T.C. Boyle: "Ein Freund der Erde"


T. C. Boyle hat mit seinem Buch "Ein Freund der Erde" ein Meisterwerk geschaffen, ein Buch, so mitreißend und berührend, so komisch und traurig zugleich, dass man beim Lesen wünscht, es möge niemals enden!

Ty Tierwater, ein ehemaliger Ökoterrorist lebt im Jahr 2025 auf einer Erde, deren Biosphäre zerstört ist, die Hälfte des Jahres prasselt saurer Regen hernieder, die Häuser schimmeln, bösartige Epidemien grassieren; die andere Hälfte des Jahres herrschen wüstenartige Bedingungen mit Temperaturen um die 50 Grad und einem ständigen Sturm.
Elf Milliarden Menschen leben auf dieser geschundenen, von der Menschheit und deren unaufhaltbarem Glauben an den Fortschritt zerstörten Erde. Der Treibhauseffekt hat die Erdatmosphäre zerstört, die Wälder sind so gut wie gänzlich abgeholzt, fast alle Säugetierarten sind ausgestorben.

Alles ist genauso eingetroffen, wie es Ty Tierwater und seine Kampfgefährten von "Earth Forever!" jahrzehntelang prophezeit hatten und wogegen sie verzweifelt, radikal und erfolglos angekämpft hatten. Niemand hat auf sie gehört, die Interessen der Wirtschaft, insbesondere der Holzwirtschaft in den USA, waren allemal stärker!
Und nun ist alles genauso gekommen, wie sie immer befürchtet haben - wie wir es auch heute in pessimistischen Momenten befürchten, wenn wir sehen, mit welcher Ignoranz vor allem die us-amerikanische Regierung auf Bedenken hinsichtlich der Entwicklung unserer Atmosphäre reagiert - keine Bäume mehr, keine Tiere mehr, nur noch Massen von Menschen unter fast unerträglichen Klimabedingungen, und dennoch leben sie, leiden sie, lieben sie weiter!

Ty hat sein Auskommen gefunden, indem er für einen exzentrischen, superreichen Popstar einen Privatzoo betreut, mit lauter Tieren, die "so hässlich sind, dass sie nur von ihrer eigenen Mutter geliebt werden", und fristet sein Dasein voller Sehnsucht nach "damals", als es noch die riesigen Redwoodwälder gab und seine Tochter Sierra diese letzten Riesen retten wollte und schließlich mit ihrem Leben dafür bezahlte.
Er hat eine Art resignierten Frieden gefunden, bis eines Tages Andrea auftaucht, seine alte Kampfgefährtin von "Earth Forever!", mit der alles begann und die schließlich seine zweite Frau wurde, die starke, entschlossene, mit 67 Jahren noch attraktive Andrea, die ihn aus seiner kleinen Zufriedenheit reißt, seiner Sehnsucht eine neue Richtung gibt und ihn zwingt, sich systematisch an Sierra zu erinnern.

Abwechselnd wird nun erzählt, wie die Geschichte im Jahr 2025 vorangeht und wie damals im Jahr 1989 alles begann, als er mit Andrea und der damals zwölfjährigen Sierra seine erste Aktion zur Rettung der Wälder unternahm und diese katastrophal endete ...

Das alles ist so wunderbar erzählt in einer Sprache, die zugleich wild und zärtlich ist, in Metaphern, die so originell sind, dass man laut auflachen muss, obwohl einem zum Weinen zumute ist, mit einer Kraft und Vitalität, wie man sie nur ganz selten spürt!
T. C. Boyle vollbringt das Kunststück, das Ende der Zivilisation zu beschreiben, ohne düster zu sein, die Folgen unseres rücksichtslosen Umgangs mit der Erde zu beschreiben, ohne moralisierend zu wirken, seine Sprache kann ganz derb sein und dann wieder ganz zart, niemals zynisch und niemals kitschig!
Eine Geschichte, zum Sterben traurig und doch so voller Leben, dass man mit pochendem Herzen und einem Knödel im Hals immer weiterliest und liest und liest - bis zum Ende, das viel zu früh kommt!

(HS)


T.C. Boyle: "Ein Freund der Erde"
Übersetzt von Werner Richter.
dtv, 2003. 368 Seiten.
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T. Coraghessan Boyle, geboren 1948 in Peekskill, New York, unterrichtet an der University of Southern California in Los Angeles. Für seinen Roman "World's End" erhielt er 1987 den "PEN/Faulkner-Preis". Als Enfant terrible der us-amerikanischen Gegenwartskultur wurde T. C. Boyle zur Literaturgröße seiner Generation.

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