François Cheng: "Chinesische Poesie"

Kalligrafien von Fabienne Verdier


In der Reihe "Perlen der Weisheit" erschienen, präsentiert der Band "Chinesische Poesie" Zeilen und Zeichen. Erstere, im Vorwort als "Kernstück eines literarischen Erbes" bezeichnet, aus dem "goldenen Zeitalter" der chinesischen Literatur (618-907), Letztere aus der Hand der zeitgenössischen Künstlerin Fabienne Verdier.

Jedem der zwei Dutzend Gedichte ist jeweils eine Kalligrafie zur Seite gestellt, die einzelne Begriffe aus dem Text abbildet. Die mit schwungvollen Pinselstrichen ausgeführten Schriftzeichen von Fabienne Verdier, die die Kunst der Kalligrafie, im Speziellen den Schriftstil "verrücktes Gras", bei einem Meister in China erlernte, prangen prachtvoll leuchtend neben Gedichten von Li Bo, Wang Wei, Du Fu, Li Yü, Bo Juyi, Jia Dao, Meng Haoran, Qian Qi, Du Mu, Li Shangyin und Wei Yingwu.
Mag sein, dass die überwiegend dominant-rechtsseitig abgebildeten Illustrationen einiges an Aufmerksamkeit von den verhalten gestalteten Texten abziehen.
Auch vermag die erfolgte Übersetzung aus dem Französischen nicht des Rezensenten Begeisterung hervor zu rufen; die stiefkindliche Behandlung, die poetische Texte bedauerlicherweise erfahren, versperrt einen direkteren Blick auf das literarische Erbe nicht nur Chinas. (Das Warten auf anspruchsvolle Direkt-Übersetzungen scheint prolongiert.)

Die Gedichte beziehen ihre Motive gleichermaßen aus dem spirituellen Einswerden (bzw. -sein) mit der beseelten Natur, der Lust wie dem Leid des menschlich-irdischen Daseins.

Das Vorwort von François Cheng informiert knapp über die ideologischen sowie religiösen Verortungen der einzelnen Autoren in der Zeit der Tang-Dynastie; im Nachwort schildert Fabienne Verdier ihren Werdegang und ihre Begeisterung für den Moment der Inspiration.

Zumindest an dieser Stelle soll das Schlusswort einem Poeten gehören:

NACHTGEDANKEN

Vor meinem Bett das Licht des Mondes,
so weiß, als decke Reif den Boden.
Ich hebe das Haupt und betrachte den Mond;
ich senke den Blick und gedenke der Heimat.

Li Bo

(S. Gabriel; 10/2002)


François Cheng: "Chinesische Poesie"
Übersetzung aus dem Französischen von Renate Stolze.
Durchgehend vierfarbig illustriert mit Kalligrafien von Fabienne Verdier.
O. W. Barth, 2002. 64 Seiten.
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