
optischen Telegraphen den Fortschritt bremsen, Protest gegen die Regierung, 
Erzeugen von Angst, um ein weniger angreifbares 
Kommunikationssystem 
durchzusetzen, klare revolutionäre Beweggründe, geistige Umnachtung und 
eventuell auch nur einfach ein dummer Zufall.
Für all dies findet Werner in 
der Stadt mögliche Hinweise und Verdächtige, während er selbst zunehmend von 
verschiedenen Gruppen beobachtet wird ...
Die Personenzeichnung ist 
wesentlich besser gelungen als in den beiden vorhergehenden Romanen Götterts 
("Die 
Stimme des Mörders", "Das Ohr 
des Teufels"), und die jetzige Geschichte gerät nie ins Stocken. Göttert 
vermittelt auch diesmal historische Fakten, was den Erzählfluss jedoch nicht 
hemmt. So ist ein spannender, interessanter und angenehm zu lesender 
historischer Kriminalroman entstanden, der die bedeutenden, vielleicht oftmals 
nicht so bekannten Entwicklungen im Vorfeld der großen Ereignisse des Jahres 
1848 aufzeigt.
(K.-G. Beck-Ewerhardy; 09/2004)
Karl-Heinz Göttert: "Anschlag auf den 
Telegraphen"
Emons, 2004. 222 
Seiten.
ISBN 3-89705-336-5.
ca. EUR 9,30. 
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Karl-Heinz Göttert ist Professor für Germanistik an der Universität Köln. Er hat zahlreiche Bücher verfasst, darunter eines über die Stimme, das Grundlage war für seine historischen Kriminalromane.