Arnoldo Gálvez Suárez: "Die Rache der Mercedes Lima"


Vergangenheitsbewältigung

"Die Rache der Mercedes Lima" ist der erste ins Deutsche übersetzte Roman des 1982 in Guatemala-Stadt geborenen guatemaltekischen Autors Arnoldo Gálvez Suárez, der in seiner Heimat bereits ein gefeierter und prämierter Autor ist. Er ist nun in der "Edition Büchergilde" in der "Weltlese"-Serie Ilija Trojanows erschienen.

Er widmet sich dem dunklen Kapitel des Bürgerkriegs in Guatemala, als unzählige, politisch motivierte Morde unaufgeklärt blieben. Noch heute leiden die Nachkommen der ehemals Verfolgten darunter, dass sie auf ihre Fragen keine Antworten erhalten und wahrscheinlich nie erhalten werden, weil sich bis heute keine Regierung dafür interessiert, das Geschehene restlos aufzuklären.

Ende der 1980er-Jahre wird Daniel Rodriguez, Professor für Geschichte an der Universität in Guatemala-Stadt, in seinem Auto aus nächster Näher erschossen. Er hinterlässt seine Frau Regina und zwei Söhne, Daniel und Alberto. Auch dieser Mord bleibt ungeklärt und den Söhnen als politisch motivierter Mord in Erinnerung.

Ein Vierteljahrhundert später erkennt der als Hochzeitsfotograf arbeitende Alberto in einem Supermarkt Mercedes Lima wieder, eine damals siebzehnjährige Studentin seines Vaters. Diese Begegnung bringt unerwartet Erinnerungen an die Oberfläche seines Gedächtnisses, die längst vergraben waren. Er erinnert sich daran, dass sein Vater am Abend vor seiner Ermordung in einem blutgetränkten Hemd nach Hause gekommen war, er hört plötzlich die Stimme seiner Mutter, die den Vater zu "seiner kleinen Hure" schickt, wenn er schon meint, sie beschützen zu müssen. War es vielleicht doch ein Eifersuchtsmord, ein Mord aus Leidenschaft? Diese Frage lässt ihn nicht mehr los.

Er beschließt, Mercedes Lima aufzuspüren, sucht sie, und als er sie findet, beschattet er sie, wartet im Auto vor ihrem Haus, fotografiert jede ihrer Bewegungen. Seiner Freundin erzählt er, dass er für ein neues Projekt Brücken fotografiere. Aus seiner Beschäftigung mit Mercedes Lima wächst eine fast pervers sexuelle Obsession, die ebenso wie seine Vergangenheitsbewältigung auf Erinnerungsfetzen baut. Sein Drang, seine Familiengeschichte zu verstehen, wird immer stärker. Da ist sein in Europa untergetauchter Bruder, der nur über seinen "Facebook-Account" mit immer neuen Urlaubsfotos in Erscheinung tritt, aber keine E-Mails beantwortet, ja nicht einmal zum Begräbnis der Mutter erschienen war. Er bemüht sich, die Mutter zu verstehen, die für Alberts Freundin eine der unkommunikativsten Personen ist, die sie je kennengelernt hat. Dazwischen taucht immer wieder Mercedes Lima auf, die längst zu einer fixen Idee geworden ist.

Die guatemaltekische politische Geschichte lässt Suárez an unzähligen Abenden in "Leos Bar" anklingen, in der Alberto mit vielen Größen der Resistance zusammenkommt, ihre Geschichten und, zusätzlich zu guter Musik, ihre Erlebnisse hört.

Parallel dazu erzählt Suárez die letzten Monate und Wochen aus dem Leben von Daniel Rodriguez in abwechselnden Kapiteln. Er erzählt, wie Rodriguez als nicht regimekonformer Lehrender mit der Verhöhnung durch seine Studenten umzugehen lernt, wie er sein Leben mit Familie, mit Regina und den beiden Söhnen sieht, zeichnet die Wahrheit, die nur der Vater selbst kannte. Das alles sehr überzeugend und in vielen Aspekten an den Vermutungen seines Sohnes vorbei.

Als Alberto von Mercedes Lima beim Nachspionieren ertappt wird, flieht er. Wochen später trifft er sie zufällig wieder, und Alberto erhält die Möglichkeit, ihre Geschichte zu hören. Nicht überraschend, dass sich ihre Erzählungen in einigen wesentlichen Aspekten von den Varianten des Sohnes und des Vaters unterscheiden.

Arnoldo Gálvez Suárez erzählt flüssig, direkt und schnörkellos. Allerdings scheint er der Verführung, zu viele ihm wichtige Themen in den Roman einfließen zu lassen, erlegen zu sein. Dadurch verzettelt sich der Roman ein wenig. Genauso, wie sich der Protagonist verzettelt. Obschon seine Beziehung zu Luisa knapp vor dem Scheitern steht, bemerkt Alberto das vor Aufklärungswut nicht. Stattdessen steigert er sich in eine Leidenschaft, die sich am Ende als befreiend und schmerzlich erweisen wird. Die Abende in "Leos Bar" sind zu einem großen Teil für die Handlungsstränge nicht wesentlich und wirken so wie eingeschobene Politikaufklärung. Zu viele Nebenideen werden da ins Rampenlicht gestellt, wie auch die Vergewaltigungsgeschichte von Luisas Freundin. Dadurch verliert dieser eigentlich ausgezeichnete Roman einiges an Stringenz, gewinnt aber umso mehr politische und geschichtliche Gewichtung, was letztendlich sicherlich die Absicht des Autors gewesen sein wird.

Nichtsdestotrotz, auch aufgrund der wirklich überragenden Übersetzung von Lutz Kliche, ein äußerst gelungener Roman und ein Autor, dessen frühere Romane man ebenso gerne entdecken möchte.

(Roland Freisitzer; 09/2017)


Arnoldo Gálvez Suárez: "Die Rache der Mercedes Lima"
(Originaltitel "Puente adentro")
Herausgegeben von Ilija Trojanow. Aus dem guatemaltekischen Spanisch von Lutz Kliche.
Edition Büchergilde, 2017. 332 Seiten.
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Arnoldo Gálvez Suárez, geboren 1982 in Guatemala-Stadt, ist Schriftsteller und Professor für Journalistische Textgestaltung. Seit 2011 koordiniert er das Kommunikationsteam von "interpeace", einer unabhängigen internationalen Organisation für Friedensarbeit.