Matthias Politycki: "Das kann uns keiner nehmen"


Matthias Polityckis Roman "Das kann uns keiner nehmen" beginnt weit oben am Kilimanjaro, wo der Ich-Erzähler Hans, der wohl als eine Art alter ego des Autors herhalten darf, endlich an jenem Punkt angekommen ist, auf den er sich seit sieben Tagen, die er vom Fuß des Bergs unterwegs ist, gesehnt hat. Still und ruhig sollte es hier sein, nachdem im Barafu Camp (auf 4673 Meter) unterwegs mehr Trubel als am Basar in Arusha geherrscht hatte. Man schlägt die Zelte auf und entdeckt dabei, weit im Krater, einen störenden roten Punkt. Dieser rote Punkt erweist sich bald als Tscharli, ein eher ungehobelter, machohafter, im breiten Bayerisch munter quasselnder Zeitgenosse. Somit ist die Bühne frei für diesen Roman, der ab jetzt die beiden Männer und ihre Lebensbewältigung in den Mittelpunkt stellt.
"'Lecko mio', begrüßte mich der Kerl in der roten Jacke, der die ganze Zeit über am Ende des Pfades mit demonstrativ vor der Brust verschränkten Armen auf uns gewartet und also auch meinen Sturz mitbekommen hatte. In einer der Kehren war ein Schneebrett unter meinem Tritt abgerauscht und ich rücklings ein paar Meter mit ihm, zum Glück erst im unteren Drittel. Danach hatte ich eine Weile gebraucht, um mir den Schnee aus der Kleidung zu schlagen, zum Schluß wischte ich die Brillengläser trocken und wickelte mir das Tuch um den Kopf, das sich bei meiner Talfahrt gelöst hatte.
'Wie komm'n a so a Hornbrillenwürschtel wie du ausgerechnet hierher?'"
(S. 9)

Dank eines lebensbedrohlichen Schneesturms, den alle Teilnehmer der beiden Gruppen überleben, wächst man irgendwie zusammen und geht den Abstieg gemeinsam an. Tscharli, der inflationär Plattitüden und Klischeewissen über Afrika, die Afrikaner und das Dasein in Afrika von sich gibt, scheint zusätzlich noch ziemlich krank zu sein. Fast an jeder Ecke zerreißt es ihn, der Durchfall hat ihn fest im Griff, und Hans merkt bald, dass es sich hier nicht um gewöhnlichen und in dieser Region durchaus üblichen Durchfall, (der mit weitaus weniger charmanten Begriffen bezeichnet wird), handelt. Obwohl Hans von Tscharli und seinen Ansichten, er nennt ihn gar einen Rassisten, gar nicht angetan ist, wird er ihm im Lauf der Zeit sympathisch.
"Wir Touristen seien ein erbärmlich verkniffenes Völkchen, wir könnten mit der Lebensfreude der Einheimischen nur dann mithalten, wenn wir die Lebensfreude zumindest spielen würden. 'Du muaßt über deinen Grenzen gehen, Hansi, sonst kommst hier ned weiter.' Ich solle an seinen Skilehrer denken - erst wenn ich auch mal fallen würde, hätte ich alles richtig gemacht. Zumindest stolpern müsse ich wieder lernen, dann komme das Fallen ganz von selbst.
Der Tscharli. Wenn er tiefsinnig wurde, gefiel er mir am besten."
(S. 162)

Nach dem Abstieg überredet Tscharli Hans, die nächste Woche mit ihm unterwegs zu verbringen, eine Reise durch Tansania, inklusive Daressalam und die Inselgruppe Sansibar. Warum Hans darauf einsteigt, weiß er selbst nicht, es sind eigenartige Gefühle der Pflicht, die ihn dazu verleiten, den, wie er ahnt, sterbenskranken Tscharli auf dieser, seiner wahrscheinlich letzten, Reise zu begleiten. Die beiden Männer merken auch bald, dass sie mehr verbindet, als sie zuerst glauben wollen. Beide haben mit Tansania und Afrika eine Vergangenheit, die jeweils mit einer speziellen Frau verbunden ist. Beim Einen ist es Kiki, beim Anderen Mara. Ob Politycki bewusst derart ähnliche Namen verwendet, ist unklar, die Vermutung liegt jedoch auf der Hand.

Langsam wächst die Verbundenheit der beiden Männer, was soweit geht, dass sie sich, trotz Tscharlis sich rapide verschlechternden Gesundheitszustands, auf immer dümmere Lausbubenstreiche einlassen und letztendlich dann doch ihre jeweiligen Geschichten erzählen. Während Hans auf seiner letzten Reise vor vielen Jahren von Mara, seiner damaligen großen Liebe, gerettet wurde, überlebt Tscharli, wie erwartet, diese Reise nicht.
"Die Weiber sind was Wunderbares, Hansi. Es sei denn, sie san grad ganz schrecklich." (S. 145)

Offensichtlich hat der am 20. Mai 1955 geborene Matthias Politycki mit diesem Roman ein eigenes Nahtoderlebnis in Literatur verpackt und rundherum eine Art Abenteuerroman gestaltet, der sich zum größten Teil spannend und wirklich gut liest. Politycki kann schreiben, hat ein extrem gutes Gespür für Zeitabläufe und Tempo, er ist stilistisch eloquent und sehr wandlungsfähig, was mitunter einer der Hauptgründe dafür ist, dass man an diesem Roman bis zum Ende gespannt dranbleibt. Denn Tscharlis Äußerungen sind es definitiv nicht. Eher im Gegenteil, denn das breite Bayerisch, das Politycki fast durchgehend für Tscharlis Zitate verwendet, ist im Verlauf des Romans teilweise schon mehr als anstrengend und schlichtweg nervend. Ebenso wie das machohafte Frauenbild, das zumindest beim in der Gegenwart angesiedelten Teil in Afrika herrscht.

Die stärksten Moment hat dieser Roman, wenn Politycki die Naturgewalten für sich sprechen lässt, wenn er mit feinem Gespür und perfekten Pinselstrichen die Reiseimpressionen, Farben und Gerüche Afrikas einfängt, und wenn er Hansi und Tscharli über ihre verflossenen Lieben erzählen lässt. Alles in allem ist "Das kann uns keiner nehmen" ein rasanter, peppiger und gut lesbarer Roman, wenn man sich an bayerischem Dialekt und Derbheiten nicht stößt. Ein Roman, der zwei nicht mehr junge Männer über ihre verflossenen Jugendlieben sinnieren lässt, der ein Nahtoderlebnis literarisch verarbeitet. Wer jetzt "Das will ich lesen" denkt, wird mit diesem Roman wirklich bestens bedient.

(Roland Freisitzer; 03/2020)


Matthias Politycki: "Das kann uns keiner nehmen"
Hoffmann und Campe, 2020. 302 Seiten.
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