Reinaldo Arenas: "Reise nach Havanna"

Roman in drei Reisen


Wenn man Lingyuans Kurzgeschichten in "Du fliegst jetzt für meinen Sohn aus dem fünften Stock" gelesen hat, bekommt man den Eindruck, dass - anders als viele bekannte Vertreter linkspolitischer Ideen - Regierungen in sozialistisch-kommunistischen Staaten eher sexualitätsfeindlich eingestellt sind. Bei einer Insel wie Kuba erscheint einem dies aufgrund der Werbeversprechen der Tourismusindustrie sowie der Rumwerbung eher unwahrscheinlich, aber tatsächlich kontrolliert die kubanische Regierung die Sexualität ihrer Bevölkerung durchaus.

Was sich auf die "normalen" Spielarten der Sexualität bezieht, wirkt sich natürlich auf Randbereiche ungleich stärker aus. In den vorliegenden drei Geschichten, die eigentlich nur durch Kuba und den Bezug auf die Homosexualität miteinander verbunden sind, zeigt sich, wie sich gerade "die Liebe, die ihren Namen nicht zu nennen wagt" in einem sozialistisch-kommunistischen System gesehen wird.

"Pech gehabt, Eva" ist dabei eine relativ schrille Geschichte, die sich vor allen Dingen mit der Selbstdarstellung in Kleidung und Auftreten auseinander setzt und wie diese im immer mehr von Mangel und Zuteilung betroffenen Inselstaat nach der Revolution zunehmend unmöglich wurde - selbst wenn man sich seinen "Fummel" selbst herstellte. Und so haben Eva und Ricardo immer noch ihre großen Auftritte, bis eine ungewöhnliche Begegnung Evas gesamte Weltsicht auf den Kopf stellt.

In "Mona" erleben wir - mehrfach verschachtelt, was die Herkunft angeht und unterlegt durch Fußnoten, die selbst Fußnoten haben - eine Beziehung zwischen einem Mann und einer überaus ungewöhnlichen Frau, die in so versteckter Form mit Homosexualität zu tun hat, dass sich nicht nur der Ich-Erzähler in einem überaus bösen Märchen zu befinden scheint.

Die Titelgeschichte schließlich hat einen etwas weiteren zeitlichen Rahmen und zeigt eigentlich die Entwicklung des Lebens auf Kuba - aus leicht eingeschränkter Perspektive - vom Moment der Revolution bis zur Mitte der 1990er Jahre. Daneben ist sie eine ziemlich ungewöhnliche Beziehungsgeschichte, die für sich genommen bereits die Anschaffung des Buches rechtfertigen könnte.

Auch lohnend ist sicherlich die Sprache (auf die Übersetzung bezogen; Anm. d. Red.), die sich vor allen Dingen in "Mona" als besonders eindringlich erweist, nachdem sie in "Pech gehabt, Eva" zunächst nicht unbedingt jedermann zugänglich sein wird - was aber auch stark am Thema der Geschichte liegen dürfte. Alles in allem eine interessante Betrachtung eines Aspekts der Revolution, der sonst eher nicht thematisiert wird.

(K.-G. Beck-Ewerhardy; 07/2007)


Reinaldo Arenas: "Reise nach Havanna. Roman in drei Reisen"
Übersetzer: Klaus Laabs.
dtv, 1994. 198 Seiten.
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Reinaldo Arenas, 1943 auf Kuba geboren, stand nach anfänglicher Begeisterung dem Castro-Regime zunehmend kritisch gegenüber, was er in seinem bedeutenden literarischen Werk zum Ausdruck brachte. In der Folge wurden seine Bücher zensiert und schließlich verboten, er wurde eingesperrt und gezwungen, seine Texte zu widerrufen. 1980 gelang ihm die Ausreise in die USA, wo er 1987 an Aids erkrankte und sich 1990 das Leben nahm.

Weitere Bücher des Autors:

"Bevor es Nacht wird. Ein Leben in Havanna"

"Der Freund der mir die Shorts besorgt hatte, versteckte mich in einer der Kabinen am Strand und ging zu meinem Haus, das jetzt von Polizisten mit Hunden bewacht wurde. Er sagte, ich solle schnell ins Meer springen und mich hinter einer Boje verstecken, da würden mich die Hunde nicht aufspüren."
Der Versuch, schwimmend eine us-amerikanische Militärbasis zu erreichen, scheitert. Es folgen Gefängnis, Verhöre durch die Staatssicherheit, wieder Gefängnis: das Leben eines schwulen, oppositionellen Dichters in Kuba. Reinaldo Arenas' Weigerung, sich zum Hymnenschreiber Castros degradieren zu lassen, hätte schon ausgereicht, ihn zum Dissidenten zu machen. Verfolgt wird er aber vor allem, weil er die Unverschämtheit besitzt, seine Homosexualität übermütig und ungezügelt auszuleben. Das macht ihn zum Vogelfreien. Als Arenas dieses Buch begann, konnte er nur in den Bäumen des Leninparks in Havanna ungestört schreiben - bevor es Nacht wurde. (dtv)
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"Engelsberg"
Havanna im 19. Jahrhundert. Eine Stadt, die von Sklaven, Mulatten, Freigelassenen und Entlaufenen wimmelt. Und von einer unüberschaubaren Kinderschar, in die Welt gesetzt von niemand anderem als dem Bischof der Stadt, dem tatsächlichen Engel vom Engelsberg. Hier treibt's der Don mit der Mulattin, die Doña aus Rache mit dem schwarzen Koch. Cecilia will einen weißen Mann, Leonardo sein Vergnügen und Isabels Geld. Und die Engländer wollen, dass endlich Schluss ist mit der Sklaverei.
Bigotterie und Grausamkeit bestimmen das tägliche Leben in Havanna, dazwischen aber scheint jeder Einzelne auf der Suche zu sein nach dem idealen geliebten Wesen, das letztendlich doch ein Spiegelbild seiner selbst sein müsste.
Reinaldo Arenas zeichnet mit fast magischer Fabulierkunst und bitterbösem Humor ein Sittengemälde der havannischen Gesellschaft. Ein Generalangriff auf alle Konventionen und Vorurteile der damaligen Zeit und zugleich die traurig-schöne Geschichte von Menschen voller Sehnsucht nach Anerkennung und Liebe. (Ammann Verlag)
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