Alan Pauls: "Geschichte des Geldes"


Abschluss der Argentinien-Trilogie

In einem Interview gefragt, welche Gedanken ihn beim Schreiben seiner Argentinien-Trilogie begleitet hätten, hat Alan Pauls gemeint: "Mich interessierte nicht besonders, das 'Drehbuch' über diese siebziger Jahre zu reproduzieren, das schon so oft verfasst wurde. Oder gar ein großes historisches Fresko zu entfalten. Ich wollte stattdessen eine Reihe von kurzen Romanen schreiben und in die Zeit aus der durchaus traditionellen Familiensicht einsteigen, aber nicht durch die Vordertür, sondern durch verschiedene Hintertüren und auf diese Weise eine intime Geschichte der 70er Jahre gestalten."
Das ist ihm definitiv gelungen, nach "Geschichte der Tränen" und "Geschichte der Haare" schließt er seine Trilogie mit "Geschichte des Geldes" furios ab.

Den Bezug zu den 1970er-Jahren wird man nur in vermeintlich nebenbei erwähnten Details, scheinbar unwichtigen Nebensätzen und ebenso scheinbar unwesentlichen Notizen herstellen können. Schnell ist dem Leser klar, wie genau und bewusst hier alle Spuren gelegt werden, die den Leser in eine Zeit katapultieren, die definitiv nicht als ruhmreiche Zeit Argentiniens in die Geschichte eingehen wird.

Die Handlung selbst erscheint dem Leser allein, wenn er sich bemüht, die verschiedenen Handlungsfragmente und Rückblenden, die wie Puzzlesteine auftauchen, zu einem Ganzen zusammenzufügen. Nur so vervollständigt sich das Bild. Mit Ausnahme von einigen weißen Flecken, die wahrscheinlich sinngemäß für jene Momente stehen, die weder beweisbar, noch erklärbar sind. Der Ich-Erzähler ist ein vierzehnjähriger Junge, der allerdings einmal älter, dann wieder jünger ist, je nach Zeitfenster, in dem das jeweilige Handlungsfragment angesiedelt ist.

Wie bereits im Titel angekündigt, geht es hier um den Auslöser für Gier, Neid und Missgunst. Das liebe Geld. Beziehungsweise, um konkreter zu werden, um die Macht, die mit dem Vorhandensein von viel Geld einhergeht.

Ein Helikopterabsturz, bei dem ein Stahlunternehmer stirbt, ist Ausgangspunkt für diesen detailverliebten und literarisch extrem gearbeiteten Text, der sich immer wieder in ewig langen Sätzen verliert. Dass der mit Geld gefüllte Aktenkoffer des Stahlunternehmers von der Absturzstelle verschwunden ist, lässt kurz vermuten, Alan Pauls versuche sie hier am Krimigenre. Spätestens nach den ersten dutzend Seiten merkt man, dass der Autor immer weiter in die Geschichte der Familie des Jungen eintaucht und hier eigentlich ein Familienkammerspiel abliefert, das wiederum symptomatisch für das Argentinien der siebziger Jahre ist.

Der Vater ist Geschäftemacher, Spekulant und Pokerspieler. Er schwört nur auf Bargeld, das für ihn eine regelrecht erotische Komponente besitzt. Die Mutter leidet unter Depressionen und der Angst, dass das vorhandene Geld ausgehen könnte und versucht mit maßloser Verschwendung dagegen anzukämpfen. Weil so ja zumindest etwas Reales statt der schönen Scheine vorhanden wäre. Dadurch ruiniert sie sich und letztendlich auch ihre Ehe. Der Sohn schafft es nicht, auf eigenen Beinen zu stehen und lebt vom Geld seiner wechselnden Freundinnen. Wahrscheinlich hätte er ewig so weitergemacht, wenn ihm nach dem Tod des Vaters nicht ein dubioses Vermögen in die Hände gefallen wäre. Mit diesem begleicht er jedoch die Schulden seiner Eltern.

Und so kann man genau hier eine Parallele zur argentinischen Gesellschaft der siebziger Jahre festmachen. Die gehobene Gesellschaft, die durch Maßlosigkeit den Niedergang Argentiniens verursacht und die nächste Generation dazu zwingt, in dieser geschaffenen Ausweglosigkeit über den Verzicht und die Aufarbeitung der Vergangenheit Lösungen zu finden, um sich selbst zu erhalten.

Der wichtigste Protagonist ist allerdings das Geld selbst. Es kommt und geht, fließt plötzlich unverhofft und verschwindet, entweder durch absurde, halsbrecherische Investitionen, Anlagen oder Spekulationen, oder auch durch die Inflation oder Entwertung ebenso rasch. Ein ständiger Strom des Geldes, bei dem die jeweiligen Besitzer mit aller Vehemenz versuchen, es zu fassen, daran aber letztendlich scheitern.

Am Ende spielt nichts mehr eine Rolle. Alles ist weg, und man stellt überrascht fest, wie genau Alan Pauls das Innenleben seiner Protagonistinnen und Protagonisten beleuchtet, wie überzeugend er das Politische, das er eigentlich gar nicht in den Mittelpunkt stellen möchte, anhand der Schicksale und Verletzungen seiner Figuren indirekt an den Leser bringt. Dass möglicherweise die eine oder andere Undurchsichtigkeit vielleicht zu sehr von Nebel umhangen ist, ist letztendlich auch egal. Wirklich großartig übersetzt von Christian Hansen, ist "Geschichte des Geldes" keine leicht zu lesende, aber definitiv spannende Reise ins Argentinien der 1970er-Jahre.

(Roland Freisitzer; 01/2017)


Alan Pauls: "Geschichte des Geldes"
(Originaltitel "Historia del dinero")
Aus dem Spanischen von Christian Hansen.
Klett-Cotta, 2016. 271 Seiten.
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