Dan Burstein: "Die geheime Bruderschaft"

Dan Browns "Illuminati" entschlüsselt


Sie haben nicht nur dieselben Initialen, es interessieren sie auch dieselben Geheimnisse und Ungereimtheiten: Romanautor Dan Brown und sein Analysator Dan Burstein. Der Meister und sein Schatten? Für den mehrfach ausgezeichneten Journalisten und Fachbuchschreiber Burstein kein Problem, schließlich bezeichnet er sich selbst als "Dan-Brown-Fan". Als solcher über jeden Neidverdacht erhaben, deckt Burstein all das auf, was Brown an Spekulationen, Anachronismen oder Überzeichnungen sorgsam zuzudecken trachtet. So geschehen bei "Sakrileg", dem "Die Wahrheit über den Da-Vinci-Code" die Stirn bietet, respektive "Illuminati", auf das mit "Die geheime Bruderschaft" gekontert wird. Da Browns Romane "den Zwängen des Genres gehorchend nur Denkanstöße geben" können, liefern Bursteins Fachbücher ergänzend "profundes Hintergrundwissen". Um diesem selbstgesteckten kritisch-komplementären Anspruch gerecht zu werden, tritt Burstein diskret in den Hintergrund, fungiert lediglich als Herausgeber. Das Fachspezifische überlässt er ein paar Dutzend auserlesenen Experten. In Interview- oder Essay-Form setzen diese sich mit Dan Browns Verschwörungskonstrukten auseinander.

Den philosophischen Mittelpunkt von "Illuminati" bildet die Dichotomie "Kathedrale des Wissens" (Kernforschungszentrum CERN) versus "Kathedrale des Glaubens" (Vatikan). Ein vermeintlich existenter Geheimbund wissenschaftlich "Erleuchteter" versucht den in ihren Augen reaktionär-rückständigen Vatikan ein für allemal von der Landkarte zu fegen. Ob ins Fegefeuer oder einfach in Quanten zerlegt, sei dahingestellt. Als Sprengstoff dient die ultimative Waffe: Antimaterie, hergestellt im bereits erwähnten Genfer CERN. Keine Chance für die Hellebarden der Schweizer Garde!

Burstein schürft tiefer als Brown, wenn er die Frage aufwirft: "Stehen wissenschaftliche Erkenntnis und kirchliches Dogma (wirklich) in unversöhnlichem Gegensatz zueinander?" Gibt es sie überhaupt, die eine "wahre" Wahrheit? Und wenn ja, wer sind die Guten, wer die Bösen? Ist die Vorstellung einer "reinen" Wissenschaft ein ebenso mystisches Konstrukt wie "unbefleckte" Empfängnis? Sind Physiker und Kleriker artverwandt? Vertreter beider Professionen kommen in "Die geheime Bruderschaft" zu Wort, die Antwort darauf muss sich allerdings der Leser selbst geben.

Im ersten Großkapitel, "Der Vatikan von innen", steht viel Wissenswertes über den Kirchenstaat von damals und jetzt. Wie läuft eine Papstwahl tatsächlich ab? Liegt Petri Grab tatsächlich unter dem Petersdom? Was hat es mit dem von Brown beschriebenen Geheimgang zur Engelsburg, dem Passetto, auf sich? Welche Aufgaben unterliegen dem vom Roman bekannten Amt des Camerlengo in der Realität? Wie geheim ist das Geheimarchiv des Vatikans heute noch?

Großkapitel zwei, "Galilei: der fromme Ketzer", geht in mehreren Facetten auf die Person von Galileo Galilei (1564-1642) ein, wobei der Wissenschaftshistoriker und Physiker Stephen J. Harris über Dan Browns Konfliktthese Wissenschaft gegen Religion klug befindet: Ihr größtes Problem "ist die Unterstellung, es gebe eine monolithische Religion und eine monolithische Naturwissenschaft". Übergänge und Überschneidungen gilt es zu erkunden. Gerade am Beispiel Galileis wird klar, dass er erst Jahrhunderte später zum Märtyrer der Wissenschaft hochstilisiert worden ist. Zu Lebzeiten soll der große Forscher aus Pisa zwar verbal keiner akademischen Konfrontation aus dem Weg gegangen sein, der Religion schwor er allerdings nie ab. Daher ist es nicht nur geschichtlich unwahrscheinlich, dass Galilei mitten im Barock Großmeister eines radikalen Aufklärerbundes gewesen sein könnte, wie Brown es schildert. Der einzigen Gruppe, der Galilei nachweislich angehörte, war die "Akademie der Luchse". Dieser elitäre Zirkel gelehrter Männer empfand sich ohne Zweifel als besonders scharfsinnig, antikirchlich wirkte er aber nie. Fazit: Galilei als kämpferischen Illuminatus zu vereinnahmen, käme wohl posthumer Kosmetik gleich: Harris zitiert dazu Voltaire: "Geschichte ist ein Streich, den wir den Toten spielen."

Im dritten Großabschnitt, "Von Verschwörern und Verschwörungen", ist es dann soweit: Erleuchtete werden durchleuchtet, und zwar primär die historisch belegten bayerischen Illuminaten, eine geheime Bruderschaft innerhalb der Freimaurerei, gegründet in Ingolstadt, am 1. Mai 1776 vom abtrünnigen katholischen Professor Adam Weisshaupt. Assoziationen gefällig? 1. Mai, das ist doch auch der Tag der Kommunistischen Internationale. 1776, ist das nicht das Entstehungsjahr der Vereinigten Staaten von Amerika? Viele Gründungsväter der USA waren doch Freimaurer, oder? Alles richtig. Besonders kühne Geister jonglieren mit der Hypothese, George Washington wäre gar nicht der Nämliche gewesen, sondern Adam Weisshaupt inkognito. Obwohl die Illuminaten 1784 vom bayerischen König verboten wurden, halten sich hartnäckige Gerüchte, sie würden bis heute im Untergrund nach der Weltherrschaft gieren. Ihre Symbole prangen von der Rückseite des Ein-Dollar-Scheins: die mit dem allsehenden Auge gekrönte Pyramide samt Siegelspruch "Novus Ordo Seclorum" (oft wiedergegeben als "Neue Weltordnung"). Vor allem in rechtsgerichteten oder christlich-fundamentalistischen Kreisen wird die Angst vor den gottlosen, erleuchteten Dunkelmännern konsequent geschürt. Dazu der amerikanische Journalist George Johnson: "Der Begriff 'Illuminati' ist aber so vage und wir wissen so wenig über die historische Vereinigung, dass man sie mit nahezu jeder Gruppierung in Zusammenhang bringen könnte, ohne befürchten zu müssen, auf Widerspruch oder Kritik zu stoßen."

Einfach köstlich: das Interview mit dem provokativen Literaten Robert Anton Wilson, der mit seiner "Illuminatus!"-Trilogie die Verschwörungsparanoia in der Populärkultur verankerte. Wilson, Förderer der "maybe logic", nach der nichts "falsch", sondern nur "unterschiedlich logisch" ist, spielt seine Rolle als zwielichtiger alter Mann virtuos. Ist er gar selbst hochrangiger Illuminatus? US-Fernsehprediger meinen es. Er selbst äußert sich so: "Ich vermute sehr viel, aber ich glaube nichts." Kryptisch gib er dem Leser mit: "Mystizismus und Rationalismus befinden sich in ihren höchsten Stufen überhaupt nicht im Konflikt miteinander." Quod erat demonstrandum!

Eine Vereinigung, die möglicherweise tatsächlich auf ein Ex-Mitglied der bayerischen Illuminaten zurückgeht, ist "Skull & Bones", offiziell als "Russell Trust Association" eingetragen und 1833 an der Universität Yale gegründet. Aus dieser Kaderschmiede stammten mit Howard Taft, George Bush Vater und Sohn bisher immerhin drei US-Präsidenten. Senator John Kerry zählt neben etlichen anderen Senatoren, Anwälten und Wirtschaftsmagnaten ebenso zur Bruderschaft unter den gekreuzten Beinen und dem Totenkopf. "Skulls & Bones": Wenn schon keine Illuminaten, dann vielleicht ein unfreiwilliges Symbol für kapitalistische Piraterie?

Dem "Alten vom Berg" und seinen Getreuen folgt Esoterik-Forscher James Wasserman. Die Spur führt ins mittelalterliche Persien, wo der Prediger Hassan-i-Sabbah (ca. 1055-1124) auf seiner Bergfeste Alamut schiitische Kämpfer um sich scharte. Angeblich wurde diesen Männern durch Haschischverabreichung ein Paradies mit schönen Mädchen vorgegaukelt. Es winkte als Belohnung all jenen, die ihren Auftrag erfüllten und die Feinde des wahren Islam eliminierten. Hassan schleuste seine Meuchler über Jahre planend ein (er gilt als Erfinder der "Schläfer"), ehe ihr Dolch zustieß. Marco Polo nannte diese Gotteskrieger Assassini (= Haschischesser). 1256 wurden ihre Festungen durch die Mongolen überrannt, der Geheimbund verlosch. Dan Browns Roman-Assassine fungiert als Auftragsmörder, der den christlichen Vatikan hasst. Die echten Assassinen waren da weit pragmatischer. Geboten es die politischen Umstände, machten sie mit den kreuzfahrenden Tempelrittern gemeinsame Sache, gegen sunnitische Moslems wohlgemerkt.

Großkapitel vier, "'Gott ist tot.' Oder?", pendelt zwischen der Physik und ihrer geheimnisumflorten Schwester mit der Präfix Meta. Vom "Gottes-Gen", von Genesis und Evolution ist die Rede, wie auch von einem nach eigener Angabe "tiefreligiösen Ungläubigen": Albert Einstein. Physiknobelpreisträger Leon Lederman, der mit seinem Buch "The God Particle" Argumente für die Entstehung des Universums ohne "göttlichen Uhrmacher" sammelte, liefert dito einen intellektuellen Obolus ab. Mit Paul Davies, Kosmologe an der australischen Macquarie Universität; Neil deGrasse Tyson, Direktor des "Hayden Planetariums" in der Stadt New York, oder Richard Dawkins, Evolutionsbiologe in Oxford, gelang es Dan Burstein, weitere Fachgrößen unserer Zeit für "Die geheime Bruderschaft" zu gewinnen. Dawkins, gefürchtet-wortgewaltiger Atheist, äußert sich diesmal ungewohnt unscharf: "Ich glaube, dass es im Mittelpunkt des Universums etwas zutiefst Mysteriöses gibt. Gegenwärtig verstehen wir vieles noch nicht. Fürs erste ist das alles noch zutiefst mysteriös, aber auch das ist auf eine gewisse Weise wunderbar." Aus seinem Mund klingt alleine schon die ansonst harmlose Formulierung "Ich glaube" bizarr. Fast hat es den Anschein, als würde "Illuminati" selbst hartnäckigste Skeptiker in metaphysisches Neuland locken. Ein geschickter Kniff Bursteins?

Im fünften Teil des Buches, "Robert Langdons Rom: Kunst und Architektur", analysieren Kunstexperten die in "Illuminati" verrätselten Werke von Gianlorenzo Bernini (1598-1680). Dieser grandiose Architekt und Bildhauer soll, wie Brown schreibt, ein weiterer "Erleuchteter" gewesen sein, der gewissermaßen vor den Augen der Päpste Jahrhunderte überdauernde revolutionäre Geheimnisse in Stein chiffrierte. Bei Brown kommt der fiktive Harvard-Professor Robert Langdon dieser Illuminatenarchitektur Schritt für Schritt auf die Schliche, bei Burstein hingegen schenken reale Kunsthistoriker Langdons Annahmen Seite nach Seite weniger Glauben. Randtipp des Rezensenten: Fachlich Interessierte erhalten über das Wirken und Schaffen Berninis bei Jake Morrissey, "Göttliches Design", bestens Auskunft.

Die Kapitel sechs und sieben sind eine Ansammlung weiterer Analysen über Einzelaspekte aus "Illuminati". Gerichtsmediziner, Techniker oder Grammatiker liefern ihren Beitrag ab. Auch auf die grafisch genialen Ambigramme wird eingegangen. Diese so genannten rotationssymmetrischen Symbole in Palindromform sind vielleicht das unverkennbare Charakteristikum von "Illuminati" schlechthin. Ihr Schöpfer: ein gewisser John Langdon. Welch mysteriöse Namensgleichheit zum Romanhelden! Gibt es "Die geheime Bruderschaft" etwa doch? Ja, zumindest in Buchform - und das ist gut so.

(lostlobo; 08/2005)


Dan Burstein: "Die geheime Bruderschaft"
(Originaltitel "Secrets of Angels & Demons")
Deutsch von Michael Müller, Andrea Ott und Sebastian Vogel.
Goldmann, 2005. 606 Seiten.
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Noch ein Buch des Autors:

"Die Wahrheit über den Da-Vinci-Code. Das Sakrileg entschlüsselt"

Alles beginnt mit einem Mord im Louvre. Das Opfer war Mitglied einer geheimen Gesellschaft, die ein Jahrtausende altes Geheimnis hütet. Die Enkelin des Ermordeten versucht, Licht ins Dunkel zu bringen und wird dabei immer tiefer in das Mysterium des Codes hineingezogen ...
Mit seinem Verkaufsschlager "Sakrileg" ("The Da Vinci Code" im Original) hat Dan Brown die Fantasie eines Millionenpublikums beflügelt. Die provozierende Geschichte und der ausführlich geschilderte historische Hintergrund führten viele Leser zu der Frage nach den Quellen, aus denen der Autor schöpft. Was ist hier Fakt, und was Fiktion?
War Jesus tatsächlich mit Maria Magdalena verheiratet? Wurde sie - nicht Petrus - von ihm beauftragt, seine Lehre zu verkünden? Hat sie ihr eigenes Evangelium verfasst? Hatten die beiden ein gemeinsames Kind? Leben ihre Nachfahren noch heute unter uns? Waren einige Genies aus Kunst und Wissenschaft, wie Leonardo da Vinci und Isaac Newton, wirklich Mitglieder von Geheimgesellschaften, die über stichhaltige Informationen zu diesem historischen Tatbestand verfügten? Und hat Leonardo sein geheimes Wissen etwa in dem berühmten Gemälde "Abendmahl" und anderen Werken verschlüsselt angedeutet? (Goldmann)
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