Andreas Eschbach: "Eine Billion Dollar"


Ein Autorenworkshop in Berlin Anfang Oktober 2000 begann mit einem gelungenen Vortrag von Andreas Eschbach. Ich wagte es, dem Erfolgsautor zwei brisante Feststellungen zu demonstrieren: Zum Einen, dass die Figuren des "Jesus-Video" zu schattenrissartig gezeichnet seien; zum Anderen, dass mir das Buch insgesamt zu langatmig erschiene. Ich erwartete mir alles Mögliche, nur nicht die Antworten des ehemaligen Studenten der Luft- und Raumfahrttechnik. Er meinte nämlich mit einem Lächeln auf den Lippen, dass ich wohl recht habe. Er werde sich aber bemühen, es beim nächsten Roman besser zu machen. Die Spannungsmomente im "Jesus-Video" seien tatsächlich manchmal durch Nebenhandlungen abgerissen, die für den Kontext der Handlung absolut unbedeutend seien. Den nächsten Roman von Andreas Eschbach, "Quest", las ich nicht, da ich kein Fan typischer Science-Fiction-Stoffe bin. Hellhörig wurde ich jedoch, als ich in Erfahrung brachte, dass der in Ulm geborene ehemals erfolgreiche Softwareentwickler einen Roman geschrieben habe, der sich mit einem unfassbaren Erbe beschäftige. Ich kaufte den Roman, las ihn ziemlich rasch, war und bin immer noch begeistert.

"Eine Billion Dollar" ist der lapidare Titel des Werkes. Und vorweg kann ich gleich schreiben, dass sich Eschbach bei diesem Roman sehr viel Mühe gegeben hat, um die Protagonisten, insbesondere die Hauptfigur John Salvatore Fontanelli, möglichst glaubwürdig zu beschreiben. John ist ein einfacher Pizzaausfahrer, der sich irgendwie über Wasser hält. Eines Tages wird er mit einem zuvor noch nie da gewesenen Erbe konfrontiert. John erbt nämlich nicht direkt, weil irgendein Erbonkel oder sonst wer verstorben ist, sondern wegen eines merkwürdigen Testamentes seines Vorfahren, der vor 500 Jahren ein bisschen Geld zur Seite gelegt hat, und dies seinem letzten Willen zufolge über diesen Zeitraum hinaus vorausschauend verzinsen ließ.
Somit gelangt John aufgrund der Zinseszinsenrechnung in den Besitz von einer Billion Dollar, wobei dies für einen US-Amerikaner eine Trillion Dollar darstellt. Freilich dauert es ein Weilchen, bis er überhaupt kapiert, was dies zu bedeuten hat. Er ist nämlich von einem Tag auf den anderen der reichste Mann der Welt.
Mehr noch: Er besitzt mehr als die nächsten hundert reichsten Menschen der Welt zusammen, und dies soll laut seinem Vorfahren Giacomo Fontanelli den Menschen die verlorene Zukunft zurückgeben. Diese Prophezeiung schwirrt John über viele, viele Seiten hinweg im Kopf herum.
Da er selbst keine Ahnung von wirtschaftlichen Zusammenhängen hat, lässt er sich von einem Herrn namens Mc Caine beraten, der als Geschäftsführer der "Fontanelli Foundation" läppische 100 Millionen Dollar pro Jahr verdienen wird. John kommt in Kontakt mit königlichen Hoheiten und Politikern aller Herren Länder. Er lässt sich von seinem Geschäftsführer rhetorisch schulen, und bald gelingt es ihm, mit ein wenig Bauchweh zwar, aber doch, mit mehr oder weniger verdienten Mitgliedern aus Wirtschaft, Politik und Industrie Verhandlungen zu führen.
Mc Caine führt das Unternehmen "Fontanelli" so weit, dass es überall auf der Welt präsent ist. Bald verfügt John über eine Privatjacht, ein düster-monströses Herrschaftshaus, Leibwächter schwirren ständig um ihn herum, und er erkennt, dass Geld offensichtlich attraktiv macht. Nur einmal passiert es ihm, dass er diese Situation, in die er manövriert wurde, ausnutzt und eine angehende Staatsanwältin lüstern besteigt. Ihn plagen jedoch Gewissensbisse, da er in diesem Märchen offensichtlich nicht der Prinz sein will.

Es ist eine große Bürde, über ein derartiges Vermögen zu verfügen, das sich von Tag zu Tag weiter vermehrt. Er glaubt von Anfang an, dass dieses unfassbare Vermögen dem ausbeuterischen Kapitalismus der Welt die Flügel stutzen kann. Kapitalismus sollte also dem Kapitalismus die Flügel stutzen? Es dauert ein Weilchen, bis er erkennt, dass dies ein großer Trugschluss ist. Er wird in die Geheimnisse der Kybernetik eingeweiht. Inwieweit hängt was womit zusammen? Was passiert, wenn X auf Y Einfluss nimmt, und was kommt am Ende dabei heraus? Wer das Spiel "Ökolopoly" (erschienen bei Ravensburger) kennt, der hat vielleicht schon einmal versucht, die komplexen Zusammenhänge auf der Welt spielend zu erforschen. Die Auswirkungen, die Sanierung, Produktion, Umweltbelastung, Aufklärung, Lebensqualität, Vermehrungsrate, Bevölkerung und Politik aufeinander und auf sich selbst haben, können leicht nachvollzogen werden.
Von einem reichen Land ausgehend kann nicht viel schief gehen, außer dass die Wirtschaft ständig weiterwachsen muss, um die Lebensqualität zu erhöhen, und dies immer auf Kosten von Sanierung und Umweltbelastung geht, und daraus resultierend auch auf Bevölkerung und Politik ständigen Einfluss hat. Die bestimmenden wirtschaftlichen Kräfte auf dieser Welt sind so konzentriert, dass ein Entwicklungsland auf jeden Fall draufzahlt. Auch das macht das Spiel deutlich.
John erlebt die Wechselwirkungen an Ort und Stelle auf einer philippinischen Insel. Die Männer fischen mit Dynamit, weil sie glauben, solcherart mehr Geld zu verdienen, das ihnen hilft, ihr Überleben zu sichern. Tatsächlich zerstören sie dadurch Korallenriffe und verhindern ein gesundes Aufwachsen der Fische selbst. Dies wissen die Fischer nicht, da sie niemand darüber aufgeklärt hat. Das Dynamit bekommen sie von einem Mann, der ihnen auch Geld leiht und dafür Wucherzinsen verlangt. Er selbst rechnet nur selten damit, dass er dieses Geld auch zurückbekommt und muss deswegen seinerseits einen Kredit bei der Bank über Jahre aufnehmen, und dies mit einem Prozentsatz von 27.
Im Hintergrund agieren zwanzig Grundbesitzer von Wald auf der Insel, die Gesandte des Vatikans sind, und Menschen von der Insel nur dann im Wald billigen, wenn sie für sie arbeiten. Die Fischer hausen nämlich in sogenannten Pfahlbauten in Nähe des Ufers, da ihnen das Betreten der weitläufigen Waldflächen von den Grundverwaltern verwehrt wird. Schon daraus wird ersichtlich (und dieses Beispiel ist keine Fiktion, sondern der Realität entnommen!), wie sehr die Menschen in ein System verstrickt sind, das letztlich nur auf ihre Kosten erhalten werden kann

John wird bewusst, wie ausbeuterisch er selbst agieren muss, um seine Schäfchen im Trockenen zu halten. Das einfache Prinzip der wunderbaren Geldvermehrung lautet, dass ein Mensch, der viel Geld hat, mühelos noch viel mehr Geld verdienen kann. Ein Mensch, der nur wenig oder gar kein Geld zur Verfügung hat, kann nur mit viel Risiko ein bisschen Mehr an Geld "erwirtschaften" oder aber seine Situation höchstens verschlechtern. Die wahre Dynamik des Geldes ist die, dass nur die Reichen dazu in der Lage sind, dieses maximal zu verwerten. Arme Menschen oder Durchschnittsverdiener können sich den Platz an der Sonne woanders suchen.
Die multinationalen Konzerne verfügen über Macht, die viele Nationalstaaten bei Weitem überragt. Geld ist Macht, hört John immer wieder. Ja, so ist es wohl. Und Geld ist der einzig bestimmende Faktor auf dieser Welt. Alles, was passiert, lässt sich aus dem Kreislauf des Geldes rückschließen. Die Wirtschaft stellt sich auf dieses System ein, und die Banken verdienen daran ihr Geld, weil sie für das Wirtschaftswachstum als Hauptverwalter von Geld hauptverantwortlich sind. Tatsächlich muss die Wirtschaft wachsen, um etwa Steuerentlastungen für die betroffene Bevölkerung ankündigen zu können. Diese perverse Logik ist in direktem Zusammenhang mit allen Faktoren zu verstehen, von denen ein einzelner Mensch betroffen sein kann.
Eine einfache Wirtschaftstheorie fängt beim nicht spezialisierten Arbeiter an, der damit immerhin seine Existenz sichern, aber nicht damit rechnen kann, einen Höhenflug zu bestreiten. Der spezialisierte Arbeiter verdient mehr Geld, weil er gewisse Dinge tun mag, die der nicht spezialisierte Arbeiter ablehnt. Also etwa Bereitschaftsdienst, Wochenenddienst, Feiertagsdienst, Nachtdienst, Sonderdienst, Reisebereitschaft und bedingungslose Flexibilität. Er rentiert sich mehr für das Unternehmen, dem er unterstellt ist, und somit darf er sich über mehr Einkommen freuen, was oft später auf Kosten seiner Gesundheit, der Familie oder sonstiger wichtiger Dimensionen des Lebens geht. Diese beiden Arbeitsgruppen sind aber nur die untersten Stufen des Leistungsballetts, auf dem der Handel fußt. Das Handeln allein macht noch nicht reich; dafür steht der Unternehmer, der arbeiten und handeln lässt. Es ist eine Pyramide, die nicht einstürzen kann. Die Wirtschaft fordert Opfer, wenn man sich ihr ausliefert. Immerhin besteht die Möglichkeit, sich zumindest gewissen Auswüchsen zu entziehen, aber dies ist eine rein ethische Frage, die jeder Leser mit sich selbst ausmachen muss.

Die Lösungsmöglichkeiten einer Wirtschaft, die gesunden soll, werden von Eschbach aufgrund guter Recherche dargestellt. Teilweise ist es ein wenig mühsam, den vielen Strukturen zu folgen, die angeboten werden. Es ist jedoch sehr spannend, die Verzahnungen der Verhältnisse auf dieser Welt "auf dem Teller" präsentiert zu bekommen. Ein Mensch kann nur reich sein auf Kosten vieler anderer Menschen. Das hat so das Finanzwesen an sich, das zur Wirtschaft kompatibel ist. Geld ist immer noch ein Wert für Arbeit, und wenn sich Geld vermehrt, ohne dass man dafür arbeitet, liegt es an der Arbeit, die andere Menschen leisten, ohne zu wissen, für wen sie mitarbeiten. Es handelt sich um eine Spirale, die um die Menschen herumwirbelt. Die Zinsen sind jener Wert, aufgrund dessen die Wirtschaft angekurbelt wird und Gewinne erzielt werden können. Zahlt man Zinsen, so zahlt man Miete für Geld, über das man sonst nicht verfügen dürfte. Eine Lösung wäre nur von Grund auf zu erzielen. Und auf die Ausbeutung kann keine Wirtschaft verzichten, die wachsen will. Wer wollte also damit anfangen?

Am interessantesten ist die Vorstellung, auf Lebensgrundlagen wie Luft und Wasser Steuern einzuheben. Öl beispielsweise ist nur deswegen so billig, weil der Preis sich nur aus Förderung und damit verbundenen und weiterwirkenden Arbeitsabläufen zusammensetzt. Die Belastung der Umwelt spielt dabei keine Rolle. Allein die Firma "Shell" hat diesbezüglich speziell in Nigeria unglaubliche Umweltkatastrophen angerichtet. Zur Verantwortung wird sie nicht gezogen, obzwar die Reparationskosten ungleich höher wären als der Verdienst dieses Ölmultis. Die vernichtete Landschaft, die verseuchte Luft, die Zerstörung von Lebensgrundlagen vieler Menschen werden nicht einkalkuliert, weil sie nicht als Kosten betrachtet werden. Der Planet wird weiter geschröpft, und es verdienen in erster Linie daran die oben zitierten (Groß-)Unternehmer.
So lange keine Verantwortung seitens dieser aufgeblasenen Strukturen übernommen wird, bleibt es bei den auf Erden herrschenden Verhältnissen.

John findet schlussendlich eine Möglichkeit, die das Desaster zumindest in Augenschein nehmen und mit der Zeit an allen Ecken und Enden auffangen könnte. Leider kann diese Möglichkeit aber nur als eine Utopie verstanden werden. Die Lösung liegt nämlich nur im Menschen selbst. Es kommt darauf an, die individuelle Möglichkeit herauszufinden.

Andreas Eschbach lässt uns mit scharfer Kost zurück. Er spannt einen Bogen, der ein Ziel vor Augen hat, das nicht abgeschossen werden kann. Die Zukunft der Menschheit liegt einzig und allein in der Verantwortung der Menschen, die das Sagen auf diesem Planeten haben. Die mittlerweile eingefleischten Strukturen, die Reiche begünstigen und Arme ausbeuten, müssten vollkommen eliminiert werden. Ergebnis wäre das Ende des Wirtschaftswachstums.
Ein Detail am Rande: Es ist nicht so, dass nicht etwa alle Menschen auf diesem Planeten gut leben könnten. Es ist nur so, dass die Verteilung absolut unstimmig ist. Einhundert Prozent der Menschheit könnte es sich nicht leisten, so zu leben wie momentan geschätzte zehn Prozent. So viele Ressourcen hat die Welt nicht zur Verfügung. Es ist nur so, dass ein kleiner Teil der Menschheit unglaubliche Ressourcen für sich in Anspruch nimmt, ohne auf die anderen neunzig Prozent Rücksicht zu nehmen. Und das Tragische daran ist, dass nur die Mächtigen an dieser Situation merkbar etwas verändern können.
Es gibt Modelle, die Menschheit zu retten. Aber es gibt momentan niemanden, der auf diesen Zug aufspringt. Andreas Eschbach ist gnadenlos in seiner Argumentation. Er lässt den Leser direkt teilhaben an einem unförmigen Weltgeschehen, das überhaupt nicht fassbar ist. Und doch ist sein Buch keineswegs als reine pessimistische Weltdeutung zu verstehen. Es zeigt nur, was ist, und macht deutlich, dass es Gegenkonzepte gäbe, die das Ruder herumreißen könnten.

Nicht nur dieses Buch ist zu empfehlen, sondern ebenso die ausgezeichnete Netzpräsenz des Autors. Es ist eine Autorenseite, die zumindest im deutschsprachigen Raum ihresgleichen sucht. Besonders hervorzuheben ist, dass Eschbach seinen Lesern allerlei wichtige Fragen beantwortet, und auch unbekannten Autoren mit Tipps zur Seite steht. Es ist auf alle Fälle verkehrt, ihm nur das Prädikat "Unterhaltungsschriftsteller" zu verleihen, bloß weil er Konsalik als Vorbild angibt. Ist ja auch möglich, dass er ausnahmsweise ein Autor ist, der schlicht und einfach zur Bescheidenheit neigt. Was ja nicht unbedingt verkehrt ist.

(Jürgen Heimlich)


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Ein weiterer Buchtipp:

Birgit Hasselbusch: "Sechs Richtige und eine Falsche"

Ein fabelhaftes Lotto-Märchen und ein warmherzig-witziger Liebesroman.
Jeden Morgen prüft Jule (33) mit ihrem Opernglas die Position ihres Lieblingsschuhs in der Auslage gegenüber - bis der Stiefel endgültig weg ist. Und an besagtem Morgen ist noch einer weg: Der Kerl, der gerade noch schlafend in ihrem Bett gelegen war.
Egal. Erst einmal schnell in den Sender, denn es gilt, einen Beitrag über Lottomillionäre auf die Beine zu stellen. Während Jule sich mit Schuhen, Männern und Millionären unterschiedlichster Prägung herumschlägt, geschehen wundersame Dinge: Die Antworten ihrer Freunde auf die Frage "Welchen Wunsch würdest du dir mit den Lottomillionen erfüllen?" werden wahr, und sie selbst gerät in Verdacht, die Lottofee zu sein ...
In der Schule hat die gebürtige Hamburgerin Birgit Hasselbusch (geboren 1969) die Bücher aus Langeweile rückwärts gelesen. Seitdem kann sie auch rückwärts sprechen: Deutsch, Englisch, Spanisch und Französisch. In Frankreich moderierte sie zum ersten Mal beim Radio. Das allerdings vorwärts! Dies tut sie auch heute noch in Hamburg bei "NDR 90,3". (dtv)
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