"Bilder im Dunkeln"

Höhlenkunst der Eiszeit. Die Sammlung Wendel.
CD-ROM


Ein Archiv erzählt immer sehr viele Geschichten. Die Hintergründe, wie Archive entstehen, sind mannigfaltig. Inwieweit ein Archiv Bedeutung erlangt, hängt von jenen Personen ab, die sich dem Sammeln verschiedenster Dinge verschrieben haben und diesbezüglich bereit sind, eine Menge an Lebenszeit zu opfern.

Heinrich Wendel schuf ein Archiv, das die Geschichte der künstlerischen Ursprünge der Menschheit eindrucksvoll demonstriert. Er sah sein "Projekt" nicht als wissenschaftliche Arbeit an, sondern widmete sich seinem Hobby jahrelang und von der Öffentlichkeit unbeachtet in aller Stille. Als Bühnenbildner war er für viele Opernhäuser tätig und schuf ungewöhnliche Lichtobjekte, die sich buchstäblich auf die Bühne brannten und gefahrlos zu durchschreiten waren. Licht war für den begeisterten Fotografen von essenzieller Bedeutung. Und gerade in Bezug auf seine Dokumentation von etwa 3000 Dias aus über 50 Höhlen Frankreichs und Spaniens hat sich diese Affinität zum Licht als wertvoll erwiesen. Tatsächlich sind die Fotografien von erstaunlicher Qualität. Die Gravuren von (hauptsächlich) Tieren, und (sehr selten) Menschen sind Bestandteil der Höhle, und das Fehlen jeglichen Entfremdungseffektes, den Kunst oft fälschlicherweise suggeriert, macht die Wanderung durch diese Höhlen zum großen Erlebnis. Da Lagepläne der Höhlen die Struktur dieser Lebenswelt zeigen, kann sich der Betrachter buchstäblich als Teil dieser natürlichen Behausungen fühlen, die den modernen Menschen aufhorchen lassen sollten.

Heinrich Wendel interessierte sich sehr für Geschichte und Philosophie. Ein kleiner Audioausschnitt aus dem Jahre 1977 belegt nachdrücklich, dass für ihn die Auseinandersetzung mit der Höhlenkunst der Eiszeitmenschen eine Möglichkeit darstellte, die Ursprünge der Menschheitsgeschichte für sich zu entdecken und deren Spuren zu folgen. Der Mensch der Eiszeit zog sich in die Höhle zurück, um dort sein Inneres im INNEREN nach AUSSEN zu richten. Die Eigenheit der "modernen" Gegenwart, jeden Schwachsinn nach außen zu projizieren und damit künstlerische Qualitäten zu verwässern, da im Strom auch viele faule Fische schwimmen, die sich - ganz im Sinne von Wendel - im Licht sehen, obzwar sie dafür keinerlei Voraussetzung mitbringen, erweist sich als prächtiger Unsinn im Vergleich zu Kunstwerken, die im Inneren der Höhlen schwebten und dort eine Einheit zwischen Lebenswelt und künstlerischer Projektion ergaben.

Höhlen haben etwas Geheimnisvolles an sich und gelangten nicht zuletzt durch das Höhlengleichnis des Plato zu "Berühmtheit". Dass Höhlen auch als Metapher für innere Widersprüchlichkeiten im Sinne von selbstreflexiven Prozessen und Identitätssuche gelten mögen, hat Max Frisch mit der Cowboygeschichte im "Stiller" bewiesen. Es gibt unzählige Mythen, die sich mit Höhlen auseinandersetzen. Hinzu kommt noch die spirituelle Komponente, da die Stille in der Höhle jene Dimension des Gebets erlaubt, die sich nicht als pharisäerhafte Zurschaustellung präsentiert. Die Fotos von Heinrich Wendel zeugen von dieser beruhigenden Qualität, die aus der Stille heraus möglich ist (insofern sie nicht gestört wird).

Zwischen 1964 und 1977 hat Heinrich Wendel mit viel Aufwand und Ausdauer Höhlenkunst fotografiert. Sein großes Ziel, alle bedeutenden Höhlen zu dokumentieren, konnte er nicht ganz verwirklichen - es fehlen Tito Bustillo und Lascaux -, doch er schuf eine wunderbare Gesamtschau der Motive, die Jäger und Sammler der späten Altsteinzeit, also zwischen 35000 und 12000 Jahren vor unserer Zeit, an den Wänden ihrer Behausungen verewigt haben. Dazu gehören Pferde, Wisente, Hirsche, Mammuts und Steinböcke. Ebenso zahlreich sind abstrakte Zeichen wie Punkte, Linien, Pfeile oder Schraffuren. Vollständige Darstellungen von Landschaften und Menschen fehlen.

Die vorliegende CD-ROM bietet dem Interessierten die Möglichkeit, Höhlenkunst aus der Zeit vor ihrer Entdeckung durch den Massentourismus zu betrachten. Die Mehrzahl der dokumentierten Malereien ist heute nicht mehr zugänglich oder durch Umwelteinflüsse oder Tourismus bereits geschädigt. Wer also eine Reise zu nahezu unberührten Pfaden der Höhlenkunst tun will, der wird mit dieser CD voll auf seine Kosten kommen. Sie sei dem Leser dieser Zeilen jedenfalls absolut empfohlen!

(Al Truis-Mus; 06/2004)


"Bilder im Dunkeln"
Mit einem Vorwort von Paul G. Bahn.
Andreas Pastoors / Gerd-Christian Weniger (Hrsg.)
Theiss, 2004.
System: Windows 98, Windows Me, Windows 2000, Windows XP.
ISBN 3-7831-2322-4.
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