Janina Drostel: "Einhorn, Drache, Basilisk"

Fabelhafte Fabelwesen


Fabelhafte Wesen in einem fabelhaften Buch

Tief verwurzelt im menschlichen Unbewussten ist offenbar das Bedürfnis, an Dinge zu glauben, beziehungsweise Dinge für möglich zu halten, die über die unmittelbaren Anschauungen des Menschen hinausgehen, seien es nun Götter, Geister, Außerirdische, die Seelen Verstorbener oder seien es Fabelwesen, mit denen sich Janina Drostel in ihrem Buch befasst. Die Esoterik-Welle sowie der religiöse Fundamentalismus unserer Tage zeigen recht deutlich, dass auch dem modernen, aufgeklärten Menschen ein solches Bedürfnis keineswegs fremd ist. Während nun aber die Existenz von Göttern und Außerirdischen immer noch von vielen Menschen kaum angezweifelt wird, haben die Fabelwesen aus dem Tierreich, um die es in diesem Buch vorwiegend geht, einen schweren Stand. Mit dem Verschwinden der letzten weißen, unerforschten Flecken auf unserem Globus verschwanden auch die Fabeltiere aus dem Bereich des real Vorstellbaren, nur die weitgehend noch unausgeloteten Tiefen der Ozeane blieben ihnen noch als Rückzugsgebiet übrig. Und die Legenden und Mythen natürlich, die ihre angestammte Heimat sind, ja, und von dort kann sie auch niemand vertreiben. Und das ist auch gut so, denn ohne sie und ohne die Mythen allgemein wäre unsere Welt gewiss ein wenig ärmer.

In alfabetischer Reihenfolge, beginnend mit dem Basilisk und mit Z wie Zwerg abschließend, präsentiert uns die Autorin die Insassen ihres Bestiariums in Wort und Bild. Fabelhafte Tiere aus dem Reich der Mythen, wiewohl der oben genannte Zwerg sowie sein Pendant am anderen Ende der Größenskala - der Riese - doch eher menschliche Züge tragen. Andere Fabelwesen sind hybrider Natur, halb Mensch, halb Tier, wie beispielsweise der Kentaur oder die Sphinx. Wieder andere sind rein animalischen Charakters, wie das Einhorn oder der Drache. Allen gemeinsam jedoch ist der Besitz gewisser Fähigkeiten, die über normale menschliche oder tierische Kräfte hinausreichen. Janina Drostel beschränkt sich hier auf die Darstellung der bekannteren Spezies von Fabelwesen, auf die auch J. K. Rowling in ihren Potter-Romanen zurückgegriffen hat, weniger populäre Vertreter wie Meermönch oder Leonkrotte finden in ihrem Buch keine Berücksichtigung. Der Leser wird informiert über die vermutliche Herkunft, also den vermuteten Ursprung dieser Fabeltiere, über ihre Geschichte, über die symbolische Bedeutung, die ihnen anhaftet, und die Autorin zeigt sogar Möglichkeiten auf, wie man diese Wesen erfolgreich bekämpfen kann, falls man ihnen zufälligerweise einmal begegnen sollte. Sie beruft sich dabei auf verschiedenartige, meist mittelalterliche Quellen, die entsprechende Ratschläge geben. Auch die Rolle, die diese fabelhaften Bestien in der Literatur spielen, wird beleuchtet, angefangen von der Bibel bis hin zu den "Fantasy"-Romanen um Harry Potter. Zahlreiche literarische Zitate, die sich in ihrem roten Druck gut vom übrigen Text abheben, untermauern den Einfluss, den Fabelwesen auf Literaten von der Antike bis zur Neuzeit ausgeübt haben.

Humorig, doch keinesfalls respektlos den Mythen gegenüber, präsentiert Janina Drostel die einzelnen Vertreter ihres Bestiariums. Nebenbei erfährt man noch von allerlei kuriosen Begebenheiten wie zum Beispiel von einem Tierprozess zu Basel, wo ein Hahn die Anklagebank drücken musste, weil ihm vorgeworfen wurde, ein Ei gelegt zu haben. Die Baseler hatten wohl Sorge, dass ein Basilisk aus diesem Ei schlüpfen könnte. Der Hahn wurde ob seines schweren Vergehens zum Tode verurteilt. Dann erfahren wir von der seltsamen Ansicht eines Inquisitors namens Bodin, der die Meinung vertrat, es gebe gar keine richtigen Wölfe, sondern nur in Wölfe verwandelte Hexen.

Ganzseitige farbige Illustrationen werten das Buch auch optisch noch einmal auf. Dabei handelt es sich zumeist um zeitgenössische Darstellungen aus dem Mittelalter, auf denen die diversen Fabelwesen eindrucks- und fantasievoll in Szene gesetzt sind. Janina Drostels Buch bietet Information und Unterhaltung in einem ausgewogenen Verhältnis. Wer also noch nach einem Geschenk sucht, dem bietet sich dieses Bestiarium der Fabelwesen zum Kauf an.

(Werner Fletcher; 11/2007)


Janina Drostel: "Einhorn, Drache, Basilisk. Fabelhafte Fabelwesen"
Jan Thorbecke Verlag, 2007. 168 Seiten.
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Dr. Janina Drostel ist Mediävistin und Literaturwissenschaftlerin. Sie ist als Lektorin und Autorin tätig.

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