Nicolas Fargues: "Nicht so schlimm"


Um die Männer ist es anscheinend nicht zum Besten bestellt. Haben sie zunächst über eine lange Zeit versucht, das, was sich da durch den Feminismus bis in den letzten kleinbürgerlichen Haushalt eingeschlichen hat, zu negieren und standfest zu übersehen, haben danach immer mehr, besonders jüngere Männer, es mit der Anpassung probiert, so wie auch der Protagonist im gegenständlich besprochenen genial geschriebenen Roman aus Frankreich, der dort über Monate die Verkaufsranglisten beherrschte und nun endlich in deutscher Übersetzung vorliegt:
"Alexandrine, so weiblich, erwachsen, zu erwachsen, kühl, streng, so voller Zorn, so anspruchsvoll, unversöhnlich, beeindruckend und oft so rabiat, mächtige, magnetisch anziehende Alexandrine, die mich um Lauf der Jahre in die Knie gezwungen hat, wie es davor und danach niemand getan hat, mich, der ich sonst so stark und stolz bin. Und sie wusste ganz genau, dass sie mit mir machen konnte, was sie wollte. Auch das war das Verkorkste in unserer Beziehung: Sie hat mit mir gemacht, was sie wollte, und ich habe es mit mir machen lassen, aus Angst, dass sie mich ablehnen würde, wenn ich mich verteidige; ich dachte, es gefällt ihr, wenn ich gehorche, aber in Wirklichkeit hat es sie auf die Palme gebracht, dass ich ständig so weich und fügsam war und sie nie zu mir gelangte, sondern nur zu dem, als der ich mich ausgab, um ihr zu gefallen."

Beruflich recht erfolgreich, hat er zusammen mit der Schwarzen Alexandrine vor etwa zehn Jahren eine Familie gegründet, sie haben zwei Kinder bekommen, von denen erstaunlicherweise im ganzen Buch nur einige kurze Erwähnungen zeugen, so als wären sie gar nicht da, und dann, keiner weiß mehr genau, wann es begonnen hat, ist nur noch Verachtung und Unterwerfung in dieser Beziehung. War es - über Jahrhunderte vielleicht - der Mann, der seine Frau unterdrückte und unterwarf, und die Frau, die ihn dafür insgeheim verachtete und seine herausgestellte Männlichkeit verabscheute, so ist es nun umgekehrt. Der Ich-Erzähler, der, wie der Rezensent vermutet, zahllosen Männern zwischen 25 und 50 Jahren insgeheim aus der Seele spricht, auch wenn dies niemand ernsthaft zugeben würde, leidet wie ein Tier. Er merkt, seine Anpassungsstrategie ist gescheitert, eben weil es eine Strategie war und keine wirkliche Veränderung seiner selbst. Er hat es, wie Millionen anderer Männer in den westlichen, vom Feminismus bis in die letzte Zelle verwandelten Ländern, nicht geschafft, seine Männlichkeit, die von seiner Frau gefordert und begehrt wird, so loszulösen von den Machtmetaphern, mit denen sie Jahrhunderte lang verbunden war, dass sie kompatibel wurde mit einem weiblichen Selbstbewusstsein und einer selbstbestimmten Sexualität, die sich als gleichberechtigt in jeder Beziehung erleben will und nicht mehr bereit ist, auch nur einen Abstrich zu machen.

Das Problem dieser Männer, und auch das Problem des bemitleidenswerten Protagonisten ist nur, dass sie keine eigenen Veränderungsprozesse für sich selbst initiiert und dann vergesellschaftet haben. Sie dachten alle, wenn sie nur besonders weich, anpassungsfähig, haushaltstüchtig und kinderfreundlich wären, wenn sie lernen würden, ihren Frauen zuzuhören, wenn sie, ihr Begehren kanalisierend, akzeptierten, dass es außer der schnellen Penetration noch andere befriedigende Formen der sexuellen Erfüllung geben könnte, dann seien sie angenommen und geliebt. Aber sie haben es als Reflex auf die Entwicklung der Frauen getan, nicht aus eigenem Antrieb, sie haben es getan, weil sie nicht abgehängt werden wollten, und nicht, weil sie sich schon lange von der Entwicklung der Gesellschaft abgehängt fühlten.

Und so entstanden erhebliche Irritationen in den Beziehungen, die manche der "neuen Männer" zu verzweifelten Aussprüchen führten wie etwa: "Sie hören mir alle so gerne zu, aber ins Bett gehen sie mit den Machos, die sie sonst verachten."

Beobachtet der Rezensent seine Umgebung, sieht er, wie Freunde und Bekannte in Beziehungen mit ihren Frauen umgehen, und diese mit ihren Männern, dann stellt er immer öfter fest, dass von einer Gleichberechtigung noch lange nicht gesprochen werden kann. Ja, um es einmal sehr zugespitzt zu formulieren: Man hat manchmal den Eindruck, dass viele Männer in den Familien unter einer erheblichen Doppelbelastung leiden, die früher den Frauen vorbehalten war. Wollen sie anerkannt werden und politisch korrekt sein, müssen sie genau die Alleskönner sein, die ihre Großmütter und Mütter in den vergangenen Jahrzehnten nicht mehr sein wollten.

Eine Epoche der Männerbefreiung tut Not, eine Entwicklung, die aber nur die Männer selbst voranbringen können. Der Glaube der Frauen, ihre Bewegung würde schon irgendwann automatisch auch veränderte Männer mit entsprechendem Bewusstsein und vor allem entsprechenden Verhaltensfähigkeiten und Bewusstseinsinhalten hervorbringen, hat sich als Illusion erwiesen. Sie wollten weiche Männer - und erhielten weitere Kinder. Sie wollten starke Männer - und erhielten immer anpassungsfähigere Chamäleons, hinter deren Gefühlswelt sie tatsächlich immer weniger blicken konnten.

Auch der Hinweis Horst-Eberhard Richters in seinem lesenswerten Buch "Die Krise der Männlichkeit in der unerwachsenen Gesellschaft" auf den unsere Kultur seit Jahrhunderten prägenden Männlichkeitskult, der sich ausdrücke in Gewalt und Kriegen und für den er beeindruckende kulturhistorische wie auch geschichtsphilosophische Belege findet, hilft dem einzelnen Mann in seiner Beziehung nicht viel weiter. Vielleicht sind es zunächst einmal Bücher wie jenes von Nicolas Fargues, deren Lektüre für Männer (warum aber nicht auch für Frauen) einen erheblichen Wiedererkennungs- und Identifizierungsprozess in Gang setzen könnte, an deren Ende ein Gespräch mit einem anderen Mann stehen könnte; etwas, das Männern nachgewiesenermaßen am allerschwersten fällt.
Auch Nicolas Fargues' Protagonist erzählt seine Geschichte irgendjemandem; sein Zuhörer (oder ist es doch wieder eine Frau, der er sein Leid klagt?) bleibt bis zum Ende des Buches anonym, und es bleibt offen, ob er diese Konstruktion nicht doch als Kunstgriff für seine zugebenermaßen ehrliche und selbstkritische Reflexion seines Lebens gewählt hat.

Seit langer Zeit lebt er in einer afrikanischen (?) Stadt, Tausende Kilometer weit weg von Paris, seiner Heimatstadt. Er hat, wohl dort, die Schwarze Alexandrine geheiratet, zwei Kinder mit ihr, und ist in seinem Beruf recht erfolgreich. Als die schon erwähnte in ihren wahren Ursachen für ihn unerklärliche Entfremdung in seine Beziehung kommt, wagt er es, in einem Aufruhr seiner Gefühle bei einer Gelegenheit, eine andere Frau zu küssen und mit ihr zu schmusen. Mehr traut er sich gar nicht, ist dann allerdings doch Feuer und Flamme, kann aber vor lauter schlechtem Gewissen und angeblicher Selbstdisziplin nicht an sich halten und erzählt alles seiner Frau, verbunden mit dem Hinweis, er wolle sich von ihr trennen.
Schon nach einer halben Stunde nimmt er diese Idee reumütig zurück und bettelt seine Frau auf Knien an, ihm zu verzeihen, nachdem diese ihn nach allen Regeln der Kunst blutig zusammengeschlagen und getreten hat.

Spätestens hier hätte er sofort einen Schlussstrich ziehen müssen, aber so, wie er es gelernt hat, (von wem eigentlich?), versucht er über Monate, durch Wohlverhalten ihr Wohlwollen und ihre Vergebung zu erheischen. Wenn man liest, wie Fargues diese selbsterniedrigenden Unterwerfungsgesten beschreibt, bleibt einem das Lachen im Hals stecken, und es wird einem regelrecht übel. Als der Protagonist dann noch herausfindet, dass seine Frau ihn mit einem "richtigen" Mann betrogen hat und sich nach wie vor sexuell nach ihm verzehrt, ist er gänzlich am Boden zerstört. Natürlich kommt er damit nicht viel weiter, bis ein Aufenthalt im Heimatland Frankreich es ihm ermöglicht, alleine seine Eltern in Italien zu besuchen, natürlich nicht, bevor er Alexandrine mehrfach gefragt und gebeten hat mitzukommen. Aber wie vorauszusehen war, lehnt sie brüskiert ab und bleibt in Paris.
In einem Restaurant, das er in Italien mit seinen Eltern besucht, lässt ihm eine Frau ihre Telefonnummer durch einen Kellner übermitteln. Geschmeichelt ruft er an, trifft sich mit Alice und lernt Gefühle kennen, die er vergessen hatte:
"Ich fühle mich wieder wie ein Mann, ein Mann mit einem Schwanz, mit Händen und einem Mund, um einer Frau zu gefallen, sie zu befriedigen, ein Mann, der wie alle Männer, denen eine gewissen Ausgeglichenheit am Herzen liegt, die eigene Begierde und Freude zum Ausdruck bringen kann, diese grundlegende und mächtige Begierde, wie ein Mann, der dazu geschaffen ist, sich hinzugeben, ganz einfach und natürlich, ohne darin etwas Krankhaftes zu sehen, ohne Angst oder ein schlechtes Gewissen zu haben."

Natürlich gesteht er es seiner Frau, als sie ihn konfrontiert, lässt sich von ihr auf das Schäbigste erniedrigen, verrät seine große Liebe Alice, beide können aber nicht voneinander lassen, und erneut sagt er Alexandrine, dass er sich von ihr trennen wird. Dieses Hin und Her erstreckt sich über weite Teile des Buches, ist zeitweise amüsant zu lesen, meistenteils aber war der Rezensent während der Lektüre eher erschüttert darüber, was sich ein Mann bieten lässt, sich selbst und damit Anderen antut. Es soll hier offen bleiben, ob der Protagonist in seinem Leben noch irgendwie die Umkehr schafft; eines wird aber am Ende des Buches jedem Leser klar: Da wird noch viele geschehen müssen an Reflexion, Selbsterkenntnis und Veränderung, bis er diese Muster bearbeitet und abgelegt hat. Denn dann, und nur dann, wird er zu einer wirklich gleichberechtigten Beziehung zu einer Frau fähig sein und sich von solchen Frauen, die sich ihm nähern, und selbst, aus welchen Gründen auch immer, zu einer solchen Beziehung nicht fähig sind oder es nicht sein wollen, lieber fern zu halten, weil sie ihm nicht gut tun.

Ein wirklich lesenswertes Buch, dem viele männliche Leser zu wünschen sind.

(Winfried Stanzick; 07/2007)


Nicolas Fargues: "Nicht so schlimm"
(Originaltitel "J’étais derrière toi")
Deutsch von Frank Wegner.
Gebundene Ausgabe:
Rowohlt, 2007. 188 Seiten.
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Taschenbuch:
Rowohlt, 2009.
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Nicolas Fargues, 1972 geboren, wuchs in Kamerun, im Libanon und auf Korsika auf. Nach dem Literaturstudium an der Sorbonne lebte er in Asien und Afrika. Er arbeitete unter anderem bei dem französischen Verlag "Gallimard", beim französischen Fernsehen und als Fotomodell für "Chanel". Zuletzt arbeitet er als Geschäftsführer der "Allliance Française" in Madagaskar.

Ein weiteres Buch des Autors:

"Die Rolle meines Lebens"

Antoine ist Schauspieler und auf der Suche nach der Rolle seines Lebens. Seinen ersten Filmerfolg hat er bereits hinter sich, doch der fordert seinen Preis im Privatleben. Seine spanische Freundin Elvira verlässt ihn. An Erfolge gleichermaßen gewöhnt wie an Rückschläge, hadert Antoine mit seiner Herkunft. Die Mutter ist Französin, der Vater stammt aus der Karibik. Antoine bleibt Außenseiter, böse blickt er auf die feine Pariser Gesellschaft. Er provoziert Frauen und Freunde und kämpft gegen die moralischen Vorstellungen seines Vaters, gibt das Enfant terrible - bis er bei einem Vorsprechtermin einer berühmten Schauspielerin begegnet und mit ihr eine Liebesgeschichte beginnt. In einem engagierten Roman über Starkult und den Traum vom großen und kleinen Glück beschreibt Fargues das Lebensgefühl seiner Generation, treffend und schonungslos. (Rowohlt) zur Rezension ...
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