Thomas Bührke: "Albert Einstein"


"Ich liebte und bewunderte ihn wegen seiner großen Güte, seiner geistigen Originalität und seines unbeugsamen sittlichen Mutes. Sein Rechtsgefühl war außerordentlich hoch entwickelt. Im Gegensatz zu den meisten so genannte Intellektuellen, deren moralisches Gefühl oft in so verhängnisvoller Weise verkümmert ist, hat Einstein unermüdlich gegen jegliche Ungerechtigkeit und Gewalttat seine Stimme erhoben." (Maurice Solovine, 1956)

"Gott würfelt nicht"
Albert Einstein (1879-1955) gilt als einer der bedeutendsten Physiker aller Zeiten und hat mit "E=mc²" die berühmteste Formel der Wissenschaftsgeschichte entwickelt. Er war Schöpfer zahlreicher Gedankenexperimente und hat soviel Tiefsinniges produziert, dass man mit einem Zitat von ihm immer richtig liegt. Rein äußerlich verkörperte er den Prototyp eines zerstreuten Professors. Seine manchmal fehlenden Socken sind ebenso wie seine zu kurzen Hosen Legende und sein Typ diente als Vorlage für zahlreiche Filme. Thomas Bührke, promovierter Astrophysiker und freier Wissenschaftsjournalist hat sich mit Einsteins Lebenswerk auseinandergesetzt und eine Biografie verfasst. Welche Antworten gibt er in seinem Porträt auf die m. E. zentralen Perspektiven "Der Mensch Einstein" und "Der Wissenschaftler Einstein"?

Der Mensch Einstein
Albert Einstein ist in Ulm geboren und verbrachte seine ersten Lebensjahre in München. Sein Vater betrieb zusammen mit seinem Bruder ein Elektrogeschäft. Einstein war ein guter Schüler, wenngleich er Zeit seines Lebens misstrauisch gegen jede Art von Autorität war. Als grüblerisches Naturell galt er eher als Außenseiter. Seinen Mittelschulabschluss legte er 1896 an der Kantonsschule in Aarau ab. Sein Berufswunsch zu dieser Zeit: Professor für "Theoretische Naturwissenschaften".

In der Person Einstein vereinigten sich Intelligenz und Kreativität zu gleichen Teilen. Dies zeigte sich schon in seiner Jugend, wenn er, zum Ärger mancher seiner Lehrer, immer wieder eigene Lösungen präsentierte. Das kindliche "Sich Wundern" war für ihn zeitlebens einer der Antriebe für seine geistige Entwicklung. Er stellte althergebrachte Lehren in Frage und seine Intuition geleitete ihn zu kreativen Höchstleistungen.

In seinem Familienleben war es nicht immer zum Besten bestellt. Seine erste Ehe ging in die Brüche und seine unehelich geborene erste Tochter wurde, so vermutet man, zur Adoption freigegeben. Er hatte mehrere Affären. Ein Zitat seines Sohnes Hans Albert verdeutlicht die familiäre Situation: "Das einzige Projekt, das er jemals aufgegeben hat, bin ich."

Einsteins Vorfahren waren jüdischer Herkunft. Er bekannte sich zum Judentum, lebte aber nicht nach dessen Gebräuchen. Die Situation in Nazi-Deutschland führte dazu, dass er 1932 nach Amerika ins Exil ging. Zitat Einstein: "Solange mir eine Möglichkeit offen steht, werde ich mich nur in einem Lande aufhalten, in dem politische Freiheit, Toleranz und Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz herrschen." Er half mit großem Engagement Freunden und Bekannten, aus dem Einflussbereich der Nazis zu fliehen.

1938 gelang Otto Hahn und Fritz Strassmann in Berlin die Spaltung des Urankerns und damit war der Weg zur Atombombe nur noch eine Frage der technischen Umsetzung. Die Büchse der Pandora war geöffnet. Einstein befürchtete, dass die Deutschen eine Atombombe bauen könnten und brachte seine Bedenken in einem Brief zum Ausdruck, den er zusammen mit den Physikern Leo Szilard und Edward Teller an den Präsidenten der Vereinigten Staaten schrieb. An dem späteren Manhattan-Projekt zur Realisierung einer amerikanischen Atombombe war Einstein nicht beteiligt. Bedenkt man, dass Einstein bekennender Pazifist war, wird deutlich, in welch schwierigen Gewissenskonflikten er in diesen Jahren gesteckt haben muss. Er hat in späteren Jahren immer wieder betont, dass er an der Entwicklung der Atombombe nicht mitgearbeitet hat. 

1952 wurde er ins Gespräch gebracht, Präsident Israels zu werden. Einstein, dessen Stimme zwar Gewicht hatte, war selbstkritisch genug, ein solches Angebot von vornherein abzulehnen. Diese Aufgabe entsprach nicht seinem Naturell. Er war mehr der Idealist, der von einer gerechten Weltregierung träumte.

Der Wissenschaftler Einstein
Einstein studierte in Zürich Mathematik und Physik und näherte sich damit seinem Berufswunsch. Er war kein strebsamer Student, konnte sich aber für ausgewählte Bereiche begeistern. Nach seinem Diplom arbeitete er zunächst als Fachlehrer in Winterthur und Schaffhausen und später als technischer Experte beim Patentamt in Bern. In dieser Zeit, in der er auch eine Familie gründete, entwickelte er einige seiner wichtigsten wissenschaftlichen Theorien. Seine Tage beim Patentamt waren gezählt und es deutete sich eine Hochschulkarriere an.

Im Jahre 1905 entstanden gleich fünf wissenschaftliche Arbeiten für die Annalen der Physik. Für seinen Beitrag zur Quantentheorie (nicht für die Relativitätstheorie!) bekam er 1922 den Physik-Nobelpreis. Auch wenn er einen wichtigen Beitrag zur Quantentheorie geleistet hat, konnte er sich mit den weiteren Entwicklungen auf diesem Gebiet (Unschärferelation) nicht identifizieren. Hier hatte der Zufall Einzug in die Wissenschaft gehalten und aus dieser Zeit stammt sein bekannter Spruch: "Gott würfelt nicht". Über viele Jahre hatte er Diskussionen mit Niels Bohr zum statistischen Charakter der Quantenphysik. Diese Auseinandersetzungen haben letztlich dazu geführt, dass das Fundament dieser Theorie immer stabiler wurde.

Einsteins bekannteste Werke sind die Spezielle Relativitätstheorie (1905) und die Allgemeine Relativitätstheorie (1915). Mit diesen Arbeiten kam er - der Folgerungen wegen - in die Boulevardblätter. Aber auch ohne diese beiden Werke wäre er ein bekannter Physiker geworden.

Einstein gilt als kreativer, von seiner Intuition geleiteter Wissenschaftler. Ein hohes Maß an Kreativität ist auch erforderlich, wenn man bereit ist, ein neues Weltbild zu schaffen. Durch seine revolutionären Hypothesen wurde der absolute Raum und die absolute Zeit Newtons ersetzt durch ein dynamisches Gebilde, das sogenannte - mathematisch durch Hermann Minkowski formulierte - vierdimensionale Raum-Zeit-Kontinuum.

Die Hypothesen "Konstanz der Lichtgeschwindigkeit" und "Relativitätsprinzip" führten, konsequent zu Ende gedacht, zur Speziellen Relativitätstheorie. Die Zeit wurde relativ und der Begriff "Gleichzeitigkeit" musste überdacht werden. Das Relativitätsprinzip hat letztlich auch eine soziologische Bedeutung: Es gibt in der Natur unterschiedliche aber gleichberechtigte Perspektiven.

In späteren Jahren bezog Einstein die Schwerkraft in seine Überlegungen ein und entwickelte die Allgemeine Relativitätstheorie, mit der Eigenart des durch Gravitation verursachten gekrümmten Raumes. Diese Theorie beruht auf einer komplexen Mathematik und ist nur etwas für Experten. Einstein wird oft mit Newton verglichen, obwohl es in ihrer Arbeitsweise Unterschiede gab. Newton war eher der kritische Rationalist und Einstein der von seiner Intuition geleitete Visionär. Er entwickelte physikalische Modelle durch seine Vorstellung und transformierte diese im nachhinein in eine mathematische Formelsprache. Aber was passiert, wenn ein physikalisches Gedankengebäude nicht exakt in ein mathematisches Modell transformiert werden kann? Eine Unsicherheit, die bei Newtons Arbeitsweise eher unwahrscheinlich war.

Die Relativitätstheorie gilt zwar als allgemein anerkannte und experimentell verifizierte Lehrmeinung, ist aber trotzdem seit Anbeginn umstritten. Kritiker sind der Meinung, dass die Spezielle Relativitätstheorie zu früh von den damaligen führenden Köpfen der Physik anerkannt und damit fast zu einem Dogma erklärt wurde. U. a. wird durch Experimente in jüngster Zeit das Dogma der Lichtgeschwindigkeit als Grenzgeschwindigkeit angezweifelt. Die Wissenschaftsgeschichte der nächsten Jahrzehnte wird, so denke ich, hier Klarheit schaffen (müssen). Wenn die Kritik berechtigt ist, dürften die Auswirkungen gewaltig sein.

Einsteins Ziel, eine verallgemeinerte Feldtheorie zu finden, hat er nicht erreicht. Auch seine Nachfolger scheitern an dieser Aufgabe.

Fazit:
Das menschliche Profil von Albert Einsteins hat Bührke vortrefflich skizziert. Einstein hat das Thema "Verantwortung der Wissenschaft" ins Gespräch gebracht, wie kein anderer Wissenschaftler vor ihm. Der Idealist Einstein, maßgeblicher Gestalter des naturwissenschaftlichen Weltbildes des 20. Jahrhunderts, wurde letztlich von den wissenschaftlichen und politischen Ereignissen überrollt. Einstein hat sich selbst nicht als das übergroße Genie betrachtet, sondern wurde zum Teil durch sein wissenschaftliches Umfeld in diese Rolle gedrängt. Er war ein selbstkritischer Mensch und hatte nie Probleme damit, Fehler einzugestehen. Mit Kritikern ist er fair umgegangen.

Es gibt zahlreiche Bücher über Albert Einstein. Das Porträt von Thomas Bührke ist umfassend, sachlich und verständlich geschrieben. Was ich vermisse, ist eine für mein Verständnis notwendige Distanz zu seinen Theorien und damit eine mehr kritische Würdigung seiner Arbeiten.

(Klemens Taplan; 01/2004)


Thomas Bührke: "Albert Einstein"
dtv, 2004. 192 Seiten.
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Ergänzende Lese- und Hörtipps:

Thomas Bührke: "E = mc²"

Einführung in die Relativitätstheorie
Ende des 19. Jahrhunderts wähnte sich die Physik "bis auf ein paar kleine Details" an ihrem Ziel, alle wesentlichen Gesetze zu kennen und die Welt zu verstehen. Doch dann veröffentlichte ein bis dato unbekannter Angestellter des Berner Patentamtes im Jahr 1905 zwei Arbeiten, die diese Welt veränderten. Der Weg zu Albert Einsteins Weltformel, ihre Bedeutung und ihre wichtigsten Auswirkungen. (dtv)
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Albert Einstein: "Verehrte An- und Abwesende!"
Originaltonaufnahmen 1921-1951
Einstein - dieser Name steht für das Vermögen des menschlichen Geistes, für eine Vorstellungskraft, die es mit einem ganzen Universum aufnimmt. So bewegt er sich an den Grenzen des Denkbaren ...
In den erstmals in gesammelter Form publizierten Tondokumenten beschreibt Einstein den Menschen als homo ludens, den die "göttliche Neugier" antreibt und der mit den Neuerungen der Technik seiner Menschlichkeit weiteren Spielraum gibt. In öffentlichen Auftritten, Interviews, Vorträgen und Stellungnahmen zeigt er sich als Mann der Leidenschaft, der vor dem Politischen nicht halt macht, wenn die planetarischen Ereignisse eskalieren, wenn Krieg und Nationalismus regieren, als "Pazifist und Antimilitarist", als Gegner aller Vermassung, mit dem Bekenntnis zur Demokratie. Über die Chronologie der Tondokumente von 1921 bis 1951 wird zudem ein Stück Mediengeschichte demonstriert: von direkt in den Schalltrichter des Phonographen gesprochenen Aufnahmen, über Schellackaufzeichnungen und Tonbandmitschnitten bis zu Rundfunkübertragungen. Die Aufnahmen in deutscher und englischer Sprache (letztere auch als deutsche Übersetzung auf Grundlage der Originalmanuskripte im Beiheft) lassen eine Figur lebendig werden, die zu uns über den Schrecken und Wahnsinn des letzten Jahrhunderts spricht - aber auch das "Schönste und Tiefste", welches dem Menschen geschenkt werden kann, ist in Einsteins Reden immer gegenwärtig.
CD1: Die gegenwärtige Lage der theoretischen Physik / Meine Relativitätstheorie / Völkerverständigung als Aufgabe des Rundfunks / Jüdische Gemeinschaft / Mein Glaubensbekenntnis / I am an American / On the Present War and the Future of Europe / Über den gegenwärtigen Krieg und die Zukunft Europas / The Common Language of Science / Die übernationale Sprache der Wissenschaft.
CD2: On the Road to Liberation / Operation Crossroads / World Government / The Scientist as Citizen in the Atomic Era / National Security / Physics, Philosophy and Scientific Progress / The Fundamental Task of the University / On Universal Military Training. (supposé)
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"Die Klassiker der Physik"
Ausgewählt und eingeleitet von Stephen Hawking.
Fünf Genies der klassischen Physik und Kosmologie, ausgewählt und vorgestellt von Stephen Hawking. Fünf revolutionäre Werke der Naturwissenschaft, zum ersten Mal in einem Band versammelt. Das Wissensfundament für jeden an der Erforschung des Universums interessierten Leser.
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Fünf der grundlegenden und berühmtesten Versuche, sie zu beantworten, stellt Stephen Hawking in diesem Band vor: "Über die Umläufe der Himmelskörper" von Nikolaus Kopernikus (1473-1543), "Über zwei neue Wissenszweige, die Mechanik und die Fallgesetze betreffend" von Galileo Galilei (1564-1642), "Weltharmonik" von Johannes Kepler (1571-1630), "Mathematische Prinzipien der Naturlehre" von Isaac Newton (1643-1727) und "Das Relativitätsprinzip" von Albert Einstein (1879-1955). Hawking erläutert, wie diese Werke die Naturwissenschaft beeinflussten und Physik und Astronomie aus dem Mittelalter heraus zu dem Weltbild führten, über das wir heute verfügen. Allen fünf Arbeiten sind biografische Einführungen vorangestellt, die das Leben dieser Männer schildern und zeigen, mit welchen Herausforderungen sie konfrontiert waren. (Hoffmann und Campe)
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