Bastian Sick: "Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod" (Folge 2)

Autorenlesung: Neues aus dem Irrgarten der deutschen Sprache. Die Zwiebelfisch-Kolumnen.
(Hörbuchrezension)


Weitere Stolpersteine der deutschen Sprache im Visier des Zwiebelfischs

"Nach dem Abschluss sämtlicher Prüfungen, möchte ich endlich ein paar Wochen in Urlaub fahren."
Sätze wie diesen findet man häufig. Viele Menschen setzen Kommas nach Gefühl, nicht den Regeln entsprechend. "Nach dem Abschluss sämtlicher Prüfungen" ist aber kein Nebensatz oder Einschub, sondern eine adverbiale Bestimmung, und nach dieser folgt in Deutschen kein Komma.
Neben dem gefühlten Komma erhält auch der traurige Konjunktiv eine angemessene Würdigung in Bastian Sicks neuem Buch. Die Traurigkeit rührt daher, dass "echte" Konjunktivformen mehr und mehr durch Konstruktionen mit "würde" ersetzt werden. Formen wie "stürbe" und "tröffe" (von "sterben" und "triefen") muten natürlich antiquiert an, aber viele andere sind zumindest von der Schriftsprache her noch vertraut.
Sick macht sich außerdem zum Anwalt des geschundenen Imperativs: Lese die Anleitung sorgfältig durch! Nehme nur Original-Ersatzteile! Ess endlich! (Lies! Nimm! Iss!)
Weitere Themen sind unter anderem Verballhornungen von Sprichwörtern und Redewendungen, Verstümmelungen auch des Dativs ("dem Präsident die Hand reichen"), deutsche Lehnwörter in anderen Sprachen, absonderliche journalistische Wort-für-Wort-Übersetzungen aus dem Amerikanischen und die Rheinische Verlaufsform ("Dat Chantal ist sich die Haare am Föhnen"). Zudem geht Sick in diesem Band auf Zuschriften von Lesern ein, auch wenn den Hauptteil des Buchs nach wie vor Beiträge aus seiner Zwiebelfisch-Kolumne bei Spiegel Online bilden.

Bastian Sick wird oft als besserwisserischer Oberlehrer kritisiert - und spielt selbstverständlich mit diesem Image, war es doch das Erfolgsrezept für den ersten Band. Er sieht sich als Bewahrer der deutschen Sprache und zeigt daher verändernde oder aber zerstörerische, zersetzende Einflüsse auf, je nach Interpretation. Der Leser beziehungsweise Hörer ist angehalten, sich selbst ein Bild zu machen, ob die vielen teils unsinnigen modischen Anglizismen tatsächlich in den Sprachschatz gehören, und ob er sein eigenes Sprachverhalten, etwa hinsichtlich des Konjunktivs, in Richtung größerer sprachlicher Genauigkeit verändern möchte. Sick doziert zwar, aber auf humorvolle Weise und mit fundiertem Wissen, und wenn ihm auch manch ein vielleicht selbst etwas engstirniger Kritiker ewiggestrigen Konservatismus bescheinigt, so liefert die "Marke Sick" doch Denkanstöße und zeigt auf, wie die Sprache durch oberflächliche Trends verarmt.

So viel zum Inhalt.
Ob man gedruckte Ausgaben oder Hörbücher vorzieht, ist Geschmackssache und soll hier nicht diskutiert werden. Interessant an der vorliegenden Hörbuchfassung ist der Umstand, dass der Autor selbst liest. Und er liest gut, mit angenehmer, sympathischer Stimme, deutlicher Aussprache (die man von einem sprachlichen "Erbsenzähler" gerade bei einem Buch wie diesem auch erwarten darf) und abwechslungsreicher Betonung, gerade in Dialogen. Auf diese Weise wird das Zuhören nicht langweilig. Zudem imitiert Sick hervorragend die verschiedensten Dialekte und Akzente - ohne sich über sie zu mokieren.
Aus technischer Sicht gibt es an der Aufnahme nichts auszusetzen.
Es spricht für Bastian Sick in seiner doppelten Funktion als Autor und Vorleser, dass mich das Zuhören trotz des komplexen und durchaus anspruchsvollen Inhalts nicht ermüdet hat.
Wer Freude an der deutschen Sprache hat und sich nicht vor manchmal unangenehmen Einsichten in eigene schlechte Marotten scheut, wird von Sicks neuem Buch sicher angetan sein - und die Hörbuchversion ist wirklich empfehlenswert.

(Regina Károlyi; 09/2005)


Bastian Sick: "Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod"
Musik: Christian Bruhn, Sprecher: Bastian Sick.
Regie: Hanspeter Krüger. Produktion: SPIEGEL Online.
Der Audioverlag, 2005. 2 CDs, Laufzeit 151 Minuten.
ISBN 3-89813-445-8.
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Buchausgabe:
Noch nie sorgte ein Buch über den richtigen Umgang mit der deutschen Sprache für ein solches Aufsehen und begeisterte Hunderttausende von Lesern. Mit seinem ersten Buch gelang Bastian Sick ein kleines Wunder. Plötzlich lasen viele Menschen über Interpunktion, den korrekten Plural oder guten Stil im Deutschen. Gleichzeitig gewannen sie neues Vertrauen in das eigene Sprachgefühl. Doch längst sind nicht alle Fragen beantwortet und alle Probleme gelöst. Und schaut man genau hin, ist nicht nur der Dativ dem Genitiv sein Tod, sondern es verschwinden noch mehr Fälle - "an den Ufern des Rhein und auch beim US-Präsident". Natürlich möchte man die Dinge auch nicht schwarzmalen. Halt, heißt es nicht schwarz malen? Manches lässt einen verzweifeln und manchmal bleibt es ein Zweifelsfall der deutschen Sprache. Bastian Sick geht vielen dieser kleinen und großen Sprachvergehen nach und macht sich so seine Gedanken über das gefühlte Komma, den traurigen Konjunktiv und den geschundenen Imperativ. Und vor allem beantwortet er in diesem Band viele Fragen seiner Leser. (Kiepenheuer & Witsch)
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Folge 1: "Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod. Ein Wegweiser durch den Irrgarten der deutschen Sprache"
Die Rechtschreibreform für die Ohren!
Ein Grammatik- und Rechtschreibbuch, das es aus den Zwiebelfischkolumnen von SPIEGEL Online zum Überraschungsbestseller bringt. Ein Buch über die deutsche Sprache - muss das kein Besserwisserbuch sein?
Weit gefehlt: Bastian Sick empfiehlt augenzwinkernd unsere sprachlichen Ungenauigkeiten, wenn er über "Deutschland, deine Apostroph's", um "Stop making sense!" und "Bratskartoffeln und Spiegelsei" herfällt. Es ist ein Spaß, sich jetzt auch akustisch von Bastian Sick und seinem Alter ego, dem Schauspieler Rudolf Kowalski, durchs Todestal des Genitivs und an sprachlichen Fallgruben vorbeiführen zu lassen. (Der Audioverlag)
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Buchausgabe:
Die oder das Nutella - diese Frage hat schon viele Gemüter am Frühstückstisch bewegt. Der, die, das - wieso, weshalb, warum? Ob Nutella nun weiblich oder sächlich ist, ist sicherlich keine Frage auf Leben und Tod, aber eine Antwort hätten wir schon gern. Wir? Ja, wir hilflos Verlorenen im Labyrinth der deutschen Sprache. Wir, die wir unsere liebe Not mit der deutschen Sprache haben. Und leichter, verständlicher oder zumindest nachvollziehbarer ist es nach der Rechtschreibreform auch nicht geworden.
In seinen hinreißend komischen und immer klugen Kolumnen bringt Bastian Sick Licht ins Dunkel der deutschen Sprachregelungen und sortiert den Sprachmüll. Ist der inflationären Verwendung von Bindestrichen noch Einhalt zu gebieten, angesichts von Spar-Plänen und Quoten-Druck?
Versinken wir sprachlich gesehen nicht längst im Hagel der Apostrophe, wenn Känguru's plötzlich in den Weiten Australien's leben? Derlei Unsinn scheint nicht mehr aufhaltbar, wenn es nicht dieses Buch gäbe. Darauf zwei Espressis! (Kiepenheuer & Witsch)
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Bastian Sick, Jahrgang 1965, Studium der Geschichtswissenschaft und Romanistik, Tätigkeit als Lektor und Übersetzer; von 1995 bis 1998 Dokumentationsjournalist beim SPIEGEL-Verlag, ab Januar 1999 Mitarbeiter der Redaktion von SPIEGEL ONLINE. Dort seit Mai 2003 Autor der Kolumne "Zwiebelfisch". Lien: http://www.spiegel.de/kultur/zwiebelfisch.