Peter Connolly: "Colosseum"

Arena der Gladiatoren


Peter Connolly war deutschsprachigen Lesern bisher meist nur als Autor von ausgezeichneten und gut illustrierten Kinderbüchern zu Themen der Antike bekannt; z.B. veröffentlichte er im Tessloff.-Verlag Die alten Römer, Die alten Griechen, Die römische Armee, Die griechischen Armeen, Hannibal und die Feinde Roms, Das Leben zur Zeit des Jesus von Nazareth, Pompeji u.a.m.

Schon damals zeigte sich seine didaktische Begabung, zugunsten eindrucksvoller und informativer Bilder und Grafiken den Text auf das Wesentlichste zu reduzieren. Nun darf auch ein erwachsenes Publikum am zeichnerischen und pädagogischen Geschick des Sachbuchautors teilhaben.

Der Autor beginnt das Buch mit einer kurz gefassten Geschichte der Stadt Rom, vor allem des Tales zwischen den Hügeln Caelius und Esquilin, von seinen Ursprüngen in der ausgehenden Bronzezeit bis zur Regierungszeit des Colosseumerbauers Kaiser Vespasian (69 bis 79 n.Chr.). Dabei berichtet er, was für dieses Gebiet unweit der Machtzentren Roms bedeutsam war und was als Vorbedingung für die Erbauung eines so großen Amphitheaters notwendig scheint. Von Caesar schreibt er u.a., dass er im Jahre 46 v.Chr. zur Feier seines Triumphes Tierhetzen veranstalten ließ und im Bürgerkrieg auch Gladiatoren gegen seinen Widersacher Pompeius kämpfen ließ. Connolly vergisst dabei aber auch nicht, an populäres Wissen um die Antike anzuknüpfen. Diese Einbindung des Vorwissens, z.B. über den legendären Raub der Sabinerinnen oder den Brand Roms zur Zeit Neros, macht wahrscheinlich die leichte Lesbarkeit des Buches aus.

Mit dieser Methode, die sich in den weiteren Kapiteln über die Entwicklung der Amphitheater und den Bau des Colosseums ("Die Vision Vespasians"), die Bedeutung der Gladiatoren in der Antike, das Leben der Gladiatoren, Volksunterhaltung und den Niedergang und die Ausgrabungsgeschichte des Colosseums fortsetzt, schafft er es, Geschichte auf den Punkt zu bringen. Er schreibt nie so viel, dass man vom Hauptthema gedanklich weggeführt werden könnte. So wird Geschichte spannend.

Ebenso wichtig wie Connollys Schreibstil sind die zahlreichen Illustrationen. Auf Wiedergaben antiker Münzen, Wandgemälde, Reliefs usw. sind Gladiatorenkämpfe und Tierhetzen dargestellt. Diese setzt der Autor gekonnt in Beziehung zum Text und zu Abbildungen des Colosseums. Fast noch eindrucksvoller sind Zeichnungen Connollys, die das frühere Aussehen des Amphitheaters rekonstruieren und Fotos des heutigen Zustands ergänzen und erläutern.

Die meisterliche Verbindung von antiker Architektur, Technik, Sportgeschichte und Beschreibung der Zuschauerresonanz macht dieses Buch zu einem Meisterwerk.

(Wolfgang Moser; 04/2005)


Peter Connolly: "Colosseum"
Übersetzt von Ursula Blank-Sangmeister.
Reclam, 2005. 224 Seiten, 126 Abbildungen.
ISBN 3-15-010551-X.
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Leseprobe:

DIE NAUMACHIA-KONTROVERSE

Als Vespasian zum ersten Mal die Errichtung eines Allzweck-Amphitheaters im Gelände von Neros goldenem Palast ins Auge fasste, wollte er den See vermutlich in eine naumachia umgestalten. Indem er sich für diesen Standort entschied, glaubte er, das Problem der Wasserversorgung gelöst zu haben, da der See in einem natürlichen Sumpfgebiet lag, das durch den labicanischen Fluss und andere von den umliegenden Hügeln kommende kleinere Bäche gespeist wurde. Aber während der Standort für den gedachten Zweck ideal erschien, warf der weiche Untergrund, als man den Bau der Zuschauertribünen in Angriff nahm, sehr viel größere Probleme auf.
Vespasians ehrgeiziges Projekt wurde zu seinen Lebzeiten nie verwirklicht, und während Titus da weitermachte, wo sein Vater aufgehört hatte, gibt es keinen schlüssigen Beweis, dass bei der Einweihung des Bauwerks im Jahre 80 v. Chr. im Colosseum eine Naumachie aufgeführt wurde. Obwohl es unter dem Gelände einen massiven 6 m tiefen Graben gab, wäre es technisch schwierig gewesen, das 76 m lange und 44 m breite Untergeschoss für eine Seeschlacht zu fluten, anschließend trocken zu legen und für den sich anschließenden Gladiatorenauftritt mit einem Bretterboden abzudecken. Und während es eine Fülle archäologischer Beweise dafür gibt, wie die Arena zur Zeit des Titus abgedeckt war, fehlt von einem Mechanismus für ihre Flutung jede Spur. (Die unterirdischen Systeme des Colosseums sind in Anhang I genauer beschrieben.)
Die Frage, ob im Colosseum jemals Seeschlachten aufgeführt wurden, löste eine oft erbittert geführte Kontroverse aus, die die Experten jahrhundertelang entzweite. Doch für dieses Problem gibt es keine einfache Lösung. Man kann nur sagen: Ja, vielleicht, aber ... Dies ist die Antwort heute, und fast sicher ist es die Antwort für immer. Auf den ersten Blick ist die Sache absurd, doch die Römer selbst scheinen daran geglaubt zu haben. Man hat viele abenteuerliche Theorien aufgestellt. Als John Henry Parker, Kustos des Ashmolean Museum in Oxford, über die 1847-75 erfolgten Ausgrabungen im Untergeschoss des Colosseums Bericht erstattete, vertrat er die Ansicht, dass auf jeder Seite des Hauptkorridors Boote zu Wasser gelassen wurden, die sich dann gegenseitig beschossen. Aber es gibt noch andere, weitaus groteskere Theorien. Alle wurden völlig zu Recht mit Verachtung gestraft.
In der Frage, ob es jemals Naumachien im Colosseum gab, reicht die Reihe der heutigen Gelehrten vom enthusiastischen Befürworter über den vorsichtigen Bejaher zum bloßen Nichtwisser und weiter bis zum skeptischen Analytiker und dem entschiedenen, knallharten Neinsager. Aber dennoch konnte eine Frage bislang noch nicht befriedigend geklärt werden: Wenn Vespasian nicht die Absicht hatte, in seinem Amphitheater Wasserschauspiele zu veranstalten, weshalb entschied er sich dann für das Gelände von Neros künstlichem See als Standort für sein Bauwerk? Er war ein notorischer Geizhals, und es erscheint fast undenkbar, dass er Geld aus dem Fenster warf, um ohne Not einen See trocken zu legen.
Nach heute allgemein verbreiteter Ansicht gab es beim Untergeschoss zwischen der Fertigstellung der Umfassungsmauer samt allen Installationen und der Ausmauerung im Inneren einen Zeitraum von mindestens ein paar Jahren; in dieser Zeit könnte das Untergeschoss als Becken genutzt worden sein. Eine 1991 veröffentlichte Untersuchung des südwestlichen Sektors des Souterrains ergab, dass ein großer Teil der Umfassungsmauer wasserdicht gebaut war.
Die groß angelegte Studie über das Untergeschoss, die der deutsche Architekt Heinz-Jürgen Beste Ende der neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts durchführte, erbrachte Beweise für die Veranstaltung von Naumachien, und Beste bezeichnet die Zeit des Titus sogar als "Periode der Naumachien". Allerdings kam er auch zu dem Schluss, dass das Amphitheater weder schnell noch leicht zu fluten war. Dieser Meinung haben sich heute viele Wissenschaftler angeschlossen.
Nur über das sehr umfangreiche Abwassersystem des Bauwerks wäre es möglich gewesen, große Wassermengen schnell in das Colosseum zu leiten. In den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts wurde eine Untersuchung der nördlichen und südlichen Abwasserleitungen sowie des Untergrundes durchgeführt. Sie ergab, dass alles Neigung nach außen hatte und ohne Frage dem Wasserabfluss diente. Außerdem waren die Leitungen dem Anschein nach an keinen Wasserspender angeschlossen - ein solches System hätte die Abwässer zurückgespült. In seinem aufschlussreichen Artikel (Il Colosseo, hrsg. von A. Gabucci, Mailand 2000, Kap. 6) über die Wasserversorgung und das Abflusssystem des Colosseums räumt der italienische Ingenieur Leonardo Lombardi allerdings ein, dass es, wenn der Tiber Hochwasser führte, zu einem Rückfluss im Abwassersystem gekommen und das Untergeschoss geflutet worden wäre. Dies beweist, dass es nicht unmöglich war, hätte aber Schleusentore erfordert. Der Einsatz eines solchen Rückflusssystems hätte oberhalb des Amphitheaters gelegene große Zisternen nötig gemacht. Der Rückfluss des Abwassers stellt das größte Problem dar.
Nach gängiger Theorie ließ sich das Amphitheater mit dem Wasser fluten, das für die Latrinen und Trinkwasser-Brunnen in das Colosseum geführt wurde, indem man es durch die Regenabflussrohre in das Untergeschoss leitete. Aber das ist viel zu kompliziert. Diese Methode der Wasserzufuhr ist zwar raffiniert, doch wäre sie viel zu ineffektiv und langsam. Domitian mag sich dieses Verfahrens später tatsächlich bedient haben, aber für den von Martial beschriebenen Effekt muss es eine schnellere und einfachere Möglichkeit gegeben haben.
Titus wollte vermutlich die Reihe von Seeschlachten veranstalten, die sein Vater für das Colosseum geplant hatte, doch die Wasserversorgung stand für die Eröffnung nicht rechtzeitig zur Verfügung. Ursprünglich hatte man vermutlich unterirdische Aquädukte geplant, um das Wasser ins Amphitheater zu leiten, wo sie dann in die riesigen Abflussleitungen unter den vier Tunneln einmünden sollten. Da die Baumeister vielleicht in Zeitdruck geraten waren, könnten sie auf eine Notlösung gekommen sein und provisorische Holzrohre verlegt haben, um das Wasser von höher gelegenen Quellen herzuleiten. Diese wären an der Stelle, wo sie aus dem Untergeschoss austraten, an die Hauptabflussrohre angeschlossen gewesen, was den Rückfluss an Abwasser minimiert hätte. Das kurze Stück unter dem Bauwerk selbst hätte in der Nacht vor der Veranstaltung freigeräumt werden können. Man muss aber betonen, dass dies nicht mehr möglich war, nachdem das Abflusssystem erst einmal stand. Zwar gibt es keinen direkten Beweis, der diese Theorie stützt, aber eine Fülle von Beweisen dafür, dass das Kanalisationssystem zur Zeit der Eröffnung des Colosseums noch nicht fertig war. Die nach Süden und Westen abgehenden Leitungen wurden beide in der Zeit Domitians umgestaltet; davor war die Röhre aus Backstein mit Anschluss an die westliche Hauptachse noch nicht einmal gebaut, und es gibt Zeichen von Umbauten innerhalb der Leitung selbst, die eine Änderung der Funktion erkennen lassen. Man weiß, dass Domitian einige Zeit nach Titus' Tod das gesamte Naumachienprojekt fallen ließ. Der von ihm vorgenommene Umbau einschließlich der Reparatur des Untergeschosses entspricht praktisch dem heutigen Zustand. (Einzelheiten zu dieser Hypothese finden sich in Anhang I.)
Während der Wasserschauspiele waren die Aufzüge in den Gewölbenischen entlang der Umfassungsmauer wohl hinter den Gittern hochgezogen, sodass kleine Boote darunter unbemerkt versteckt werden und dann plötzlich hervorschießen konnten, um das Publikum zu überraschen. In die Rückwand jeder dieser Gewölbenischen war ein knapp 50 cm breiter Schacht eingelassen. Er hatte in halber Höhe der Mauer einen Auslass. In diesen Schächten könnte sich anfangs ein Gegengewicht für den Aufzug befunden haben. Später wurden sie als Regenabfluss genutzt. Nach heutiger Theorie waren es diese Schächte, mit deren Hilfe die Arena geflutet wurde, aber sie waren zweifellos niemals für diesen Zweck geplant.

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