Sueton: "Nero"

Studienausgabe


"Ist denn der Tod ein so großes Unglück?"

Der römische Biograf und Kulturhistoriker Sueton (Gaius Suetonius Tranquillus; etwa 70-130 n. Chr.) stellt in seinen fast vollständig überlieferten Lebensbeschreibungen ("De vita Caesarum") von insgesamt einem Dutzend Kaisern (von Caesar bis Domitian) Lucius Domitius Ahenobarbus ("Rotbart") Nero als einen Menschen voller Untugenden und Grausamkeit dar, als einen Mann, der ohne je Leistungen erbracht zu haben, Ehren annimmt und sich immer stärker in Richtung Caligula entwickelt.

Nero ist ein begnadeter Selbstdarsteller, der gerne als Sänger auftritt und sich nicht einmal von einem Erdbeben dabei unterbrechen lässt. Im Gegenteil, Nero nutzt jede nur erdenkliche Gelegenheit, Proben seines musikalischen und theatralischen Könnens zu geben und vor allem Beifall zu ernten. Seine Leistungen sind dabei minderwertig, die Veranstaltungen weit entfernt von jeglichem Kunstgenuss, und doch erhält er von den untertänigen Römern jene Aufmerksamkeit, die er verlangt. Nero belohnt unterwürfiges Verhalten großzügig. Selbstzweifel scheinen für ihn, der sich immer stärker in Richtung Diktator entwickelt, nicht vorhanden zu sein.

Sein arglistiger und grausamer Charakter tritt zusehends deutlicher in den Vordergrund, was gleichbedeutend ist mit einer unglaublichen Grausamkeit gegenüber der römischen Führungsschicht und mit immer brutaleren Morden. Freundschaften oder Feindschaften hängen eng mit dem Nero gewährten Applaus zusammen. Das Unglück und die Verzweiflung seiner Untertanen nimmt größere Dimensionen an.
Im Grunde genommen ist Nero ein grausamer Feigling, der sich auf Kosten des römischen Volkes auslebt.

Als er einen Feldzug vorbereitet, gilt seine Hauptsorge der Auswahl der Transportmittel, um alles, was für die Schauspielerei nötig ist, zu transportieren und seinen Mätressen genügend Platz zu bieten. Das Wohl seiner Krieger scheint ihn keine Sekunde lang zu interessieren. Das Schicksal hat ihm die Herrschaft verliehen und alle Versuche, ihn vom Thron zu stoßen, scheitern kläglich.
Er befördert Feinde und Verwandte ins Jenseits und treibt seinen Lehrer Seneca in den Selbstmord. Niemand kann ohne Weiteres diesem Kaiser entkommen, nicht einmal er selbst. Denn letztendlich kann einem derartig schillernden Leben nur ein grandios inszenierter Abgang folgen.
Sueton stellt die Untugenden Neros in den Vordergrund und verliert kein Wort über positive Folgen vieler Maßnahmen dieses Kaisers.

Wie bei allen seinen Kaiserviten hält sich Sueton, der unter Hadrian bis etwa 121 n. Chr. den Posten eines Kabinettssekretärs und Kanzleichefs bekleidete, an eine starre Strukturierung mit chronologischem Rahmen, wobei Klatsch und Anekdoten über den Kaiser nicht fehlen und anzumerken ist, dass es sich bei Neros Biografie um die literarisch gelungenste der zwölf handelt. Der Aufbau der einzelnen Kapitel wirkt wie eine nüchterne Aneinanderreihung von Stichwörtern, die letztendlich das Ziel verfolgen, ein stimmiges Bild der schillernden Persönlichkeit zu entwerfen.
Suetons Hauptwerk sind die in Fragmenten erhaltenen Lebensbeschreibungen von Literaten, "De viris illustribus".

(Margarete Wais; 09/2004)


Sueton: "Nero"
(Lateinisch-deutsch)
Herausgegeben und übersetzt von Hans Martinet.
Artemis & Winkler, 2004. 152 Seiten.
ISBN 3-7608-1381-X.
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