Jean-Paul Bled: "Friedrich der Große"

Biografie


Friedrich II.: Caput Borussiae

Jean-Paul Bled ist Professor für neuere österreichische und deutsche Geschichte an der Pariser Sorbonne und ehemaliger Direktor des Centre d'Etudes Germaniques in Straßburg.

Friedrich II. war König Preußens, aber treffender ist wohl Kopf Preußens, untrennbar verbunden mit Preußen. Doch diese Idee mit Namen Preußen bedurfte noch Schlesiens und Westpreußens, um eine stabile territoriale Einheit zu bilden. Auch wenn diese Landnahme den Staatskörper vorübergehend schwächen sollte, war dies aber die Voraussetzung zur späteren Stabilität und Prosperität Preußens.

In diesem abstrakten und auch bewusst zynisch formulierten Ansatz liegt die politische Mechanik begründet, der Friedrich als erster Diener des Staates streng folgte. Bis zu seinem Tod: Er wollte am nächsten Morgen noch um vier geweckt werden, zum Arbeiten.

So war er, der Alte Fritz. Muss man ihn deshalb lieb haben? Nein, muss man nicht. Denn die Menschenrechte sind nicht verhandelbar. Das wusste Friedrich auch, veröffentlichte es sogar in seinem Antimachiavel, warf es aber in dem Moment bedenkenlos über Bord, als er als König Verantwortung übernahm. Aber musste er nicht so handeln, musste er Preußen nicht stärken, damit es nicht sofort Opfer der gierigen Nachbarn wurde? Das Europa zu Friedrichs Zeiten war ein politisches Haifischbecken, zweifellos. Und so sehen wir Heutigen nach der Lektüre eines Geschichtsbuchs betroffen den Vorhang zu und alle Fragen offen.

Die vorliegende Biografie beleuchtet das Leben Friedrichs und das politische Umfeld, in das er hineinwuchs und das er später aktiv mitgestaltete. Preußen stand im Kräftefeld der Nachbarstaaten, allen voran Russland, Österreich und Frankreich, in dem aber auch Sachsen, Bayern, Schweden und England eine Rolle spielten. Es war die Zeit der Erbfolgekriege, in denen der Tod eines Monarchen für kleinere und größere militärische faits accomplis genutzt wurden. Nach dem Tod des Habsburgers Karls VI. im Jahre 1740 eignete sich der frisch gebackene König Friedrich kurzerhand Schlesien an und kam damit durch. Diese Erwerbung des 1. Schlesischen Krieges konnte er im 2. Schlesischen Krieg behaupten, verlor sie aber wieder im 3. Schlesischen Krieg. Und so herrschte nach 23 Jahren des Sterbens wieder der status quo ante bellum. 1772 teilten sich Russland, Österreich und Preußen mit einem Federstrich einen großen Teil Polens auf, und Preußen konnte sich Westpreußen einverleiben. Die wechselnden Allianzen und die Schlachten ermüden den Leser gelegentlich, aber am Ende muss man eingestehen, dass man Friedrich nur über seine Taten erfassen kann (es sei denn, ein neuer Haffner nähme sich des Themas an).

Doch auch der andere Friedrich kommt zu Wort, der Freund der Musik, der Literatur, Veranstalter philosophischer Zusammenkünfte, dem es sogar gelang, den größten Geist des europäischen 18. Jahrhunderts zu korrumpieren: Voltaire. Doch dieser war in seiner unglaublichen Eitelkeit andererseits auch leicht zu gewinnen.

Aber auch in Literatur und Musik werden Friedrichs Grenzen sichtbar. Zwar kann man ihm beachtliche musikalische Leistungen attestieren, aber er entwickelte sich im Gegensatz zu dem Rest Europas musikalisch nicht weiter und blieb dem barocken Stil bis zum Schluss verhaftet.

Seine Gouvernante, obwohl als hugenottischer Flüchtling seit 25 Jahren in Deutschland, sprach kein Deutsch, und so konnte es der junge Friedrich von ihr auch nicht lernen. Die höfische Kultur war französisch, was in den Augen Friedrichs später nach der griechischen und der römischen sogar zur dritten klassischen Kultur wurde. Kant, Lessing, Wieland und Goethe bemerkte er nicht, weil er der reformbedürftigen deutschen Sprache das Potenzial zur Literatur absprach. Einzig Christian Wolff konnte ihn kurzzeitig beeindrucken.

Man muss Friedrichs religiöses Weltbild noch ansprechen. Friedrich war ein Deist, der von der Existenz eines "Grand Horloger", eines "großen Uhrmachers", überzeugt war. Die Welt werde aber gelenkt von "sa Majesté le hasard", "Seiner Majestät dem Zufall". Die Offenbarungen der Schriftreligionen hielt er für puren Aberglauben. Dieser sei aber so fest in den Köpfen verankert, dass man ihn nicht entfernen könne. So sei "der oberste Grundsatz, die abergläubischen Ohren zu schonen und niemandem einen Schock zu versetzen." Die Politik müsse - und hier zeigt Friedrich wirklich Größe - den Irrtum dulden, des inneren Friedens willen. Einzig den Juden gegenüber zeigte er keine Toleranz, im Gegenteil. Wer sich davon ein Bild verschaffen will, dem sei die Doppelbiografie Lessings und Mendelssohns von Vera Forester empfohlen.

Fazit
Wir haben es mit einer solide geschriebenen Arbeit zu tun, die das Leben des Friedrich mit dem Werden Preußens eng verbindet. Sie überlässt am Ende dem Leser die Bewertung Friedrichs aber selbst. Das ist auch völlig in Ordnung, erfordert aber einen reiferen Leser.

Die französischen Verse Friedrichs und Voltaires reimen sich auf Deutsch. Hier wäre eine quellentreue Übersetzung ohne Versform sicherlich dienlicher gewesen.

Mit rund 30 Euro ist das Buch mit weniger als 400 Seiten im oberen Preissegment angeordnet. Trotz der Konkurrenz durch Kunisch und vor allem Schieder wird dieses Buch seinen Platz finden, denn es handelt sich um ein dichtes Kompilat einer Epoche, das alle wichtigen Aspekte verständlich aufbereitet präsentiert, wenngleich die eine oder andere Karte wünschenswert gewesen wäre.

(Klaus Prinz; 08/2006)


Jean-Paul Bled: "Friedrich der Große"
Aus dem Französischen von Wolfgang Hartung.
Artemis & Winkler, 2006. 384 Seiten.
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