Renate Germer: "Die Heilpflanzen der alten Ägypter"


Magie und Chemie

Verbrennungen, Verdauungsstörungen und Potenzprobleme, Schlangenbisse und Skorpionsstiche, Augenentzündungen, Husten, Fieber, Zahnschmerzen und Hautausschläge waren und sind ein Teil jener Leiden, deren Linderung und Heilung seit Jahrtausenden zu den Aufgaben und Bestrebungen der Heilkundigen zählen. Der Ruhm der von altägyptischen Ärzten praktizierten Heilkunst reichte weit über die Grenzen des Pharaonenreiches hinaus, und die Ärzteschaft genoss ob ihrer fundierten Kenntnisse hohes Ansehen.

Im vorliegenden Buch bietet die am Ägyptologischen Institut der Universität Hamburg lehrende Diplombiologin und Archäologin Renate Germer einen seriösen, sachlichen Überblick über seinerzeit zu Heilzwecken eingesetzte Pflanzen und deren Anwendungsgebiete, wobei dankenswerterweise auf gute Lesbarkeit und abwechslungsreiche Aufbereitung des zur Verfügung stehenden Materials geachtet wurde, sodass guten Gewissens von einem nicht nur Spezialisten dienlichen Sachbuch gesprochen werden kann.

Anhand von überlieferten medizinischen Aufzeichnungen verschiedener Epochen (z. B. Papyri, Aufzeichnungen des Dioskurides, des Herodot, des Prospero Alpini, ...), Mumienfunden und Grabmalereien sowie aufgrund von Rückschlüssen, die auf Beobachtungen der heutigen ägyptischen Volksmedizin beruhen, entsteht ein lebendiges Bild der Behandlungsmethoden.
Wie Renate Germer wiederholt betont, stellt die eindeutige Bestimmung der in den zahlreichen Rezepturen erwähnten Pflanzen nach wie vor eine große Herausforderung für die Forscher und Übersetzer dar, weil keine altägyptische Systematik der Erfassung von Heilpflanzen vorliegt. Daher sind viele Rezepte noch immer rätselhaften Inhaltes; als Beispiel sei hier folgende Anleitung angeführt: "Anfang von den Heilmitteln für das Beseitigen des Hustens: frische d3r.t (djaret), werde gegeben in Wasser in einem neuen Topf, werde getrunken an vier Tagen."

Jeder der mittlerweile bestimmten, ausführlich vorgestellten Pflanzen ist eine Strichzeichnung eines Botanikers/Reisenden früherer Jahrhunderte beigefügt, weiters illustrieren Abbildungen von Tempel- und Grabmalreliefs sowie Fotografien von Mumien die schriftlichen Erläuterungen.

Nach einem Kapitel, das Ausbildung, soziale Stellung und auch magisch-religiöse Aufgaben des altägyptischen Arztes beleuchtet, werden die unterschiedlichen Applikationsformen der verabreichten Mixturen geschildert - dazu zählten neben trinken, essen sowie einreiben auch Genital- und Rektaleingüsse, Räucherungen und Inhalationen. Anschließend erfährt man, wie man sich das Auftreten einer Krankheit erklärte (u.A. durch Stauung von Stoffen im Körper, dämonische Einwirkung, ...).
Jedenfalls spielten Abführmittel eine bedeutende Rolle in der altägyptischen Medizin, weil man durch möglichst schnelle Ausscheidung alle schlechten Stoffe aus dem Körper zu befördern trachtete. Auch Mittel gegen Eingeweidewürmer, darunter beispielsweise Zubereitungen der Rinde des Granatapfelbaumes und der Wurzel der Dumpalme, waren sehr gefragt.
Wie auch heute noch, wurden Produkte aus Doldengewächsen (z. B. Kreuzkümmel) zur Beseitigung von unliebsamen Verdauungsstörungen eingesetzt.

Lesen Sie Erstaunliches: Welche Bewandtnis hat(te) es mit den Pfefferkörnern, die von den Balsamierern in die Nasenlöcher der Mumie Ramses' II. gesteckt wurden? Woher bezogen die Ägypter Weihrauchharze und Myrrhe, Wacholderbeeren, Sefetsch-Harz und Pfeffer? Bei welchen Erkrankungen wurden Räucherharze, Sellerie, Dill, Blätter der Nilakazie oder Datteln verordnet? Womit wurden die Heilmittelmixturen vermischt, um süßer zu schmecken? Welche Körperpflegeprodukte auf pflanzlicher Basis wurden verwendet? Wann griff der Arzt zu Zwiebeln, Mohnkapseln und Lattich? Wie sah ein altägyptischer Schwangerschaftstest aus? Wie machte man sich die Inhaltsstoffe der Nachtschattengewächse zunutze?

Im Anhang finden sich neben u. a. Erläuterungen zu Quellenangaben Verzeichnisse der lateinischen wie deutschen und auch der altägyptischen Pflanzen- und Produktnamen!

(Felix; 08/2002)


Renate Germer: "Die Heilpflanzen der alten Ägypter"
Artemis & Winkler, 2002. 176 Seiten.
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