Hermann Mittelmann: "Illustrierter Führer durch die Bukowina"

Nachdruck der Ausgabe von 1907


"Dieser Führer ist mit 100 Illustrationen der schönsten Ansichten des Landes versehen, enthält außerdem die neueste Verkehrskarte der Bukowina und den neusten Plan der Stadt Czernowitz. Interessante und wissenswerte Mitteilungen für Touristen, Ausflüge, Wegmarkierungen, Touren, Fiakertaxen, Hotels und Unterkunftsstellen, sowie eine Reihe anderer Notizen", schrieb die "Czernowitzer Allgemeine Zeitung" im Juni 1907.

Die Bukowina ist eine geschichtsträchtige, waldreiche Berglandschaft, die sich über das Vorland der Karpaten sowie Teile der Karpaten selbst erstreckt und deren Bezeichnung aus dem Ukrainischen stammt.

Eine Zeitreise in mancherlei Hinsicht lässt sich anhand dieses Buches in eine Region, deren gemeinhin bekannteste Stadt Czernowitz ist, die einst Schriftstellergrößen wie Paul Celan oder Rose Ausländer beheimatete, unternehmen.
Sie führt den Leser zurück in eine mehrfach von geopolitischen Flutwellen überrollte "Enklave" besonderer Art, welche bis zum Zusammenbruch der Habsburger-Monarchie von einer multiethnischen Gemeinschaft bevölkert wurde; die historische Bukowina nämlich, deren Untergang als ein "Viersprachenland" (Ukrainisch, Rumänisch, Deutsch, Jiddisch) im Zuge jener Ereignisse, die zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges führten, besiegelt wurde.

Der "Illustrierte Führer durch die Bukowina", dankenswerter Weise originalgetreu wiederaufgelegt, beinhaltet - neben weiteren bemerkenswerten Details - eine doppelseitig bedruckte Karte, deren eine Seite ein Stadtplan von Czernowitz ziert, während die Kehrseite eine Verkehrskarte des Herzogtumes Bukowina zeigt , aus welcher die Städte, Märkte und Dörfer, wie auch die "Communicationen" (Eisenbahnen, Industriebahnen, Eisenbahn-Stationen, Reichsstraßen für Automobil passierbar, Bezirks- und sonstige Straßen mit Unterbau, Fahrwege ohne Unterbau, Reit- und Karrenwege im Gebirge, bedeutende Brücken) und andere der Infrastruktur mehr oder weniger dienliche Errungenschaften des Fortschrittes (Post- und Telegrafenämter, Eisenbahnstationen, für den allgemeinen Telegrafenverkehr ermächtigt, Telefonstellen, Dampf Brettsägen, Flössungen, Triften mit Klausenbetrieb, Waldbahnen ) ersichtlich sind.

Offenbar waren die Überlegungen der damaligen Reisenden, was Verköstigung und Hygiene anbelangte, jenen der Touristen unserer Tage durchaus vergleichbar, wie nachstehende Zitate zeigen:
"Die sanitären Verhältnisse der Stadt sind infolge der Wasserleitung (Tiefquellenleitung) und Kanalisation, sehr gut, Epidemien sind sehr selten und nehmen nie eine bedeutende Dimension an. An Sanitäts- und Humanitätsanstalten befinden sich in Czernowitz: das Allgemeine Landeskrankenhaus, die Landesirrenanstalt, die Gebär- und Findelanstalt, Militärspitäler und ein Siechenhaus." Über Sommerfrischen: "(...) In allen diesen Orten sind wohl Unterkünfte in beschränkter Zahl zu haben. Wohl ist die Zufuhr von Fleisch, Gemüse und Viktualien nicht schwierig, für die Zubereitung der Speisen muß man zumeist selbst Sorge tragen, daher Köchin und sonstige Dienerschaft mitnehmen. Auch empfiehlt es sich, eigenes Bettzeug mitzubringen."

As heutiger Sicht muten die antiquierten Reklameanzeigen der Czernowitzer Kaufleute ein wenig verschroben an, die beispielsweise mit Formulierungen wie "hochprima Kernseifen", "Provinzaufträge werden sofort ausgeführt", "zu gleichfalls mäßigen Preisen" oder "streng reelle Bedienung" warben.
Die ehrlichen Einschübe des Autors unterscheiden diesen Reiseführer so wohltuend von heutigen Marktschreier-Prospekten, beispielsweise "Einspänner und Zweispänner; erstere sehr minderwertig und dem besseren Publikum nicht anempfehlenswert."

Selbstverständlich werden, wie es sich für einen illustrierten Reiseführer geziemt, die prunkvollen Bauwerke und sonstigen Schönheiten (Sehenswürdigkeiten) der Region mit allergrößter Sorgfalt gleichermaßen liebevoll wie ausführlich dargestellt und gewürdigt, ebenso enthält er aufschlussreiche Angaben das damalige Preisniveau, Nächtigungs- und Verköstigungmöglichkeiten, Besichtigungsrouten (Spaziergänge) und Brauchtum betreffend (Bemerkungen über Land und Leute, Eisenbahnen, geologischer Aufbau und Bodenplastik, Einkehrhäuser, Jagdgelegenheiten, Kirchen, Klima, Sommerfrischen, praktische Notizen für Fremde, Pflanzenwelt, Tierreich, Kurorte, Sommerfrischen und Ausflugsorte) mit den dazu gehörigen Abbildungen historischer Ansichten.

Bleibt zu hoffen, dass sich die Reiselustigen des 21. Jahrhunderts mit diesem Büchlein im Gepäck aufmachen, Altes und Neuhinzugekommenes (wieder) zu entdecken!

(Felix)


Hermann Mittelmann: "Illustrierter Führer durch die Bukowina"
Czernowitz 1907 / 1908.
Neuauflage: Mandelbaum Verlag, 2008. 149 Seiten.
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Noch ein Buchtipp:

Edith Silbermann: "Czernowitz - Stadt der Dichter. Geschichte einer jüdischen Familie aus der Bukowina"

Herausgegeben von Amy-Diana Colin.
Bericht einer ungewöhnlichen Zeitzeugin: Edith Silbermann, geborene Horowitz, aus Czernowitz (Bukowina), Schauspielerin, Übersetzerin, Germanistin, Publizistin, Mittlerin zwischen deutschen und jüdischen Kulturtraditionen, erzählt ihre bewegte Familiengeschichte und ihre Jugenderlebnisse in Czernowitz vor und während des Zweiten Weltkrieges; ein Kapitel des Buches ist dem Lyriker Paul Antschel (Celan) gewidmet, mit dem sie in Czernowitz eng befreundet und der ihre erste Liebe war.
Edith Silbermann zeichnet ein plastisches Bild einer versunkenen jüdischen Kulturwelt, die Paul Celan, Rose Ausländer, Edgar Hilsenrath und viele andere deutschsprachige jüdische, jiddische, rumänische und ukrainische Autoren hervorgebracht hatte. (Wilhelm Fink Verlag)
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